27.06.2003

Artikel

Gen-Food-Industrie
stürzt britischen Umweltminister

In Großbritannien ebenso wie im übrigen Europa sprechen sich seit Jahren unverändert mehr als 90 Prozent der Bevölkerung gegen Gen-Food aus. Doch dies interessiert die internationalen Gen-Food- Konzerne nicht die Bohne.

Als sich nun der britische Umweltminister Michael Meacher - in puncto radioaktiver Verseuchung der irischen See durchaus nicht zimperlich - gegen eine vorzeitige Beendigung des noch in fast allen europäischen Staaten bestehenden Moratoriums1 gegen den Anbau genmanipulierter Pflanzen aussprach, wurde er umgehend vom britischen Regierungs-Chef und Gen-Food-Enthusiasten Blair auf freies Feld gesetzt. In einem Interview des 'Independant' (22.06.03) war er wohl ein bißchen zu weit gegangen, als er der eigenen Regierung vorwarf, Hinweise auf Risiken von Gen-Food systematisch zu ignorieren und zu vertuschen: "Niemand kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt garantieren, daß gentechnische Nahrungsmittel sicher sind - am allerwenigsten Tony Blair."

Blair, von Karikaturisten häufig auch als Schoßhündchen des US-amerikanischen Präsidenten G.W. Bush dargestellt, reagierte damit zugleich auf den neuesten Ausfall seines Halters, der seine Ignoranz gegenüber Afrika mit einer besonders köstlichen Stilblüte schmückte: Das europäische Moratorium gegen Gen-Food sei am Hunger in Afrika schuld.

Zur Verwirrung des Publikums finden in Washington derweil Scheingefechte zwischen der US-Regierung und einer EU-Bürokratie statt, die über Grenzwerte in der neuen Gen- Food-Verordnung2 den VerbraucherInnen eine vermeintliche Wahlfreiheit verspricht und damit zugleich die Schleusen öffnet. Von Streit und einem drohenden Handelskrieg ist die Rede, um das Publikum in der Zuversicht zu wiegen, die EU-Bürokratie sei eine standhafte Streiterin ihrer Rechte. Dabei werden die EU-VerbraucherInnen mal wieder über den Löffel barbiert und die Interessen der EU-Bauernverbände verdeckt vorangetrieben, die mehrheitlich für die Einführung von genmanipulierten Pflanzen Druck machen. "Es gibt Differenzen, und wir haben noch keinen Weg gefunden, damit umzugehen", fabulierte EU-Handelskommissar Pascal Lamy nach Begegnungen mit US-Präsident Bush und weiteren US-Regierungsvertretern letzte Woche.

Jenseits solchen Schabernacks sind jedoch auch ernstere Hintergründe erkennbar. Laut 'Daily Telegraph' erfolgte die Freisetzung Meachers auf Druck von Gen-Food-Konzernen, insbesondere von 'Bayer'. Der ehemals deutsche 'Bayer'-Konzern wuchs mit der Übernahme der 'Aventis CropScience AG' zum größten europäischen Anbieter genmanipulierter Pflanzen, dem der riesige US-Agrarmarkt längst nicht mehr groß genug ist. Neben US-Agrar-Konzernen hat 'Bayer' ein Auge auf den europäischen Markt geworfen, auf den sie ihre genmanipulierten Getreidesorten, Raps, Mais und Soja werfen wollen. Die Absätze sind ins Stocken geraten und ohne weiteres Wachstum droht der Kollaps.

Dr. Paul Rylott, Vorsitzender der einflußreichen Lobby-Gruppe 'Agricultural Biotechnology Council' (ABC) und Leiter der 'Bayer'-Tochterfirma 'BioScience', hatte den Minister nur wenige Tage vor seiner Entlassung heftig kritisiert. Das hatte in der gesamte britischen Presse zu offenen Spekulationen über eine Entlassung Meachers geführt, die prompt bestätigt wurden. Erst Anfang Juni hatte die britische Regierung einen "Gentechnik-Dialog" initiiert. Zielsetzung war, nach Spanien und Deutschland als drittes europäisches Land, dem kommerziellen Anbau genmanipulierter Pflanzen zum Durchbruch zu verhelfen. Der "runde Tisch", ein 11-köpfiger Ausschuß, wird ebenfalls von 'Bayer'-Lobbyist Rylott maßgeblich bestimmt. Und auch einem weiteren Ausschuß, der 'Agriculture and Environment Biotechnology Commission', die die britische Regierung über Risiken der Gentechnik beraten soll, gehört Multifunktionär Rylott an.

Axel Köhler-Schnura von der 'Coordination gegen Bayer-Gefahren' (CBG) kommentierte: "Es ist kein Zufall, daß der Gentechnikkritiker Meacher just in dem Moment geschaßt wird, in dem über die Zukunft gentechnisch veränderter Lebensmittel in England und in ganz Europa entschieden wird. (...) Es ist erschreckend, daß die Macht des Bayer-Konzerns auch in England groß genug ist, um unliebsame Politiker auszubooten." Auch Tony Jupiter, Direktor des größten britischen Umweltverbands »Friends of the Earth«, kritisierte die Entscheidung Blairs: "Das Dialogforum zur Zukunft der Gentechnik in der Landwirtschaft ist noch keine drei Wochen alt - und schon wurde der einzige Minister entlassen, der für ein behutsames Vorgehen plädierte. Dieser Schritt nährt die Befürchtung, daß sich die Regierung über Bedenken in der Bevölkerung hinwegsetzt."

 

Petra Willaredt

 

Anmerkungen:

1 Siehe auch unser Artikel:
'Gen-Pflanzen - Moratorium...' vom 6.06.03

2 Siehe auch unser Artikel:
'Gen-Food: Öffnung des EU-Marktes' v. 2.12.02

 

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