10.08.2003

Dokumentation

Ein Jahr nach der Flut
Profit vor Sicherheit

'Monitor' hat mal wieder ein heißes Eisen angepackt.
Die Privatisierung einer Talsperre trug zum "Jahrtausendhochwasser" der Elbe bei -
und nichts hat sich geändert

In der Anmoderation des 'Monitor'-Beitrags wies Soja Mikich auf die Ursache hin: "Das Klima spielt verrückt, von einem Extrem zum anderen: Da hat die Rekordhitzewelle die Elbe ziemlich ausgetrocknet, 1,20 Meter Pegel, stellenweise noch weniger. Bei der Flutkatastrophe im letzten Jahr waren es 8 Meter." Es ist also allen klar, daß sich ein solches "Jahrtausendhochwasser" nicht erst in tausend Jahren, sondern schon nächstes Jahr wiederholen kann. Trotzdem werden überall wieder die Überschwemmungsgebiete mit Industrieanlagen und Siedlungen überbaut und wortwörtlich gilt das Motto "Nach uns die Sintflut".

Vor einem Jahr sprachen noch alle von den Ursachen des Elbhochwassers. Doch ein Aspekt blieb unberücksichtigt: Die Talsperren und ihre Rolle bei einem Hochwasser. Nur wenige wissen, wie wichtig es ist, daß sie in kommunalem Besitz sind. Und nur wenige wissen, daß auch Talsperren bereits in großer Zahl an private Investoren verkauft wurden.

Für den 'Monitor'-Beutrag recherchierten Lutz Mükke und Mathias Werth (bekannt auch für seine mutigen Recherchen über die Lügen im Vorfeld des Kosovo-Krieges) das Beispiel der Talsperre Kriebstein.

Stolz waren die Sachsen auf ihre schöne Talsperre Kriebstein schon immer. Auch für die Landesregierung war sie ein Vorzeige-Objekt, weil die Talsperre vor ein paar Jahren für gutes Geld an einen privaten Investor verkauft wurde. Doch dann kam das Hochwasser.

Die Bilder vom vergangenen Jahr mit einem Ausflugschiff, das an die Staumauer prallte, von Wohnwagen und Booten, die von der Flut in die Tiefe gerissen wurden lassen den Schrecken noch einmal kurz gegenwärtig werden. Die Talsperre im sächsischen Kriebstein, nördlich von Chemnitz, staut die Zschopau. Zschopau heißt "die Reißende", doch diesem Namen wird sie nur bei Hochwasser gerecht.

Vier Kilometer flußabwärts lag Waldheim unter Wasser. Ungebremst schoß das Schlammwasser durch die Innenstadt - Millionenschäden. Der Streit, wer das bezahlen muß, wird sich noch lange hinziehen.

Als im August 2002 die Talsperre überlief, schob Stauwart Lothar Kloß Dienst. Er ist Betriebsleiter der privatisierten Talsperre und des dazu gehörenden Wasser-Kraftwerks. Frage: Hätte hier an der letzten Staustufe der Zschopau die Flut gebremst werden können und müssen?

Lothar Kloß, Stauwart: "Wir reden nicht übers Hochwasser. Hochwasser ist abgeschlossene Sache, die ist nur noch Vergangenheit. Hoffentlich bleibt's auch Vergangenheit." '

Monitor': "Weil's da Kritik gab an Ihrer Firma, oder warum?"

Lothar Kloß: "Ne, das weiß ich nicht, darüber rede ich nicht."

Bis zum Verkauf gehörte die Talsperre zum Hochwasserwarnsystem. Was früher bei Hochwasser passierte, erzählt die damalige Staumeistersfrau. 27 Jahre lang hat sie sich hier um alles gekümmert.

Eva Halm, Staumeistersfrau: "Wir wurden informiert von verschiedenen Talsperren, die oberhalb des Bereiches liegen, daß eine Hochwasserwelle im Anmarsch ist, und es wurde dann auch die Durchflußmenge genannt, und wir konnten dann in etwa koordinieren, wann diese Wassermenge bei uns sein würde, was auch die technischen Einrichtungen anzeigten. Und konnten dementsprechend dann reagieren, konnten dementsprechend regeln, und haben vor allen Dingen die Unteranlieger informiert."

Es wurden also früher bei drohendem Hochwasser die unteren Schotten der Staumauer geöffnet und Wasser vorsorglich abgelassen. So konnte die Talsperre die kommende Flut aufnehmen und die gefährlichen Hochwasserspitzen brechen. Das hätte vor allem den Bewohnern flußabwärts genützt, wie der frühere Bürgermeister Waldheims erzählt.

Karl-Heinz Teichert, ehem. Bürgermeister Waldheim: "Wenn man hätte vorneweg schon gewußt, daß das Hochwasser so dick kommt, hätte man können die Talsperre früher ablassen, hätte damit einen Stauraum geschaffen für diese Extremwelle und hätte damit mindestens ein, zwei Stunden Zeit gewonnen, um die Stadt eher zu warnen. Und das ist für mich entscheidend."

Doch das Hochwasser kam schnell und ungebremst - keine Zeit, Hab und Gut zu sichern, die Häuser soffen ab. Die Schuld gibt man auch der Talsperre.

'Monitor': "Bereiten Sie sich jetzt anders vor, damit sowas nicht nochmal kommt?"

Lothar Kloß, Stauwart: "Ja, wir können uns nicht anders vorbereiten, weil bei uns, wir können das Wasser ja, die Talsperre ist ja kein Hochwasserschutz. Wir können da nichts machen."

'Monitor': "Das war früher Hochwasserschutz, ne?"

Lothar Kloß: "Das war noch nie Hochwasserschutz."

'Monitor': "Hier?"

Lothar Kloß: "Nein. Die Talsperre Kriebstein war noch nie Hochwasserschutz."

'Monitor' fragt noch einmal nach:
Eva Halm, Staumeistersfrau: "Wenn ich solche Äußerungen höre, dann sträuben sich mir die Nackenhaare. Also, es ist einfach unverantwortlich, wenn man sowas sagt, wer auch immer das äußert. Denn wer so lange hier an der Mauer gewohnt und gelebt hat wie ich, also, der kann einfach da nicht zustimmen zu solchen Äußerungen. Wir hatten ein sehr schönes, großes, gußeisernes Schild an der Mauer, wo drauf hervorgeht, daß die Talsperre Kriebstein zum Hochwasserschutz gebaut ist."

'Monitor': "Wo ist denn dieses Schild heute?"

Eva Halm: "Also, dieses Schild befindet sich heute im Dienstgebäude des Staumeisters."

'Monitor': "Wann ist denn das abgenommen worden?"

Eva Halm: "Also, ich kann mich nicht genau auf den Tag erinnern, aber dieses Schild ist abgenommen worden nach der Privatisierung."

Rund vier Millionen Euro kassierte das Land Sachsen beim Verkauf von Kraftwerk und Talsperre und sparte zusätzlich mehrere Millionen Euro Wartungskosten. Für den Käufer lohnt sich die Stromerzeugung nur, wenn die Talsperre voll ist und kein Wasser abgelassen wird. Im Kaufvertrag findet sich wohl deshalb kein Wort mehr über den Hochwasserschutz. Die Talsperre, heißt es, diene neben dem Tourismus nur noch der Stromerzeugung. Die kalkulierten vier Megawatt Strom schafft man nicht, wenn die Talsperre abgelassen würde.

Für die Zschopau und die Talsperre Kriebstein im Hochwasserschutzsystem ist auch das Regierungspräsidium Chemnitz verantwortlich. Dort schiebt man jede Verantwortung von sich.

Frank Drechsel, Regierungspräsidium Chemnitz: "Wir haben hydraulisch vom staatlichen Umweltfachamt das nochmal nachprüfen lassen, ob überhaupt eine Beeinflussung von geringster Bedeutung ableitbar ist, und das ist also nicht der Fall. Es gibt keine Beeinflussung markanter Art auf Hochwasserereignisse."

'Monitor': "Weshalb ist die Talsperre Kriebstein nicht Bestandteil des Hochwasserschutz-Meldesystems?"

Frank Drechsel: "Die Talsperre Kriebstein ist ein Flußwehr, welches zur Wasserbereitstellung für die Elektroenergie-Erzeugung dient und ergänzend touristisch und naherholungsseitig genutzt wird."

Touristen und Stromerzeugung bringen Geld - Hochwasserschutz kostet Millionen. Die Talsperre Kriebstein sei in Wahrheit niemals zum Hochwasserschutz gebaut worden, behaupten heute sogar die Behörden.

Michael Eckart, Ingenieur: "Mein Großvater hat selbst mit an dieser Talsperre gebaut, wie viele andere Menschen, die hier in der Gegend gelebt haben zu dieser Zeit, und er hat auch davon erzählt, daß es ein recht schwieriger Bau war, und daß vor allen Dingen dieser Bau relativ schnell realisiert werden mußte, weil eben diese Zschopau gefürchtet war durch ihre schnell ansteigenden Hochwasser. Das, was ich hier in der Hand habe, das ist 'ne Vorlage für den Landtagspräsidenten von 1926. 'Angesichts der Verwüstungen, die in vielen Landesteilen durch die katastrophalen Hochfluten des Jahres 1926 eingetreten sind, muß der Zweck dieser Wasserbauten vornehmlich die künftige Verhinderung solcher Katastrophen sein.'"

Die alten Baumeister haben die Talsperre also ausdrücklich zum Schutz vor weiteren Hochwasserkatastrophen gebaut. In ihren Bauplänen hatten sie sogar sehr große Hochwassermengen vorausberechnet. Kriebstein und der Hochwasserschutz - von alldem will die Behörde nichts wissen.

Eine zweite Chance fürs Chemnitzer Regierungspräsidium: 'Monitor': "Ich möchte nochmal nachfragen: Was kann Ihrer Meinung nach die Talsperre Kriebstein zum Hochwasserschutz beitragen?"

Frank Drechsel, Regierungspräsidium Chemnitz: "Der Beitrag der Talsperre Kriebstein zum Hochwasserschutz ist Null."

Es geht nämlich darum, wer nun für die Millionenschäden haftet. Trickreich beruft sich das Regierungspräsidium heute auf eigene Gutachten und will für die Hochwasserschäden nicht mitverantwortlich sein. Unklar, ob ihr das gelingen wird. Denn nun ermittelt die Chemnitzer Staatsanwaltschaft in Sachen Talsperre und Hochwasser.

Bernd Vogel, Oberstaatsanwalt Chemnitz: "Wir haben seit August des vergangenen Jahres mehrere Anzeigen hier in dem Zusammenhang anhängig. Wir haben ein Ermittlungsverfahren, ein so genanntes Sammelermittlungsverfahren, eingeleitet - gegen Unbekannt vorerst. Es gibt bestimmte Anhaltspunkte, daß strafbares Verhalten hier relevant sein könnte. Die Ermittlungen gestalten sich allerdings kompliziert, weil der Sachverhalt vielschichtig ist und auch die handelnden Personen ziemlich breit gestreut angesiedelt sind. Es ist eine spezielle Ermittlungsgruppe gebildet worden, die nicht bloß dieses Verfahren, sondern alle Verfahren bearbeitet."

'Monitor': "In Sachen Hochwasser?"

Bernd Vogel: "In Sachen Hochwasser, ja."

Schützt die Talsperre vorm Hochwasser? Für die Antwort sollte man nur eine Rundfahrt auf der Talsperre buchen. Jedesmal ist eine Schiffsansage zu vernehmen: "Die Talsperre selbst wurde in der Zeit von 1927 bis 1929 zum Zwecke des Hochwasserschutzes und zur Energiegewinnung erbaut."

'Monitor' konnte zudem eine Fotografie der abgeschraubten Messingtafel präsentieren. Auch sie bestätigt, was so gerne verleugnet wird:

abgeschraubte Messingtafel

 

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