3.06.2005

Badische Zeitung
schaut weg bei Völkermord

Botswana wird als "Musterländle" dargestellt - kein Wort über den schleichenden Genozid an den !Kung1

Am 2. Juni erschien in der 'Badischen Zeitung' ein Artikel von Johannes Dieterich unter der Überschrift "Aids ist ein Problem, aber sonst ist Botswana ein Musterland". Von "üppigen Diamantenvorkommen" ist darin zu lesen und von einer "sauberen Regierung". Kein Wort hingegen von den !Kung.

Im Falle des Kosovo oder - wie noch vor einem Jahr - im Falle des Sudan war die 'Badische Zeitung' schnell bei der Hand, PolitikerInnen oder die "humanitäre" Gattin eines Ex-Ministers mit der Vokabel "Völkermord" zu zitieren, auch wenn dies nicht den Fakten entsprach. In Botswana ist die Vernichtung der !Kung bereits im Endstadium. Die Diamanten-Vorkommen liegen in ihren traditionellen Gebieten. Auch heute werden sie immer wieder unter grotesken Vorwänden vertrieben, ihrer Kultur beraubt und dem Alkohol überantwortet.

Im einen Fall werden "humanitäre Katastrophen" herbei geredet, um einen Vorwand für "robuste Interventionen" zu schaffen. Doch das Interesse gilt nicht den Menschen, sondern den Bodenschätzen. Das Regime des Sudan ist nicht bereit, die reichen Erdöl-Vorkommen westlichen Mineralöl-Konzernen zu überlassen und zieht es vor, die Schätze des Landes gewinnbringend überwiegend an China zu verkaufen. Deshalb werden Rebellentruppen finanziert und "ethnische Konflikte" geschürt. Und wenn das inopportune Regime nicht hinweg geputscht werden kann, muß es als "ultima ration" mit Hilfe der heute viel gepriesenen "friedensstiftenden Mission" - also militärisch - durch ein genehmes Regime ersetzt werden.

Im Falle von Ländern wie Botswana hingegen, wo das herrschende Regime mit westlichen Konzernen kooperiert, könnte es sich geschäftsschädigend auswirken, wenn allzu viel über dessen Greueltaten bekannt würde.

Johannes Dieterich schreibt in der 'Badischen Zeitung' über Botswana: "Das ethnisch homogene Land wird praktisch nur von einem Volksstamm bewohnt und hat hauptsächlich deshalb eine friedliche Vergangenheit." Dabei weiß Johannes Dieterich von den !Kung. Er selbst hat am 5.04.03 als Afrika-Korrespondent der 'Frankfurter Rundschau' unter dem Titel "Ein Kaktus aus Südafrika soll übermäßigen Hunger stillen" über die !Kung - anderer Name: "San" - berichtet. Dabei ging es um die damals von der Weltöffentlichkeit wahrgenommene Ausbeutung des pharmakologischen Erfahrungsschatzes dieser Ethnie. Der Multi Pfizer (bekannt durch 'Viagra') hatte sich des Patents auf den Wirkstoff einer Pflanze bemächtigt. Dieterich stellt die im Nachhinein mit den !Kung eingegangene Vereinbarung recht schmeichelhaft für den Konzern dar.

Doch auch die Ausplüderung der Diamanten-Vorkommen in Botswana malt Dieterich in leuchtenden Farben: "Die weltweit wertvollsten Quadratmeter Grundbesitz befinden sich in Afrika am Rande der Wüste Kalahari in Botswana. Dort befördern Kipplaster in der Größe zweistöckiger Häuser und mit Reifen von drei Metern Durchmesser mit jeder Fuhre 240 Tonnen Gestein aus einem rund 50 Fußballfelder großen und inzwischen 200 Meter tiefen Loch: In der Mine Jawaneng werden Jahr für Jahr Diamanten im Wert von über einer Milliarde Dollar gewonnen." Die "grüne" Uschi Eid, Parlamentarische Staatssekretärin im 'Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit' steht jubelnd am Rand der Grube und wird von Dieterich mit den Worten zitiert: "Auf diesem Flecken Erde ist soviel Reichtum versammelt, wie man sich das kaum vorstellen kann." Und ob es sich bei der im selben Abschnitt in Anführungszeichen gesetzten Charakterisierung Botswanas als "Musterländle" um einen Geistesblitz der baden-württembergischen Politikerin oder um eine objektive Würdigung durch den Journalisten Dieterich handelt, bleibt unerfindlich. Doch eine erhellende Wortschöpfung geht eindeutig auf die "grüne" Uschi Eid zurück: Statt von Konzernen oder Unternehmern spricht sie neuerdings von "Entrepreneuren".

Dieterich scheut denn doch davor zurück, das Regime in Botswanas Hauptstadt Gaborone als demokratischen Regierung zu bezeichnen, schreibt aber von einer "verantwortungsvollen Politikerkaste". Als einziges Problem des südafrikanischen Staates wird die starke Ausbreitung von AIDS geschildert. Kein Wort über die !Kung.

Die Ethnie der !Kung lebte seit Jahrtausenden traditionell nomadenhaft im Dobe-Gebiet (zu drei Viertel in Botswana, einem Viertel in Namibia gelegen). Sie versucht, ihr Recht, dort zu leben, wiederzuerlangen. Bei den !Kung handelt es sich neben den autralischen Aborigines um sogenannte primitive Jäger und Sammler und zugleich eine der ältesten menschlichen Ethnien unseres Planeten.

Der Oberste Gerichtshof von Botswana beschäftigt sich seit Juli 2004 mit der Forderung von 243 Angehörigen der !Kung. Die Bedingungen, unter denen das Gerichtsverfahren stattfindet (in einer abgelegenen Region im Westen, ohne Telefon, ohne Nachrichtenverbindungen) und die absolute Geringschätzung des Regimes gegenüber dem Rechtsanspruch und den Grundrechten der Bevölkerung lassen keine optimistischen Erwartungen zu. Dennoch hat das Verfahren einen Teil dazu beigetragen, die extreme Situation, in der sich die Überlebenden der !Kung befinden, öffentlich zu machen.

Bekannt wurden die !Kung zeitweilig durch das Buch "Nisa erzählt", das in der US-amerikanischen Erstausgabe 1981 unter dem Titel "Nisa. The Life and Words of a !Kung Woman" erschienen war. Die Ethnologin Marjorie Shostak hatte den Lebensbericht einer vermutlich 1921 geborenen Angehörigen der !Kung niedergeschrieben. Es handelt sich um ein Werk von kulturhistorisch unschätzbarem Wert.

Derzeit leben noch ungefähr 100.000 Angehörigen der !Kung (20.000 den botswanischen Behörden zufolge) hauptsächlich im Gebiet von Botswana und Namibia. In früheren Zeiten nahmen sie einmal die ganze südafrikanische Region ein, wo sie vom Jagen und Sammeln lebten. Verfolgungen, Massaker und anderes Unheil, das direkt aus der Zerstörung ihrer Lebensformen resultierte, haben jedoch ihre Zahl drastisch reduziert. Seit dem 18. Jahrhundert wurden auf den Territorien des heutigen Südafrika Treibjagden veranstaltet, um sie zu ermorden oder gefangenzunehmen und zu versklaven. Außerdem wurden sie von den Portugiesen in ihre Armee eingegliedert. Es gab keine Kolonialmacht in der Region, die nicht die Rechte der !Kung verletzt hätte. Eine dieser Kolonialmächte war Deutschland mit seiner ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, heute Namibia. Das heute noch gebräuchliche Schimpfwort "Hottentotten" stammt von daher.

In den letzten Jahren jedoch waren es die Behörden Botswanas, die sich am meisten darum bemühten, das jahrhundertelange Werk der Ausrottung der !Kung zu Ende zu führen. 1997 vertrieben Regierungsmilizen, Polizei und Militärs mehrere Tausend der !Kung aus der Reservation Zentral-Kalahari, in der sie eingeschlossen waren. Es war nur der Anfang einer Verfolgung, die sich systematisch über Jahre hinzog. Im März 2002 begann die letzte Phase, als 2000 der !Kung gewaltsam aus der Reservation forgebracht wurden. Denen, die sich widersetzten, wurden gesundheitliche Betreuung und Wasser entzogen. Die "Politikerkaste" Botswanas führt ökonomische Gründe ins Feld, die die Versorgung dieser Gegend erschweren würden. Die Europäische Union hatte sich zwar angeboten, für die Kosten aufzukommen. Diese Hilfe wurde aber vom botswanischen Regime abgelehnt.

Die Zentralverwaltung argumentiert, daß die !Kung gegen die festgesetzten Begrenzungen der Jagd in diesem Gebiet des Landes verstoßen hätten. Nach dem Verlust ihres angestammten Landes mußten die !Kung absurder weise erleben, wie ihnen nur maximal drei Stück Wild pro Jahr zur Jagd freigegeben wurden - eine Quote, die ganz offensichtlich unzureichend zum Leben ist. Außerdem handelte es sich um Arten, die nicht vom Aussterben bedroht sind. Obendrein richteten das Regime Botswanas in dieser Gegend noch mehrere Jagd-Camps für westliche TouristenInnen ein.

Es ist klar, daß mit der Jagd im Rahmen des Tourismus, so lukrativ sie auch sein mag, dieses rabiate Bestreben, die !Kung zu vertreiben und damit ihre Lebensformen zu vernichten, nicht erklärt werden kann. Wie so oft stehen hinter Geringschätzung und Rassismus handfeste wirtschaftliche Interessen. Mit dem trügerischen Argument ihrer "Zivilisierung" sind die Behörden bestrebt, das Gebiet der Reservation Zentral-Kalahari zu räumen, um die ungeheuren Diamanten-Vorkommen in diesem Gebiet ungehindert ausbeuten zu können. Ein Diamantenfieber hat das ganze Land erfaßt und das Gesicht einer der ärmsten Nationen der Erde radikal verändert. Die Ausbeutung dieser Ressourcen ist für die Regierung des Diktators Festus Mogae und das südafrikanische Unternehmen De Beers, dem Monopolherren über alle Lagerstätten, zu einem exzellenten Geschäft geworden. Hinzu kam seit Februar 2003 die International Finance Corporation, eine Organisation, die von der Weltbank abhängig ist und die der Kalahari Diamonds Limited zur Ausbeutung der Ressourcen des Wildreservats Zentral-Kalahari einen Kredit von 2 Milliarden Dollar bewilligt. Demgegenüber bedeuten die Rechte und Forderungen einiger Tausend "San" kaum etwas.

Aber die Plünderung der Ressourcen geht noch darüber hinaus. Mitte der 90er Jahre erlebten die !Kung verblüfft, wie der Weltöffentlichkeit ein revolutionierendes Medikament gegen Fettleibigkeit präsentiert wurde. Das Medikament wird aus dem Hoodia-Pflanze (auch: "Xhoba-Kaktus") der Kalahariwüste gewonnen. Die Früchte der Pflanze wurden von den !Kung seit Generationen dazu benutzt, Wasser und Vitamine zu gewinnen. Zugleich dienten sie ihnen dazu, während der Jagd über Tage hin das Hungergefühl zu unterdrücken.

Ohne Zustimmung der !Kung hatte der 'Südafrikanische Rat für wissenschaftliche Forschung und Industrie' die Nutzungsrechte der Pflanze an die Firma Phytopharm verkauft. Phytopharm wiederum verkaufte 2001 die Lizenzrechte für 32 Millionen Dollar2 an das multinationale Unternehmen Pfizer mit Hauptsitz in den USA. 2003 hatten die !Kung nach jahrelangen Gerichtsprozessen eine lächerliche Beteiligung an den Gewinnen erreicht: Eine einmalige Abstands- Zahlung von 1,5 Millionen Dollar und 6 Prozent des Gewinns aus dem Verkauf des Medikaments ab 2008.3 Zusätzliche Absurdität: Die zugesagten Gelder sollen dazu verwendet werden, das Land, auf dem sie seit Jahrtausenden leben, zu kaufen.

Doch ob es überhaupt jemals Geld für die !Kung gibt, ist völlig offen: Noch im selben Jahr verkaufte Pfizer die Lizenzrechte an Phytopharm zurück. Längst wird der Markt von dubiosen Internet-Angeboten überschwemmt. Der Hoodia-Pfanze droht die Ausrottung durch kommerzielles rücksichtsloses Abernten in der Kalahari-Region.4 Die Umwelt-Organisation WWF äußerte die Befürchtung, daß sowohl die !Kung leer ausgehen als auch die Pflanze ausgerottet wird. Im Dezember 2004 verkaufte Phytopharm nach eigenen Angaben Rechte an der Nutzung der Lizenz für 12,5 Millionen Dollar an den Unilever-Konzern. Nach Insider-Informationen beabsichtigt Unilever, den Wirkstoff in seine Produkt-Linie 'Slim-Fast' einzubringen.

Eine grosteske Note erhält die Geschichte um den Wirkstoff aus der Hoodia-Pflanze zudem dadurch, daß westliche KonsumentInnen immer wieder skeptisch fragen, warum denn ausgerechnet ein Apetit-Zügler von "afrikanischen Hungerleidern" entdeckt worden sei. Allein in der "Überflußgesellschaft" Deutschland werden jährlich auf dem "Schlankheits-Markt" 25 Milliarden Euro umgesetzt. Davon entfallen rund sieben Milliarden Euro auf Diätprodukte.5

Der Verlust ihres natürlichen Lebensraums, die Verfolgungen, die Zerstörung ihrer traditionellen Lebensweise und die erzwungene Seßhaftmachung haben die !Kung nahezu aufgerieben. So vegetieren sie dahin, zusammengepfercht in Reservationen, ausgebeutet auf Farmen oder verloren in den Vororten der Hauptstadt Gaborone, fern von ihrem Brauchtum - eine leichte Beute für AIDS und Alkoholismus. Ein Teil der !Kung hat sich in den vergangenen Jahren zusammen geschlossen, fordert das Existenzrecht und ein Recht auf Aufenthalt auf dem Land, das sie nie als ihren Besitz betrachteten. Statt militärischem Eingreifen würden hier sicherlich finanzielle Mittel und Druck der Weltöffentlichkeit helfen. Auf die große Medien muß Druck ausgeübt werden, daß sie es sich nicht erlauben können, bei solchen Verbrechen gegen die Menschlichkeit länger wegzuschauen.

Immerhin berichtete die 'Wiener Zeitung' vor wenigen Tagen, am 29. Mai, von "schweren Repressionen", denen die !Kung in den letzten Jahren von Seiten der Regierung Botswanas ausgesetzt waren. Allerdings blendete die 'Wiener Zeitung' in diesem Artikel den anderen Teil der Realität in Botswana aus. Nur in einem einzigen Satz ist von Diamanten die Rede: "Darüber hinaus werden in ihrem Lebensraum umfangreiche Diamanten-Vorkommen vermutet."

 

Klaus Schramm

 

Anmerkungen

1 Das !-Zeichen steht für einen Klicklaut. Die Sprache der !Kung ist reich
  an solchen Lauten. Abwertende Bezeichnungen für die !Kung sind:
  Hottentotten, Buschmänner, San (geringschätziger Ausdruck von
  Seiten anderer lokaler Ethnien wie Herero und Tswana).

2 ZDF-Magazin 'Praxis' v. 27.04.04
  http://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/0/0,1872,2122528,00.html

3 Unterstützt wurden die !Kung dabei von
  WIMSA-Menschenrechtsanwalt Roger Chenells. Die Organisation
  WIMSA ('Arbeitsgruppe für einheimische Minderheiten im südlichen
  Afrika') wird vom Kinderhilfswerk 'terre des hommes' getragen.

4 Pressemitteilung des WWF v. 20.05.05

5 Pressemitteilung von 'terre des hommes' 2/2003

Siehe auch unseren Artikel

      'Die Ethnie der !Kung kämpft ums Überleben'
      Botswanas Regierung setzt kulturelle Ausrottung fort (14.07.04)

 

neuronales Netzwerk