31.01.2001

Genfood
- Europa schaut
auf Deutschland

Wie wir unsere Nahrung überleben

Irgendwann, ein Weilchen nach den Dinosauriern, nahm sich die Gattung Mensch ein grosses Projekt vor: Da zum Überleben nur mangelhaft gerüstet, organisierte man die Nahrungsbeschaffung kollektiv und entwickelte raffinierte Techniken, bis hin zu Kühlschrank und Eingriff in die Gene.

Heute scheint das Vorhaben gefährdet. Jene Hälfte der Menschheit, die ausreichend zu essen hat, fragt sich angesichts von Rinderwahnsinn, Dioxinhühnern, Pestiziden im Kinderbrei, Genmais, Gifteiern und anderer Delikatessen, ob sie diese Nahrung lange überleben wird – und wie es zur Zeit der Seuche kommen konnte.

Hier tritt Gerhard Schröder auf den Plan. Eine veritable Revolution will der deutsche Kanzler angestiftet haben, als er vergangene Woche die Landwirtschaft einem «Verbraucherschutzministerium» samt grüner Ministerin unterstellte. Am Ende soll der radikale Umbau der deutschen und hoffentlich auch der europäischen Agrarordnung stehen.

Nicht mehr der Komfort der Bauern, die nationale Selbstversorgung oder die Billigproduktion für den Weltmarkt sollen das Ziel aller Anstrengung sein, sondern die Qualität des Hackfleisches, das über die Ladentheke geht. Die Nahrungskette wird vom Konsumentenende her neu organisiert. Tierfabriken, Futtermittelindustrielle, die mächtige Agrarlobby kommen an die Kette; Biobauern und die naturnahe Produktion sollen mit hohen Beträgen gefördert werden.

Vorbild Schweiz

Gutes Timing Schröders, aber wenig Neues. Nach vierzig Jahren Subventionswirtschaft, die auf Massenproduktion zielte – sie kostete heuer 75 Milliarden Franken –, nach Milchseen, Fleisch- und Butterbergen, bricht Europas Agrarordnung auseinander.
Allmählich werden Mengensubventionen durch Direktzahlungen ersetzt. In ihrer Agenda 2000 hat die Europäische Kommission die Vorbilder Österreich, Schweiz und Schweden im Blick, wenn sie etwa auf die Förderung des Bio-Landbaus setzt. Nur sieben Länder nutzten die Möglichkeit, Deutschland und Frankreich gehören nicht dazu. Jetzt errichtet Brüssel gar ein Amt für Lebensmittelsicherheit, fünfzehn Jahre nach der Diagnose BSE. Viel zu spät.
Freiwillig ist die Volte, mit staatsmännischem Gestus inszeniert, schon gar nicht. Denn drei Kräfte zerren am alten Filz von Grossbauern, Handel, Politik und Industrie.

Falsches Idyll

Die Konsumenten verweigern sich zunehmend der «malbouffe», dem «Schlechtessen» (Frankreichs Bauernführer José Bové). Viele Tonnen Rindfleisch bleiben liegen. Das Misstrauen spiegelt sich auch in einer wachsenden Ablehnung der EU.
Die Welthandelsorganisation (WTO) macht, unter der Fuchtel Amerikas, Druck auf den europäischen Agrarmarkt. Ab 2003, dazu hat sich Brüssel ohnehin verpflichtet, sind Mengensubventionen verboten.
Die anstehende Osterweiterung um Agrarstaaten wie Polen und Ungarn, dritter Faktor, sprengt die Geldtöpfe des alten EU-Landwirtschaftssystems vollends.

Und doch zog nach Schröders «Kulturbruch» sogleich grüne Romantik auf. Und beträchtliche Verwirrung. Verbraucher beschworen das Idyll bäuerlicher Familienbetriebe. Wahr ist, dass oft gerade diese Betriebe Tierfabriken errichten, mangels Land und von hohen Subventionen dazu angestachelt. Grossen Betrieben mit viel Boden, vorab im Osten, fällt eine naturnahe Produktion leichter.
Politiker versprachen eine Wende in wenigen Jahren, notfalls mit nationalen Massnahmen gegen die EU. Absurd. Die Bauern brauchen Zeit. Sie haben sich auf das Betreiben von Politik und Agrarlobby hoch verschuldet. Nationale Massnahmen sind Augenwischerei. Die europäische Landwirtschaft ist bereits so arbeitsteilig, die Märkte sind so offen, dass nur eine gemeinsame Strategie gesündere Lebensmittel garantieren kann.

Darüber blieb der eigentliche Kern des Problems unberührt. Um Europas Agrarmarkt von etwa 1,5 Billionen Franken rangeln längst nicht nur Bauern, Handel und ein paar Zulieferer, oft mit einiger krimineller Energie. Agrarpharma- Konzerne, Agrarchemie-Multis und Lebensmittelindustrie sichern sich einen schnell wachsenden Anteil. Die Landwirte verkommen zu reinen Rohstofflieferanten. Sie verlieren zunehmend die Kontrolle über die Produktion. Ein klassischer Verteilkampf.
Der kann nur zugunsten der Konsumenten und der Mehrheit der Bauern entschieden werden, wenn Konsumenten (höhere Preise) und Bauern (höhere Qualität) in einer Allianz eine kompromisslose Steuerungspolitik durch die EU erwirken.
So banal die Fragen sind – was wir essen, wer isst und wie wir das herstellen, was wir essen –, sie sind für unsere Zivilisation wichtiger als Künstliche Intelligenz, Raumfahrt, Religion oder die Entschlüsselung des Gens.

 

Oliver Fahrni

 

neuronales Netzwerk