19.10.2003

Überholt die SPD
Künast auf der grünen Seite?

SPD-Clementine für Gen-Reinheit

In meinem Artikel1 zur Anti-Gentech-Demo am Mittwoch in Berlin mußte aus Termingründen die Frage offen bleiben, ob die Forderungen, die nach anfänglicher Planung vor dem Kanzleramt hätten gestellt werden sollen, denn Gehör gefunden hätten. Inzwischen wurde bereits bekannt, daß die Demo wegen Gefährdung eines zeitgleichen Besuchs aus Peru hatte umgeleitet werden müssen und daß nur Einzelne zu verschiedenen Würdenträgern vorgelassen worden waren. Es war zu erwarten, daß sich "Rot-Grün" in der Frage des Gen-Moratoriums weiterhin bedeckt halten würde, solange in Deutschland kein öffentlicher Widerstand erkennbar wird, der auch nur annähernd mit den Neuseeländischen Großdemonstationen2 zu vergleichen wäre.

Auf den ersten Blick mag es da verwundern, daß bereits am folgenden Tag eine Reaktion aus der SPD-Bundestagsfraktion erfolgte. In äußerst humorvoller Weise und mit dem Zitat der aus der Werbung zumindest bei 68ern noch bekannten Reinemache-Clementine - "Nicht nur sauber sondern rein" - in der Überschrift, macht sich die SPD anheischig, Ministerin Künast auf der grünen Seite zu überholen.

Doch über den Erhalt oder den Fall des Gen-Moratoriums steht kein Wort in der - zum Vergnügen der geneigten Leserschaft - weiter unten dokumentierten Presseerklärung der SPD-Fraktion. Lediglich die auf der Demo tags zuvor auch genannte Forderung nach einer Kennzeichnung von Saatgut entsprechend der technischen Nachweisgrenze wird darin aufgegriffen. Daß die strenge Kennzeichnung von Saatgut allerdings auf die Dauer nichts nützt, wenn nach einem Fall des Gen-Moratoriums auf Nachbarfeldern genmanipulierte Pflanzen angebaut werden, vergaß die SPD-Fraktion dabei geflissentlich. Denn durch Pollenflug und andere Arten der Gen-Kontamination ließe sich in diesem Fall die vielbeschworene Wahlfreiheit der VerbraucherInnen dann eben doch nicht mehr aufrecht erhalten. Vielleicht ist das Ganze aber auch nur ein Scherz, denn relativ weit am Ende findet sich die Anmerkung versteckt, es gehe "nicht um das Für oder Wider der Gentechnik"...

 

Christian Semmler

 

Anmerkungen:
1 Anti-Gentech-Demo in Berlin vom 15.10.03
2 Für Erhalt des Gen-Moratoriums in Neuseeland
    Größte Protest-Demonstrationen seit den
    Anti-Atom-Kundgebungen der 80er Jahre
vom 14.10.03

Hinweis:
In der Schweiz wurden bereits 110.000 Unterschriften für den Erhalt des dortigen Gen-Moratoriums gesammelt. Nehmen wir uns die SchweizerInnen zum Vorbild -
Unterschriften-Aktion
'Moratorium für Gen-Food'

Dokumentation der
Pressemitteilung der SPD-Bundestagsfraktion:

Kennzeichnung für GVO-Saatgut:
Nicht nur sauber sondern rein

Bäuerinnen und Bauern sollen frei wählen können, ob
sie gentechnisch verändertes Saatgut anbauen oder
GVO-freies.

die Verbraucherinnen und Verbraucher sollenfrei
wählen können, ob sie gentechnisch veränderte
Produkte kaufen oder solche ohne Gentechnik.

Die EU-Kommission hat den Entwurf für eine "Richtlinie
zum zufälligen oder technisch unvermeidbaren
Vorhandensein von gentechnisch verändertem Saatgut
in Saatgutpartien von nicht gentechnisch verändertem
Saatgut" vorgelegt. Darin sind Schwellenwerte
vorgesehen, ab welchem Anteil von genetisch
veränderten Organismen (GVO) im Saatgut dieses als
gentechnisch verändert gekennzeichnet werden muss.
Sie betragen 0,3 Prozent für Raps, 0,5 Prozent für
Mais, Kartoffeln, Tomaten, Chicoree, Zuckerrüben und
0,7 Prozent für Soja.

Diese Werte sind zu hoch! Sie sind nicht geeignet,
Wahlfreiheit für Landwirtschaft und Verbraucher zu
garantieren.

Saatgut steht am Anfang der Nahrungskette. Nur ein
an der Nachweisgrenze von 0,1 Prozent orientierter
Schwellenwert kann den Bestand einer
gentechnikfreien Landwirtschaft und
Lebensmittelproduktion sichern.

Darin enthaltene Unreinheiten pflanzen sich in der
gesamten Nahrungskette fort. Ihr Verbleib ist nach
einer Weile nicht mehr nachvollziehbar. Werden im
Saatgut GVO-Anteile oberhalb der Nachweisgrenze
ohne Kennzeichnung toleriert, Es ist nicht
auszuschließen, dass von genetisch veränderten
Organismen wirklich freie Lebensmittel irgendwann gar
nicht mehr hergestellt werden können. Eine
Wahlfreiheit gibt es dann nicht mehr.

Zudem gefährdet eine Tolerierung von GVO-Anteilen
oberhalb der Nachweisgrenze in Saatgut ohne
Kennzeichnung die Einhaltung des vorgeschriebenen
Schwellenwertes von 0,9 Prozent in Lebens- und
Futtermitteln, denn über Auskreuzung,
Durchwuchspflanzen und Vermischungen bei Ernte,
Transport und Lagerung kann es zu weiteren
GVO-Einträgen kommen. Und je geringer der Abstand
zwischen den für Saatgut geltenden Schwellenwerten
und denen ist, die für die Endprodukte gelten, desto
höher werden die Kosten für Kontrollen und Tests in
der gesamten Produktionskette. Nur GVO-freies
Saatgut, dessen Kennzeichnung an der
Nachweisgrenze von 0,1% ansetzt, kann die
Koexistenz einer gentechnikfreien und genetisch
optimierten Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion
sichern.

In einer global vernetzten Ernährungswirtschaft wird
sich der Einfluss der Gentechnik auf die
Lebensmittelproduktion nicht aufhalten lassen. Aber
wir müssen dafür Sorge tragen, dass eine genetisch
unveränderte Nahrungsmittelproduktion erhalten bleibt
- und damit die Wahlfreiheit für Landwirtschaft und
Verbraucher. Darin sind wir uns einig mit den
Interessenvertretungen der Landwirtschaft und der
Verbraucher.

Es geht um die Kennzeichnung von Saatgut - nicht um
das Für oder Wider der Gentechnik!

Wo Gentechnik drin ist, muss auch Gentechnik
draufstehen: Wir wollen eine klare Kennzeichnung von
Saatgut ab der Nachweisgrenze von 0,1 Prozent GVO.

 

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