21.08.2006

Handy frittiert Gehirn

Max-Planck-Forscher: 100 Grad in der Zelle

Neue Forschungen am Max-Planck-Institut in Golm bei Potsdam zeigen, daß menschliche Zellen beim Telefonieren mit dem Handy viel stärker erhitzt werden als bisher angenommen.

In einer Forschungsarbeit, die in Bälde veröffentlicht wird, haben ForscherInnen um den Direktor des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung Markus Antonietti gezeigt, daß die Strahlung von Handys beim Telefonieren die Synapsen im Gehirn aufheizt. Und nicht etwa wie bisher angenommen um höchstens ein Grad, sondern auf 100 Grad.

Die größte Studie jedoch, die derzeit im Gange ist und die das Ausmaß der Langzeitgefahren beim Telefonieren mit Handy zu Tage fördern wird, ist der inzwischen weithin verbreitet alltägliche Gebrauch durch Millionen Menschen in den Industrienationen. Niemand scheint sich bisher für die Risiken wirklich zu interessieren. Menschen ohne Handy werden inzwischen beinahe als Exoten angesehen. Die Tarife sinken, das Einstiegsalter bei Jugendlichen ebenfalls. Der Durchschnittsmensch hierzulande nutzt das Handy nicht weniger, sondern mehr. Absurder Weise besagen repräsentative Umfragen zur gleichen Zeit: Über die Hälfte der Befragten sind der Ansicht, daß Handys ein gesundheitliches Risiko darstellen. Ist das Telefonieren mit dem Handy ähnlich riskant wie Rauchen?

Kritische Studien werden unterdrückt. Dennoch haben eine Vielzahl von Studien inzwischen unzweideutig belegt, daß starke elektromagnetische Strahlung bei den handytypischen Frequenzen von einem bis zwei Gigahertz das Gewebe erwärmt. Dabei wurde jedoch bisher meist nur die Durchschnitts-Temperatur erforscht. Kurzzeitig können jedoch - wie die Arbeit der Max-Planck-FoscherInnen zeigt, sehr viel höhere Temperaturen auftreten.

Nicht mehr zu leugnen war ebenfalls das Ergebnis vieler Studien, wonach die DNA in Zellen, die elektromagnetischer Strahlung in der für Handys typischen Art ausgesetzt waren, häufig zerstört wird. 1 So hat eine internationale Gruppe von ForscherInnen im Auftrag der EU vor zwei Jahren die 'Reflex'-Studie vorgelegt, wonach Handystrahlung in menschlichen Zellen genetische Schäden verursacht. Eine mögliche Ursache für Krebs, dessen Entwicklung sich über Jahre hinziehen kann. In der 'Reflex'-Studie wurden Strahlungsleistungen weit unterhalb des gesetzlichen Grenzwerts von 2 Watt pro Kilogramm. Schon ab 0,3 Watt hatten die Wissenschaftler DNA-Schäden gemessen. Die meisten Handys strahlen stärker.

In Österreich wurden - anders als in Deutschland unter "Rot-Grün" - Konsequenzen gezogen: Die Wiener Ärztekammer nahm die Studien zum Anlaß, Kinder wenigstens vor "übermäßigem" Handytelefonieren zu warnen. "Würden Medikamente dieselben Prüfergebnisse wie Handystrahlen liefern, müßte man sie sofort vom Markt nehmen", erklärte der österreichische Referent für Umweltmedizin.

Bereits 2003 hatte eine Gruppe von ForscherInnen der Abteilung für Klinische Chemie des Klinikums der FU Berlin Chromosomen-Schäden als Folge von Handystrahlung nachgewiesen. Markus Antonietti ist sich der Brisanz der neuen Studienergebnisse bewußt und ließ daher die Experimente von zwei Professoren von der FU Berlin und der Universität Leipzig überprüfen, von denen einer auch für Firmen der Handy-Branche arbeitet.

Die Max-Planck-ForscherInnen in Golm bei Potsdam interessierten sich besonders für die Reaktion von Nervenzellen und Synapsen auf die Handystrahlung. An Zellen läßt sich allerdings kein Thermometer anbringen. Antonietti und seine KollegInnen wenden daher folgenden Trick an. Sie bilden die Zellmembranen mit winzigen Fetttröpfchen in Salzwasser nach. An diesen lagern sich Ionen an, und durch eine Veränderung der Salzkonzentration und der Tröpfchengröße läßt sich die Reaktion von biologischem Gewebe auf Handystrahlung studieren. Dabei mußten sie zu ihrem Schrecken feststellen, daß Temoperaturspitzen von 100 Grad auftreten. Mit leichen Erwärmungen war gerechnet worden - jedoch nicht in dieser Größenordnung. Antonietti sagt hierzu: "Da wird hundertmal so viel Energie absorbiert wie bisher gedacht. Das ist ein Horror."

Der Direktor des Max-Planck-Instituts ist dennoch vorsichtig: "Die Mobilfunkindustrie hat gute Anwälte." Doch zumindest sei nunmehr geklärt, auf welche Weise die bereits bekannten Zellschädigungen zustande kommen. Allerdings führt nicht jede DNA-Schädigung zu Krebs. Jede menschliche Zelle muß täglich mehrere tausend DNA-Schädigungen verschiedenster Ursachen bewältigen. Allein rund 200 Gene haben die Aufgabe, solche Reparaturen zu steuern. Die Art der Schädigung ist also der entscheidende Punkt, an dem weiter geforscht werden muß.

Kann bis dahin also weiterhin munter das Handy benutzt werden? Wenn Antonietti dieser Tage Vorträge vor KollegInnen an anderen Universitäten hält, erfährt er oft in persönlichen Gesprächen, daß WissenschaftlerInnen privat nicht unbedingt rational handeln. Antonietti sagt: "Manche von denen telefonieren jetzt weniger."

 

Adriana Ascoli

 

Anmerkungen

1 Siehe auch unsere Beiträge:

      'Langzeit-Studie bestätigt
      Gesundheitsrisiken von Handys' (21.12.04)

      'Krebs durch Mobilfunk?' (7.08.03)

Siehe auch die weiteren Beiträge:

      'Vor vollendete Tatsachen gestellt' (12.10.05)

      'Erhöhte Krebsrate im Nahbereich von Strom-Masten' (5.06.05)

      'Handy auf dem flachen Land - hohes Hirntumor-Risiko' (17.05.05)

      'Gehirnschäden durch Handy und Föhn' (22.02.04)

 

neuronales Netzwerk