27.01.2004

Der Kopftuch-Streit
à la française

Frankreichs Laizisten drehen durch

"Die spinnen, die Franzosen", möchte man mit Obelix sagen. Nachdem sich Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac für ein allgemeines Kopftuchverbot nicht nur für Lehrer , sondern auch für Schüler/innen an Frankreichs öffentlichen Schulen stark gemacht hatte, ist offensichtlich eine neue Art von Kulturkampf entbrannt, der die ganze Absurdität dieses laizistischen Fundamentalismus zum Ausdruck bringt. Natürlich kann man nicht nur gegen islamische Kopftücher vorgehen. Eine solche Forderung wagt in Frankreich kaum einer zu erheben, denn in Frankreich herrscht seit der Großen Revolution eine ganz andere Tradition als in Deutschland - eine Tradition, die nicht etwa nur die Trennung von Kirche und Staat beinhaltet, sondern darüber hinaus jede Art von religiöser Symbolik strikt in den reinen Privatbereich verbannt, vergleichbar allenfalls mit der kemalistischen Tradition in der Türkei, die ja vor 80 Jahren explizit angetreten war mit dem Anspruch, die Türkei aus ihrer islamisch-morgenländischen Verankerung zu lösen und zu "verwestlichen".

In Frankreich ist der Laizismus quasi Staatreligion. Doch die Pläne des Präsidenten, so sehr sie dessen gaullistisch-jakobinischer Herkunft entstammen, haben es in sich. Erziehungsminister Luc Ferry machte jetzt vor der französischen Nationalversammlung darauf aufmerksam, was für Konsequenzen diese - von einer breiten Mehrheit getragenen - Schritte praktisch haben würden. Wenn das Kopftuch untersagt wird, müssen konsequenterweise alle auffälligen religiösen Symbole untersagt werden, das betrifft nicht nur so extravagante Trachten wie sie auch in der BRD ins Spiel gebracht wurden wie Kreuze oder gar Ordenstrachten, sondern beispielsweise auch die Turbane der Sikhs, die jüdische Kipa, bestimmte Barttrachten, die religiöse Bedeutung haben, konsequenterweise auch die langen Haare und die Vollbärte der Sikhs. Darf also ein Sikh keine langen Haare tragen, ein klar erkennbarer Nicht-Sikh aber wohl, oder muß das alles verboten werden oder müßte ein langhaariger Sikh zum Beweis, daß er kein Sikh mehr ist wie zu Kaiser Decius' Zeiten auf den Symbolen seiner "ehemaligen" Religion herumtrampeln und sagen: "Ich verfluche Dich", um wieder zu dürfen. Man kann sich die Zustände an den Schulen vorstellen, wenn tatsächlich irgendein Depp versuchen sollte, diesen Quatsch Realität werden zu lassen.

Spötter könnten darauf hinweisen, daß dann alle Menschen an den Schulen aussehen müßten wie Filialleiter der Banque Sogenal, aber selbst das wäre falsch, denn so "normal" sehen beispielsweise wiederum die Mormonen aus und insofern wäre überhaupt kein Outfit mehr erlaubt.

Das Schlimme ist, Ferry stieß auf vollkommenes Unverständnis bei seinen Abgeordneten-Kollegen, obwohl ihm Innenminister Nicolas Sarkozy beisprang.

Hinter dieser bemerkenswerten Unruhe steckt aber natürlich mehr als der traditionelle französische Nationaljakobinismus, der es geschafft hat, zum Teil extrem konservative Inhalte mit der Symbolik der Revolution zu verbinden. Es ist die sich verquer äußernde Angst vor dem Erstarken des islamischen Fundamentalismus, der - in ganz anderer Weise als in Deutschland - schon zur Ghettobildung und separaten Parallelgesellschaften geführt hat, was sich nur gelegentlich in spektakulären "Rassenunruhen" entlädt und ansonsten eher stillschweigend die französische Normalität bestimmt. Aus dieser Angst speist sich auch das bemerkenswert große Lager der Anhängerschaft Le Pens, dessen vor einiger Zeit vorausgesagtes Ende nach der Parteispaltung bisher ausgeblieben ist. (Im Gegenteil: Während Le Pens Partei wieder ihre alte Stärke erreicht hat und Le Pen sogar in die Stichwahl gegen Chirac gehen konnte, ist sein Gedankengut längst in andere Parteien eingesickert, und zwar keineswegs am Rande). Doch wie so oft, wenn political correctness die Diskussion bestimmt statt nüchternem Nachdenken, entwickelt sich die Gesamtlage irrational und aggressiv.

Man kann nur hoffen, daß die französische Gesellschaft die Kraft zurückfindet, mit der Herausforderung des vordringenden Islam rational umzugehen. Sonst droht dem Land ein schlimmer Kulturkampf, der die Atmosphäre auf Jahre hinaus vergiften könnte.

 

Manuela Fresnick

 

Anmerkung:
Siehe auch unsere Artikel
      Zwang zur Kopftuch-Freiheit? v. 17.07.2003
und
      Keine Kopftuch-Schnüffelei v. 2.12.2003

 

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