2.06.2008

Polizeieinsatz
gegen Milchlieferstreik

Große Sympathie der Bevölkerung für verzweifelte Aktionen

Heute mittag räumten zwei Hundertschaften der Polizei die Blockade von MilchbäuerInnen vor der 'frischli'-Molkerei im niedersächsischen Rehburg-Loccum. MilchbäuerInnen hatten die Zufahrten zu dem Betrieb seit Samstag mit rund 80 Traktoren blockiert. Am vergangenen Dienstag hatte der 'Bund Deutscher Milchbauern' (BDM) zu einem bundesweiten Milchlieferstreik aufgerufen1. Der derzeitige Preis von rund 30 Cent pro Liter, den die Molkereien ihnen bezahlen, reicht allenfalls den Betrieben mit Massentierhaltung zum Überleben.

Für die MilchbäuerInnen im Schwazwald mit in der Regel zwanzig bis vierzig Kühen sank die Bilanz längst schon vor dem drastischen Anstieg des Dieselpreises in den roten Bereich. Ein Überleben ist so nicht mehr möglich. Und mit dem Rücken zur Wand werden nun Aktionsformen möglich, die zumindest von den sieben Einzelhandels-Konzernen, die den deutschen Markt beherrschen, nicht für möglich gehalten wurden. Während der Milchpreis für die VerbraucherInnen seit 1993 um 30 Cent anstieg, sank zugleich der Erlös der MilchbäuerInnen um durchschnittlich 2 Cent.

MilchbäuerInnen hatten heute vielerorts die Zufahrten zu Molkereien blockiert, um so das Unterlaufen ihres Streiks durch Einzelne, die sich nicht am Streik beteiligen, zu verhindern. Bei gewerkschaftlichen Streiks werden gegen StreikbrecherInnen Streikposten eingesetzt. Doch die BäuerInnen gelten als Unternehmer und so soll nach kapitalistischer Ideologie Jeder gegen Jeden konkurrieren. Bei einem Arbeitstag von 14 Stunden und mehr, der nicht einmal mehr das Existenzminimum sichert, ist der Unternehmerstatus eines Bauern jedoch ebenso Fiktion wie es für die Menschen in der DDR reine Fiktion war, Besitzer der Fabriken zu sein.

In Bayern beteiligten sich über tausend MilchbäuerInnen an "Protestversammlungen" vor insgesamt zwölf Molkereien. Nachdem es bisher - wie kaum anders zu erwarten - von Seiten des Einzelhandels und der Molkereien geheißen hatte, der Milchlieferstreik führe nicht zu Ausfällen, zeigen sich mittlerweile erste Auswirkungen. So mußte der Präsident des Milchindustrieverbandes (MIV), Eberhard Hetzner, einräumen, daß in einigen Betrieben Kurzarbeit angemeldet wird.

Auch Milchverarbeiter und Einzelhandelsketten können nunmehr "Lieferengpässe" nicht länger leugnen. Edeka sprach von "punktuellen Angebotseinschränkungen". Der BDM berichtet derweil von Regionen insbesondere in Süddeutschland, wo bereits rationiert werden müsse. Ein Sprecher des BDM erklärte, daß 70 bis 80 Prozent der in Deutschland erzeugten Milch wegen des Streiks und der Blockaden nicht mehr in den Molkereien ankommen würden. Nach anfänglichem Zögern haben sich nahezu alle 32.000 Mitglieder des BDM mittlerweile dem Milchlieferstreik angeschlossen.

Die deutsche Milchindustrie hatte darauf gesetzt, ausbleibende Lieferungen durch Importe aus Nachbarländern kompensieren zu können. Da sich MilchbäuerInnen in Frankreich, den Niederlanden, Belgien, Österreich, Italien und der Schweiz dem Milchlieferstreik angeschlossen haben, sei der Milchmarkt in der EU "bereits jetzt wie leergefegt", so der Sprecher des BDM. Einige hundert französische MilchbäuerInnen blockierten eine Molkerei in Straßbourg. "Wir versuchen zu verhindern, daß die Bewegung in Deutschland mit französischer Milch geschwächt wird", erklärte der Präsident der Organisation der Milchproduzenten, Jean-Louis Niveau.

Eine Einigung ist dennoch bislang nicht näher gerückt. Ein Gespräch zwischen MIV und Einzelhandel - die in der Vergangenheit gegen die MilchbäuerInnen an einem Strang zogen - sei ergebnislos verlaufen. Nach wie vor setzen die sieben großen Einzelhandels-Konzerne darauf, sich über kurz oder lang auf dem europäischen Milchmarkt ausreichend eindecken zu können. Sie sind daher offenbar nicht bereit, höhere Preise an die Molkereien zu bezahlen, die diese an die MilchbäuerInnen weitergeben könnten. Diese fordern eine Erhöhung der Erzeugerpreise auf 43 Cent pro Liter. Zur Zeit erhalten sie je nach Region zwischen 25 und 33 Cent.

Der Präsident des BDM, Romuald Schaber, bekräftigte heute, daß der Milchlieferstreik fortgesetzt werde: "Unsere Bauern sind nicht bereit, auch nur einen Millimeter zurückzuweichen", so Schaber im ARD-Morgenmagazin. Der Handel müsse die Preise erhöhen und sich verpflichten, auf Dumpingaktionen, die zu einem erneuten Preisverfall für die Erzeuger führen könnten, zu verzichten. Bei dieser Frage ziehe man mit den Molkereien an einem Strang.

Real entspricht die Situation schon seit Jahren nicht mehr marktwirtschaftlichen Kriterien: In der Regel gibt es in jeder Region nur noch eine Molkerei, der die MilchbäuerInnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Nach marktwirtschaftlicher Schulbuchweisheit müßten sie die Möglichkeit haben, zwischen konkurrierenden Molkereinen jene auszuwählen, die ihnen den höchsten Erlös für ihre Milch bieten. Doch de facto sind die Molkereien zu Agenturen der Konzerne geworden, die deren Preisdiktat an die MilchbäuerInnen weiterreichen.

So ist es nur zu begrüßen, wenn immer mehr MilchbäuerInnen einen "Systemwechsel" fordern. Sobald VerbraucherInnen und MilchbäuerInnen gemeinsam und demokratisch über faire Wirtschaftbeziehungen verhandeln können, werden sie schnell handelseinig werden. Dazu muß jedoch als Voraussetzung zunächst die Marktmacht der Einzelhandels-Konzerne Aldi, Edeka, Lidl, Metro (dazu gehören Real, Extra und Kaufhof), Rewe (mit Minimal, HL, Penny und Karstadt), Spar und Tengelmann/Plus gebrochen werden.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

1 Siehe auch unsere Artikel:

      Milchlieferstreik
      MilchbäuerInnen kämpfen um ihre Existenz (27.05.08)

      20.000 Milchbäuerinnen und -bauern
      demonstrieren für faire Preise (9.05.07)

 

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