14.09.2004

Rede

von Martin Klauss
auf der Montags-Demo

alternativlos?

Ich möchte mit einem Vorschlag beginnen: einem Vorschlag an die Gesellschaft für deutsche Sprache, einem Vorschlag für das Unwort des Jahres 2004, ja eigentlich das Unwort des Jahrzehnts oder der letzten beiden Jahrzehnte...
Ich möchte vorschlagen das Wort: 'alternativlos'

'alternativlos': ein Lieblingswort von Schröder, Müntefering und Fischer, ein Lieblingswort nahezu aller Medien, aber auch ein besonders beliebtes Wort der GRÜNEN - nicht nur in Berlin. Auch die Freiburger Giftliste mit der Schließung von Bädern und der Abschaffung von Arbeitslosen- und Sozialpaß und vielem mehr war laut grünem OB und grüner Fraktion 'alternativlos'; und die Wenigen, die dies anders sahen, einfach politikunfähig und unverantwortlich.

'alternativlos' ist ein Unwort. In der Tat, das gibt es einfach nicht: keine Alternative; wirklich alternativlos ist das Wetter und der Tod; zu jeder Entscheidung aber gibt es mindestens eine Alternative. Das haben Entscheidungen so an sich. Sonst wären sie keine. Wer also behautet, seine Entscheidungen seien 'alternativlos', der oder die lügt! Bleibt nur die Frage: Warum?

Um diese Frage zu beantworten, muß man genauer hinschauen, welche Entscheidungen als alternativlos deklariert werden. Da gibt es einige Auffälligkeiten:

1. Sie sind nie zum Schaden derer, die diese Entscheidungen treffen. PolitikerInnen gehören bei uns eigentlich nie zu den Gruppen, die von 'alternativlosen' Entscheidungen getroffen werden...
2. Sie fügen auch denen, die von diesen PolitikerInnen als besonders wichtig - und deshalb pfleglich zu behandeln - eingeschätzt werden nie einen auch nur kleinen Schaden zu - im Gegenteil und
3. sie begünstigen fast immer einen bestimmten, immer den gleichen Personenkreis.
4. Und: der Begriff 'alternativlos' soll immer ablenken von der eigentlich offensichtlichen Vertretung oder Durchsetzung bestimmter Interessen.

Hartz IV, das ist auch so ein Fall von 'alternativlos', aber längst nicht der erste (und wenn wir uns nicht irgendwann endlich durchsetzen, auch längst nicht der letzte). Auch andere Entscheidungen, die scheinbar nichts mit aktuellem Sozialabbau zu tun haben, tragen den selben Aufkleber.

'alternativlos' war vor Jahren angeblich die faktische Abschaffung des Asylrechts, genauso 'alternativlos', wie die Absenkung der Sozialhilfe für Asylbewerber und wie die Freßpakete,
'alternativlos' war der Angriffskrieg gegen Jugoslawien und die deutsche Beteiligung am Krieg gegen Afghanistan.
'alternativlos' war die Einschränkung von Bürgerrechten zum Schutz vor Terrorismus, und 'alternativlos' ist die Ausgrenzung von MigrantInnen und Flüchtlingen und Menschen ohne Papiere.

(Es gibt ja bekanntlich nur eine bestimmte Sorte von Flüchtlingen, mit denen sehr pfleglich und zuvorkommend umgegangen wird, und deren nachhaltig kriminelle Aktivitäten auch unter Rot-Grün keinesfalls zu einer Minderung der Wertschätzung führt: das sind die Steuerflüchtlinge...)

'alternativlos' war, so behaupten sie auch die Steuerreform 2000, die Praxisgebühr und die Rentenkürzung. Und jetzt also auch Hartz IV.

Ich möchte Euch zu dieser allseits behaupteten Alternativlosigkeit ein paar Zahlen vortragen, auch wenn diese manchen schon bekannt sein werden:

Es stand in keinem Wahlprogramm als Ziel, es hätte auch niemand als Ziel gerade einer rot-grünen Regierung vermutet: Sie haben es erreicht: Wir sind dank Rot-Grün (fast) die Besten bei den Steuern.
Wir stehen praktisch auf dem ersten Platz bei den Steuern in Europa. Im Klartext: in keinem Land werden so wenig Steuern gezahlt wie bei uns. Die Steuerquote wurde seit 2000 von 23 Prozent auf den Rekordwert von 20,38 Prozent heruntergedrückt.

Das gibt es sonst nirgends und das gab es auch bei uns noch nie. Selbst Kohl schaffte mit seinen Steuergeschenken an die Besserverdienenden (Ihr erinnert Euch: Millionäre zahlen halt keine Steuern - deshalb sind sie ja Millionäre, das war der Slogan der Ära Kohl) selbst Kohl schaffte es gerade mal auf schlappe 21,6 Prozent bei der Steuerquote im Jahr 96 - und wurde zwei Jahre später abgewählt von Millionen von Menschen, die es den Grünen und der SPD geglaubt hatten, daß sie mit diesen skandalösen Steuergeschenken, mit diesem Verschleudern öffentlichen Eigentums in Form von Verzicht auf Steuereinnahmen Schluß machen wollten.

Alternativlos??? 56 Milliarden Euro hätten wir jährlich mehr in den öffentlichen Kassen, die einfachen Leute hätten nicht weniger als jetzt, den Konzernen mit hohen Gewinnen und ihren Aktionären und den besserverdienenden Teilen der Gesellschaft würde einiges fehlen, wenn es Rot-Grün wenigstens bei den Steuersätzen von 2000 belassen hätten.
Sie haben sich anders entschieden: vier mal wurde der Spitzensteuerssatz gesenkt und die Körperschaftssteuer... Weiß denn noch jemand, was das einmal war???

Das gleiche nochmals, ein bißchen im Detail:
Wir haben hier drei Bundestagsabgeordnete in Freiburg. Die haben mitbeschlossen, daß im Januar 2005 zwei Gesetze gleichzeitig in Kraft treten, die natürlich sehr viel miteinander zu tun haben und die finanziell in etwa das gleiche Volumen ausmachen.
Über Hartz IV sollen bis zu 5 Milliarden Euro den Arbeitslosen weggenommen, gleichzeitig durch die letzte Stufe der Steuerreform 6,5 Milliarden Euro hauptsächlich zur weiteren Senkung des Spitzensteuersatzes an die oberen Teile der Gesellschaft verteilt werden. Ich schlage vor, daß jede und jeder, der oder die durch Hartz IV einen Teil der Arbeitslosenhilfe oder auch alles gestrichen bekommt, jetzt eine Postkarte oder einen Brief schreibt an die Bundestags- abgeordneten Gernot Erler, Kerstin Andreae und Conny Mayer mit der Aufforderung:
Ich erwarte von Ihnen eine schriftliche Begründung dafür, daß sie für sich selbst zum 1.1.2005 eine Erhöhung Ihrer Nettoeinkünfte um (bis zu) 140 Euro monatlich in Form einer Steuerermäßigung mitbeschlossen haben, was offensichtlich dadurch gegenfinanziert wird, daß (ebenfalls mit Ihrer Zustimmung) mir vom Lebensnotwendigen ein wesentlicher Teil oder gar alles gestrichen wird.

Dazu eine kleine Info: Bei 7.000 Euro zu versteuernden Diäten bringt die letzte Stufe der Steuerreform zum 1.1.2005 (ohne weitere steuerliche Besonderheiten) einem / einer Bundestagsabgeordneten monatlich zusätzlich 142 Euro, zusammen mit den 166 Euro vom letzten Januar macht das pro Kopf und Monat mehr als 300 Euro zusätzliches Nettoeinkommen.

Enden sollte das Schreiben mit der Aufforderung zu einer schriftlichen Antwort und der Aufforderung, statt der gefaßten Beschlüsse die einfachste aller Alternativen zu wählen:
Beide Gesetze müssen weg. Sofort.

Und dann beginnen wir - zusammen mit den Menschen in diesem Land, neu nachzudenken. Über Alternativen.

Mit einer Frage möchte ich schließen, einer Frage, die mir sehr wichtig scheint. Ich möchte uns fragen:
Wie weit ist diese Alternativlosigkeit bereits in unseren Köpfen angekommen?
- auch bei denen, die wir hier demonstrieren?
Glauben wir tatsächlich, daß wir das erreichen werden, was wir vorgeben, erreichen zu wollen?

Und: Gibt es sie tatsächlich in unseren Köpfen, Alternativen zu all dem, was uns als alternativlos präsentiert wird?
- Eine Alternative zur Ausgrenzung von Flüchtlingen und anderen?
- Eine Alternative zur Militarisierung der Politik?
- Eine Alternative zum Abbau von Rechten von Menschen, die hier
    leben? - auch des Rechts für alle auf ein menschenwürdiges Leben?

oder kurz gefaßt:
- gibt es - in unseren Köpfen wenigstens - die Ahnung einer Alternative zum alltäglichen und allseits präsenten Kapitalismus?

Ich danke fürs Zuhören.

 

Martin Klauss

Redebeitrag für die Linke Liste / Solidarische Stadt zur Montags-Demo am 13.9.04 in Freiburg

 

neuronales Netzwerk