17.03.2004

Machsomwatch

- konkrete Friedenspolitik an den israelisch-palästinensischen Checkpoints

Dr. Rahel-Roni Hammermann berichtete in der ehemaligen Synagoge in Kippenheim über ihre Arbeit in einer israelischen Frauen- Friedensgruppe. Der Name der Friedensgruppe 'Machsomwatch' ist zugleich Programm. Er ist eine Kombination aus dem hebräischen Wort "machsom" für Grenzbarriere und dem englischen Wort "watch" für Beobachtung. Die rund 400 israelischen Frauen dieser im Januar 2001 gegründeten Friedensgruppe haben sich zur Aufgabe gemacht, die israelischen Checkpoints an der "grünen Grenze" und im Palästinensergebiet zu beobachten. Sie können so Übergriffen israelischer Soldaten gewaltfrei entgegenwirken und sie üben inzwischen großen Druck auf die israelische Regierung aus, indem sie die menschenunwürdigen Zustände an den Checkpoints, den Kontrollposten, unnachsichtig in die Öffentlichkeit tragen.

Der Zukunft ihrer Kinder und nachfolgender Generationen sei diese Friedensarbeit gewidmet, erklärt Frau Hammermann. 1940 in Tel Aviv geboren, besuchte sie in Wien die Schule und Universität, bevor sie 1969 nach ihrem Studienabschluß nach Israel zurückkehrte. Rahel-Roni Hammermann ist seit 1969 in der Friedenbewegung aktiv. Ihr Engagement sei kein philanthropischer Akt, sie betrachte es als eine Verpflichtung gegenüber den Opfern des Holocaust. Die Motivation zu ihrem Einsatz bezieht die Friedensaktivistin aus der Geschichte ihrer Familie. Ihr Großvater wurde in Auschwitz ermordet. Einem jungen Leidensgenossen konnte er noch sagen: "Versuche zu überleben! Und erzähl meiner Familie, was du hier erlebt hast". Der junge Mann überlebte und erzählte. Rahel-Roni Hammermann empfindet dies als Auftrag ihres Großvaters, nicht zu schweigen, wenn in ihrem Umfeld Unrecht geschieht. Die Frauen von 'Machsomwatch' sind für das israelische Militär unbequeme Augenzeuginnen und sie protokollieren alle ihre Beobachtungen an den Checkpoints. Und Frau Hammermann ergänzt: "Man kann nicht gegen Antisemitismus sein, wenn man - als Jude - die Unterdrückung eines anderen Volkes toleriert."

Unmißverständlich stellt sie sich gegen die Versuche von verschiedenen Seiten, jegliche Kritik an der israelischen Regierung als Antisemitismus zu verunglimpfen. Auch sie fühlt sich genötigt, sofort zu erklären, daß sie gegen den Terror ist. Das sei sie zunächst einmal aus ganz egoistischen Gründen. Die Explosion in Jerusalem am 1. Januar fand in unmittelbarer Nähe ihrer Wohnung statt. Die Opfer saßen in einem Autobus, der sie normalerweise zur Universität bringt. Mit dem Terror werde mehr und mehr die Macht der Angst gestärkt, Verständigung zunehmend unmöglich gemacht. Zugleich weist sie darauf hin, daß am Vortag des Selbstmordanschlags 15 Palästinenser getötet worden waren. Terror wächst nach ihrer Ansicht nur in einem bestimmten Klima. Rahel-Roni Hammermann will diesen Kreislauf der Feindschaft und des Hasses durchbrechen.

In einer kurzen historischen Rückblende erzählt sie von Camp David. Das Ziel schien zum Greifen nahe. Vor der Weltöffentlichkeit wurde es so dargestellt als habe die israelische Seite weitestgehenden Zugeständnisse gemacht. Die palästinensische Verhandlungs- delegation habe diese einzigartige Chance, wurde ihnen doch ein eigener Staat in Aussicht gestellt, durch Unbeweglichkeit verspielt. Dieser unter US-Präsident Clinton gescheiterte Versuch zu einer Verständigung zwischen Israelis und Palästinensern hatte zudem eine wenig bekannte Nebenwirkung. Da der damalige israelische Regierungschef Barak glaubwürdig für Frieden stand und scheinbar an der Alles-oder-Nichts-Position der palästinensischen Verhandlungs- delegation unter Arafat scheiterte, brach die israelische Friedensbewegung in sich zusammen.

Frau Hammermann beleuchtete die wenig bekannte Seite, daß der damals angebotene Paläsinenserstaat in Kantone zerschnitten sein sollte, daß beispielsweise keine Kontrolle der Außengrenzen gewährt werden und daß der israelische Luftwaffe uneingeschränkte Überflugsrechte vorbehalten blieben sollten. Statt einem Staat sei von Barak tatsächlich ein Gebilde nach dem Muster der Homelands zur Zeit der Apartheid in Südafrika angeboten worden. So meint Frau Hammermann aus heutiger Sicht, daß die Camp-David-Verhandlungen zum Scheitern verurteilt waren. Die zweite Intifada begann und die israelischen Liberalen und Linken blieben enttäuscht zurück.

Erst nach dieser Erfahrung entstand eine "eigentliche Opposition außerhalb des politischen Systems", erklärt Hammermann. Von unten wurden gewaltfreie Aktionen entwickelt, Solidaritäts-Konvois für die palästinensische Bevölkerung organisiert und die israelische Besatzungspolitik öffentlich angeprangert. 'Machsomwatch' wurde von drei hebräischen Frauen gegründet und die heute rund 400 beteiligten Frauen kommen vorwiegend aus Tel Aviv und Jerusalem. Die Organisation besteht ausschließlich aus Frauen und das hat den Vorteil, daß die ehrenamtlichen Beobachterinnen weder von den israelischen Soldaten noch von den Palästinensern als Bedrohung angesehen werden. Von den meist sehr jungen Soldaten würden sie allein schon von ihrem Alter eher als Mütter oder Großmütter wahrgenommen. Daß es sich um eine rein israelische Friedensgruppe handelt, erklärt Frau Hammermann einmal mit der Sprachbarriere und zum zweiten mit der Möglichkeit, so leichter Rechenschaft von der israelischen Regierung einfordern zu können.

Zu den Checkpoints geht immer ein Team von drei oder vier Frauen von 'Machsomwatch'. Die selbst gestellte Aufgabe setzt sich zusammen aus Beobachtung, Einschreiten im Falle von Menschenrechtsverletzungen und der Berichterstattung und Dokumentation in Form täglicher Berichte. Da sie sich damit "an der Front" befinden, "kann die Armee unsere Beobachtungen nicht widerlegen", erklärt Frau Hammermann selbstbewußt. Die Frauen von 'Machsomwatch' seien inzwischen als neutrale Zeuginnen allgemein anerkannt.

Diese "Front" verläuft allerdings nicht entlang der "grünen Grenze", der Waffenstillstandslinie von 1949 zwischen Israel und Jordanien, die heute den Staat Israel vom 1967 im Sechs-Tage-Krieg annektierten Westjordanland trennt. Von insgesamt 65 bemannten Checkpoints befinden sich nur neun auf der "grünen Grenze". Die übrigen befinden sich alle an Straßensperren innerhalb des Palästinensergebiets. Sie trennen palästinensische Dörfer von ihren städtischen Zentren, lähmen das öffentliche Leben, Verwaltung und Wirtschaft. Rahel-Roni Hammermann nennt dies eine bewußte "Politik der Abriegelung". Damit werde Frustration und Wut erzeugt, die zu Gewalttätigkeiten eskalieren.

Frau Hammermann meint, die Erfahrung der letzten Jahre zeige: Diese Checkpoints können Anschläge nicht verhindern, sie demütigen die palästinensiche Bevölkerung und machen ihnen das Leben zur Hölle. Durch sie werden Menschen bestraft, die nichts taten. Und letztendlich seien diese Checkpoints - ergänzt durch 464 Erdwälle - in Wahrheit ein Sicherheitsrisiko. Selbst ehemalige Geheimdienstler bestätigen, daß diese Checkpoints überflüssig seien und zumindest keinen Vorteil für die Sicherheit in Israel bieten. Nach ihrer eigenen Beobachtung könnten sie von jungen, halbwegs sportlichen Menschen ohne große Mühe umgangen werden. Innerhalb der letzten drei Jahre seien an den Checkpoints lediglich zwei Terrorverdächtige festgenommen worden. Ihnen sei das Mitführen von Sprengstoff - allerdings nicht in Form von Sprengstoffgürteln - zur Last gelegt worden.

Um Passierscheine zu bekommen, müssen diese in Ämtern beantragt werden, vor denen sich regelmäßig lange Schlangen bilden und deren Schalter mit undurchsichtigen Panzerglasscheiben ausgestattet sind. Um zum entsprechenden Amt zu gelangen, sei es oft genug nötig, andere Checkpoints zu überqueren, die ohne Passierschein nicht überquert werden dürfen - es komme zu absurden und geradezu kafkaesken Situationen.

Die Straßen, die das Westjordanland durchschneiden, bezeichnet Frau Hammermann als "Privatautobahnen der Siedler". De facto seien es Apartheids-Streifen. Die Palästinenser hingegen seien auf Wege mit Schlaglöchern angewiesen. Im Zuge des Mauerbaus werde seit Januar dieses Jahres eine zwei Meter hohe Mauer durch eine acht Meter hohe ersetzt. Diese führe nicht entlang der "grünen Grenze", sondern im Zickzack. Statt der 150 Kilometer im Norden plus 20 Kilometer in Jerusalem sei sie insgesamt 350 Kilometer lang. Vorgeblich solle sie die jüdischen Siedlungen im Westjordanland schützen.

Da nur wenige Durchlässe vorhanden sind, wird beispielsweise eine ihrer Freundinnen, Direktorin einer Schule, zu einem riesigen Umweg gezwungen. Statt einem Weg zur Arbeit von bisher fünf Minuten, sei sie jetzt jedesmal eine Stunde unterwegs. Sie müsse einen Umweg durch ganz Ostjerusalem machen. Deren Mann, ein Palästinenser, wohne nunmehr illegal im eigenen Haus.

Am Zaun zwischen Jerusalem und Ramallah wurden letztes Jahr drei Kinder erschossen. Jugendliche kommen aus Richtung Norden und werfen Steine auf die israelischen Soldaten. Diese sind kaum ernsthaft gefährdet, da sie Helme und schußsichere Westen tragen und bewaffnet sind. Dennoch wird häufig auf jugendliche Steinewerfer geschossen.

An den Checkpoints bilden sich regelmäßig lange Schlangen. Kinder unter 16 Jahre müssen ihren Original-Geburtsschein mit sich führen und zudem ändern sich die Regelungen von Tag zu Tag und von Soldat zu Soldat. 18-, 19-jährige Soldaten ohne spezielle Ausbildung müssen entscheiden, ob Menschen tatsächlich krank sind, sollen Krankengeschichten überprüfen oder müssen darüber befinden, ob Schwangere durchgelassen werden. Frau Hammermann weiß über eine ganze Reihe manchmal demütigender, manchmal lebensgefährlicher Situationen zu berichten: Ein alter Mann mit Rückenproblemen wurde von den Soldaten aufgefordert, sich zu bücken, Frauen mußten am Checkpoint auf nacktem Fels gebären, eine Frau mit einem zwölf Tage alten Baby wurde nicht durchgelassen, an manchen Checkpoints dürfen Kranke nur im Krankenwagen passieren. Dabei muß die hohe Arbeitslosenrate im Palästinensergebiet berücksichtigt werden. In den meisten Fällen fehlt schlicht das Geld, um einen Krankenwagen zu bezahlen.

Vollends extrem ist die Situation in den von der "grünen Grenze" und der Mauer abgetrennten Enklaven. Laut Frau Hammermann ist das Leben in dieser "Sicherheitszone" unmöglich geworden. Diese unzusammenhängenden Inseln wurden zu geschlossenen militärischen Zonen erklärt. Die BewohnerInnen müssen eine Erlaubnis einholen, um dort wohnen bleiben zu dürfen. Frau Hammermann berichtet von einem Schuldirektor, der dort wohnt und seine Schule jetzt per Telefon leiten muß. Die Ausübung von Berufen wie Taxifahrer, Bauarbeiter oder Lehrer ist für BewohnerInnen dieser Enklaven praktisch unmöglich geworden. Kinder dürfen nur zu den festgelegten Zeiten durch die Tore. Kommt ein Kind einmal ein wenig zu spät, kann es am betreffenden Tag nicht mehr zur Schule. Die Tore werden morgens nicht vor 7 Uhr geöffnet, so daß die meisten Arbeitsplätze nicht mehr rechtzeitig erreicht werden können.

Es müsse die Frage gestellt werden, so Frau Hammermann, was bei einem solchen Umfeld in palästinensischen Kindern vorgehe. Bei den Erwachsenen jedenfalls werde so von der israelischen Regierung ein enormer Abwanderungsdruck erzeugt: Wer noch eine ökonomische Zukunft haben will, zieht weg. Inzwischen hätten sich allein gegen die Mauer zehn neue Friedensorganisationen gebildet. Unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit für Israel wäre eine Mauer entlang der "grünen Grenze" sicherlich weniger problematisch. Nach Ansicht von Frau Hammermann geht es der Regierung Scharon lediglich darum, mit dieser Mauer Fakten zu schaffen. Allein für die Extremisten beider Seiten sei diese Mauer nützlich. Nicht zufällig hätten Hamas-Führer am Tag der Debatte über die Mauer Selbstmordattentäter nach Israel geschickt.

In der Frage, ob es sich beim Staat Israel, der "einzigen Demokratie im nahen Osten", tatsächlich noch um eine Demokratie handelt, ist Frau Hammermann gespalten: "Ich kann frei reden - auch in Israel, wir haben eine frei gewählte Regierung. Daß eine Regierung wie die unter Scharon gewählt wurde, kann ich nur damit erklären, daß das Volk vor Angst gelähmt ist. Aber auf der anderen Seite muß ich sagen: Ein Staat, der drei Millionen Menschen unter Verschluß hält, ist keine Demokratie."

Im Vortrag von Frau Hammermann war deutlich zu spüren, daß ihre Kritik an der Politik der israelischen Regierung nicht aus Haß, sondern aus der Verbundenheit zu ihrem Land und zu allen dort lebenden Menschen motiviert ist. Der von ihr beleuchtete Ausschnitt aus der heutigen Realität des "Heiligen Landes" wirft letztlich die Frage auf, ob die wahre Front zwischen Israelis und Palästinensern verläuft oder nicht vielmehr zwischen den einfachen Menschen dieses Landes auf der einen und den Extremisten, gleichgültig welcher Herkunft, auf der anderen Seite.

Frau Hammermann freute sich besonders, daß sie als Israelin zu diesem schwierigen Thema in einer ehemaligen Synagoge sprechen durfte. Sie war tief bewegt vom Engagement, das hier und an anderen Stellen, die sie besichtigt hatte, zu erkennen sei.

 

Klaus Schramm

 

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