9.07.2003

Interview

Hindukusch im Kongo?
Friedenspolitik à la "Rot-Grün"

Nachdem bereits französische Truppen in den Kongo entsendet wurden, hat sich der deutsche Bundestag mit Beschluß vom 19. Juni dieser neuen Art von "Befriedungspolitik" in Afrika angeschlossen. Im Kongo tobt seit Jahren ein Bürgerkrieg, aber erst jetzt ist das europäische Interesse geweckt worden1. Laut Minister Struck, oberstem Chef der deutschen Streitkräfte, müsse Deutschland neuerdings auch "am Hindukusch veteidigt" werden. Ist der Hindukutsch im Kongo zu finden ? Warum ist bislang von der Friedensbewegung zum Kongo-Einsatz der Bundeswehr so wenig zu hören ?

Ein Interview mit Christiane Hechler vom Freiburger Friedensforum

Als der Bundestag im Juni den jüngsten Afrika-Einsatz der Bundeswehr beschlossen hat, gab es keine Protestaktionen der Friedensbewegung. Warum nicht?

Christiane Hechler:
Die Friedensbewegung in Freiburg ist noch mit der Aufarbeitung des Irak-Krieges beschäftigt. Dabei stehen viele Fragen zur strategischen und inhaltlichen Ausrichtung im Raum: Bedingungen für Aktionsbündnisse, dauerhafte Einbindung von Menschen in die Friedensbewegung, systemkritische Fragestellungen oder Suche des kleinsten gemeinsamen Nenners, Reaktionen auf die Etablierung von Präventivkriegen als Modell für künftige Kriege. Dazu finden derzeit Diskussionen statt, die noch nicht abgeschlossen sind.

Tatsache ist, daß in Afrika zwar viele humanitäre und kirchliche Organisationen Hilfe leisten, gerade auch bei Kriegs- und Bürgerkriegsopfern, Afrika im Bewußtsein vieler Menschen aber der vergessene Kontinent ist, der allenfalls im Rahmen von Spendenaufrufen für die Not leidende Zivilbevölkerung in den Blick rückt. Kolonialismus und Neokolonialismus in Afrika sind leider nicht mehr die breit diskutierten Themen wie zu Zeiten der Kämpfe um nationale Unabhängigkeit in den ehemaligen portugiesischen Kolonien. Das gilt leider auch für große Teile der Friedensbewegung. Hinzu kommt, daß wir es immer weniger mit Kriegen zwischen Nationalstaaten zu tun haben, sondern mit oft schwer durchschaubaren Formen von privatisierter Gewalt: Rebellenarmeen, die militärisch, politisch und organisatorisch von verschiedenen westlichen Staaten unterstützt werden, in den Medien oft dargestellt als Kämpfe zwischen rivalisierenden Stämmen. Wenn wir aber den Anspruch haben, den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen und für zivile Konfliktlösungen und Gerechtigkeit weltweit einzutreten, dürfen wir dazu nicht schweigen und müssen auch unseren Blick auf die Kriege in dieser Region richten. Zumindest für das Freiburger Friedensforum kann ich sagen, daß diese Problem gesehen und angegangen wird.

Die Kongo-Mission steht weder unter UN- noch unter Nato-Mandat, sondern ist ein Einsatz der EU unter Führung Frankreichs. Ist dies ein erster Probelauf der kürzlich gegründeten EU-Interventionsarmee?

Ja, das sehe ich so. Die UNO ist geschwächt, die USA sind noch mit dem Irak-Krieg und der Etablierung des Besatzungsregimes beschäftigt, also haben die Europäer die Chance ergriffen, sich in Zentralafrika politische Einflußsphären zu sichern. Besonders perfide ist, daß die alten Kolonialmächte Frankreich, Belgien und Deutschland an vorderster Front mitmischen und ihre alte Politik fortsetzen. Sie versuchen verstärkt, in Zentralafrika Fuß zu fassen. Unter dem Deckmantel der Friedenssicherung werden ökonomische Interessen verfolgt. Es geht um die Sicherung wertvoller Bodenschätze, wie Diamanten, Gold, Kupfer, Kobalt, Erdöl und vor allem Coltan, das im chemischen Anlagenbau, in der Raumfahrtindustrie und in der Computer- und Kommunikationstechnologie verarbeitet wird. 80 Prozent des weltweit vorhandenen Coltans befindet sich im Kongo. Es ist ein heiß begehrter Rohstoff, dessen Preis pro Kilo Ende 2000 bei 360 US-Dollar lag, denn es ist auch ein unverzichtbarer Bestandteil von Spielkonsolen und Handys. Fett im Coltan-Geschäft sind neben US- auch deutsche Firmen, wie etwa die Bayer-Tochter H.C. Starck. Das erklärt vielleicht auch das deutsche Interesse an dieser Region.

Welche Alternativen gibt es denn zum Militäreinsatz?

Zu befürchten ist, daß der Einsatz der europäischen Interventionsarmee die Gewaltspirale in der Region weiter anheizen und nicht zu Frieden führen wird. Nötig wäre die Entwaffnung der Milizen und der Aufbau einer Zivilgesellschaft, das heißt auch ein ökonomischer Umbau der Gesellschaft auf demokratischer Grundlage.

Zur Zeit fließen die Gewinne aus den Rohstoffexporten in den Norden, und von dort werden auch die Waffen geliefert, um die Kriege fortzusetzen. Damit profitiert der Norden doppelt. Mittlerweile sind über 3 Millionen Menschen in dem kongolesischen Bürgerkrieg abgeschlachtet worden. Es herrscht eine wahnsinnige Gewalt, und die europäischen Regierungen spielen sich nun als Friedensengel auf, obwohl sie an dieser Kriegsökonomie gut verdienen und mit Waffenexporten den Bürgerkrieg anheizen. Die europäische Interventionsarmee sichert nicht den Frieden, sondern schützt die Interessen der Konzerne, die im Kongo gute Geschäfte machen. Nötig wären daher auch Sanktionen gegen die beteiligen Firmen. Kritik an der Rohstoffausbeutung und dem Krieg in Zentralafrika wird bereits seit langem von einem breiten Bündnis kirchlicher und humanitärer Gruppen geübt, bislang jedoch ohne große Wirkung. Um so mehr sehe ich daher die Friedensbewegung in der Pflicht, sich ebenfalls zu engagieren.

Derzeit sind rund 8.700 deutsche Soldaten im Auslandseinsatz, innerhalb von zehn Jahren hat sich die Zahl verhundertfacht. Die deutsche Öffentlichkeit hat sich mittlerweile an den Anblick deutscher Soldaten in Afghanistan, in Bosnien oder im Kosovo gewöhnt. Frieden schaffen nur noch mit Waffen, so lautet die Botschaft der rot-grünen Bundesregierung....

Es ist signifikant, daß gerade unter der rot-grünen Bundesregierung die Zahl der Auslandseinsätze der Bundeswehr dramatisch gestiegen ist, ebenso wie die Rüstungs- und Waffenexporte. Daß dies unter einer rot-grünen Regierung möglich sein würde, erschien mir früher undenkbar. Wir müssen gegen diese Kriegs- und Militärlogik, die uns von Schröder und Fischer als ultima ratio verkauft wird, gewaltfreie Alternativen setzen, Konzepte einer Welt ohne Waffen und mit gerechten Strukturen für alle. Unsere Aufgabe ist, zu informieren, wo wie viele deutsche Soldaten stationiert sind. Und was sie in den jeweiligen Regionen zu suchen haben, am Hindukusch, im Kongo usw... Dabei müssen wir auch über die Kriegsursachen aufklären. Auf der anderen Seite schottet sich die "Festung Europa" gegen Flüchtlinge ab, die gerade wegen der Kriege und des Zusammenbruchs der Ökonomien in ihren Heimatländern bei uns um Asyl nachsuchen. So sind wir direkt konfrontiert mit diesen Kriegen. Auch befürchte ich, daß durch eine fortgesetzte Ausplünderung und Formen der militärischen Konfliktlösung durch europäische Staaten in Zentralafrika und anderen Teilen der Welt diese Konflikte als Haß und Terror auf uns zurückschlagen werden. Nur eine gerechte Verteilung der Reichtümer in Afrika und anderswo kann Frieden schaffen. Da stellt sich die Frage, wie wir unserer Verantwortung nachkommen und unserer Solidarität Ausdruck geben. Auch den Zusammenhang von Aufrüstung und Militarisierung auf der einen Seite und dem massiven Sozialabbau auf der anderen Seite müssen wir herstellen. Dort werden Millionensummen verschleudert, um die Interessen der Konzerne zu sichern, hier wird das Geld bei Kindergärten, Schulen, Arbeitslosen, Kranken und alten Menschen radikal zusammengestrichen. Das bietet thematische Anknüpfungspunkte auch für die Friedensbewegung.

Danke für das Gespräch.

 

Fragen: Martin Höxtermann

Wir danken Christiane Hechler und Martin Höxtermann für die Überlassung dieses Textes.

Das Freiburger Friedensforum trifft sich jeden zweiten Donnerstag, 18 Uhr, im Friedenszentrum, Stühlingerstraße 7, 79106 Freiburg

Anmerkung:
1 Siehe auch unser Artikel
'Was macht den Kongo plötzlich so interessant?'
Eine ausführlichere Version dieses Artikels, in der am Beispiel Coltan die Verbindung zwischen dem Kongo und internationalen Konzernen konkret beschrieben wird ist hier zu finden.

 

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