13.08.2010

50 Milliarden Euro
für Subventionierung des Niedriglohn-Sektors

Mindestlohn 10 Euro Im Jahr 2004 startete "Rot-Grün" mit Einführung der Hartz-Gesetze eine beispiellose Subventionierung des Niedriglohn-Sektors. In keinem anderen europäischen Land wurde in den vergangenen fünf Jahren der Niedriglohn-Sektor so stark ausgeweitet wie in Deutschland. Die BRD hat mittlerweile eine ganze Reihe anderer europäischer Länder, die etliche Jahre zuvor mit einer neoliberalen Umgestaltung begannen, überholt und liegt in Europa seit Anfang 2008 an der Spitze. Nach einer Studie des Instituts für Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen lag der Anteil des Niedriglohn-Sektors in Deutschland im April 2008 bei 22,2 Prozent. Selbst in den USA lag der Anteil der Billig-JobberInnen mit 25 Prozent nur wenig höher. In Dänemark lag er beispielsweise zu diesem Zeitpunkt bei nur 8,5 Prozent. Subventioniert wurde der rigorose Ausbau des Niedriglohn-Sektors in Deutschland mit mehr als 50 Milliarden Euro, wie sich aus aktuellen Zahlen des Bundes-"Arbeits"-Ministeriums ergibt. Nach der "rot-grünen" Steuerreform des Jahres 2000, mit der jährlich über 20 Milliarden an Steuereinnahmen an die Unternehmen verschenkt wurden, ist dies die größte Subventionierung der deutschen Wirtschaft.

Niedriglohn heißt in der BRD konkret: weniger als 9,62 Euro Stundenlohn im Westen und weniger als 7,18 Euro in den "neuen Bundesländern." Um Niedriglohn handelt es sich nach den Kriterien der OECD dann, wenn der Lohn weniger als zwei Drittel des mittleren Lohns (Medianlohn) aller Beschäftigten beträgt. In beiden Teilen der BRD war der Anteil der NiedriglöhnerInnen etwa gleich groß. Würde für die "neuen Bundesländer" die gesamtdeutsche Marke von 9,19 Euro als Maßstab angelegt, dann müßten 40 Prozent der Ostdeutschen als GeringverdienerInnen angesehen werden. 76 Prozent der Niedriglohn-Beschäftigten sind Frauen.

Deutschland habe in den vergangenen Jahren "eine fast beispiellose Ausdifferenzierung der Löhne nach unten" erlebt, schreiben Thorsten Kalina und Claudia Weinkopf vom IAQ. Die bundesweite Niedriglohnquote ist seit 1998 enorm gestiegen: von 14,2 auf über 22 Prozent aller Beschäftigten. Das Lohnspektrum franst nach unten aus. Immer mehr Beschäftigte verdienen schlecht. "Stundenlöhne von weniger als 6 Euro brutto sind längst keine Seltenheit mehr", beobachten die ForscherInnen. In Deutschland arbeiten 1,2 Millionen Menschen für weniger als 5 Euro die Stunde, 2,2 Millionen für keine 6 Euro - und das im Hauptberuf. Zählt man noch Schüler, Studenten und Rentner hinzu, dann gibt es rund 1,9 Millionen Beschäftigte mit weniger als 5 Euro je Stunde und 3,3 Millionen unter 6 Euro. Gerade bei Minijobs und unter Teilzeitkräften sind besonders niedrige Stundensätze stark verbreitet, so die Studie. Die WissenschaftlerInnen halten das für ebenso problematisch wie bei Vollzeitkräften, denn rund zwei Drittel der Teilzeitbeschäftigten geben an, für ihren Lebensunterhalt auf den Verdienst angewiesen zu sein.

Die ForscherInnen stellen mit Blick auf EU-Nachbarn fest: "Die meisten anderen Länder haben verbindliche Lohnuntergrenzen in Form gesetzlicher Mindestlöhne, die zwischen 38 und 50 Prozent des jeweiligen Medians liegen." So niedrige Löhne wie in Deutschland seien in Frankreich oder Großbritannien gar nicht erlaubt - beispielsweise ein Stundenlohn von 5 Euro, der nur 36,3 Prozent des Medianlohns beträgt und einer Vollzeitkraft gerade 800 Euro im Monat bringt. In Deutschland setze die Politik gegenteilige Anreize, schreiben Kalina und Weinkopf: "In nicht unerheblichen Maß übernimmt der Staat eine Ausfallbürgschaft für Niedriglöhne, weil das Einkommen eben nicht zur Deckung des Existenzminimums ausreicht." Viele der so genannten Aufstocker - Beschäftigte, die zusätzlich Arbeitslosengeld II (ALG II) beziehen - arbeiten zu extrem niedrigen Stundenlöhnen. Fast 30 Prozent der westdeutschen und 40 Prozent der ostdeutschen Aufstocker verdienen weniger als 5 Euro die Stunde.

Die Aufstockung wurde im Zuge der Einführung von Hartz IV damit propagiert, daß sie dabei helfen solle, den Wiedereintritt ins Arbeitsleben zu erleichtern und zu fördern. Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband (DPWV) kommt bei der Analyse der mittlerweile vorliegenden Zahlen jedoch zum Ergebnis, daß es nicht gelungen ist, die Zahl der von Arbeitslosigkeit Betroffenen merklich abzubauen. Rund die Hälfte der Hartz-IV-Abhängigen (korrekt: ALG-II-BezieherInnen) beziehen die Zahlungen mindestens drei Jahre lang. Die Zahl der erwerbsfähigen Hartz-IV-Bezieher ist im Vergleich zu 2005 konstant geblieben. Es ist auch nicht gelungen, Langzeitarbeitslose häufiger in Arbeit zu vermitteln. Nach einer Analyse des DPWV lag die Zahl der erwerbsfähigen ALG-II-BezieherInnen im April 2009 mit offiziell 4,93 Millionen beinahe auf dem Niveau der Anfangsmonate von Hartz IV.

Von Beginn an wurde das Instrument der Aufstockung von den Unternehmen als heimliche Subvention genutzt. Sie boten immer mehr Jobs nur noch zu Niedriglöhnen an und unterboten sich gegenseitig, wohl wissend, daß der Staat die Löhne aufstockt, weil sonst die Menschen trotz Arbeit nicht von dem Lohn leben könnten und dafür nicht arbeiten würden. Ein Drittel der Summe, die im Rahmen der "Grundsicherung für erwerbsfähige Hilfsbedürftige" ausgegeben wurde, diente dazu, Niedriglöhne aufzubessern. Über 50 Milliarden Euro an Steuergeldern wurden so in den vergangenen fünf Jahren von unten nach oben umverteilt. Das Erwerbslosen Forum Deutschland kritisiert, daß die Unternehmen in einer "Selbstbedienungsmentalität ihre Gewinne auf Kosten der Allgemeinheit subventionieren lassen, indem sie Hungerlöhne bezahlen und die Betroffenen auf Hartz IV verweisen." Der Chef der Linkspartei, Klaus Ernst, kommentiert: "Die Bundesregierung blockiert seit Jahren den gesetzlichen Mindestlohn und verschwendet das Geld der Steuerzahler. Wenn niemand weniger als zehn Euro pro Stunde verdienen würde, könnte ein Gutteil der gewaltigen Subventionierung des Niedriglohnsektors eingespart werden." Selbst die Pseudo-Grünen distanzieren sich mittlerweile - zumindest verbal - von dieser von ihnen vor fünf Jahren mitverantworteten Umverteilung. So erklärte deren "Sozialexperte" Markus Kurth: "Ein Mindestlohn ist der erste Schritt, um dieses Problem einzudämmen."

 

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Anmerkungen

Siehe auch unseren Artikel:

      Bilanz von fünf Jahren Hartz IV
      Repression als "Arbeitsmarkt-Reform"
      Der Niederiglohn-Sektor wurde massiv ausgeweitet (19.12.09)

 

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