3.09.2008

Ein wirtschaftlicher Aufschwung
in Deutschland
fand für die unteren Zweidrittel
nicht statt

Neue Studie der Hans-Böckler-Stiftung

Eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, die sich auf Zahlen bis Ende März 2008 stützt, beweist, daß es den unteren Zweidrittel der deutschen Gesellschaft in den vergangenen zehn Jahren nicht besser, sondern kontinuierlich schlechter geht.

Insbesondere im sogenannten Aufschwungzyklus von Ende 2004 bis Anfang 2008 sanken die Reallöhne der ArbeitnehmerInnen um 3,5 Prozent. Selbst nach den Zahlen des Bundesfinanzministeriums sank das reale Nettoeinkommen eines Ein-Personen-Haushalts in den vergangenen drei Jahren um 2,6 Prozent, das Einkommen eines Vier-Personen-Haushalts mit AlleinverdienerIn um 3,5 Prozent.

Bereits eine im April veröffentlichte Studie des Instituts Arbeit und Qualifikation, IAQ, der Universität Duisburg-Essen zeigte auf, daß die wachsende Zahl der im massiv ausgeweiteten Niedriglohnbereich Beschäftigten in den vergangenen elf Jahren rund 14 Prozent an Realeinkommen verloren hat. In den oberen Einkommensgruppen legten laut IAQ-Studie die Löhne dagegen im gleichen Zeitraum nominal über 10 Prozent zu.1

Die aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung weist anhand offizieller Zahlen nach, daß sich der Bereich der "atypisch Beschäftigten" - der zahlreichen Formen von Billiglohnarbeit wie Mini-Jobs, Ich-AGs, Ein-Euro- und Zeitarbeitjobs umfaßt - dynamisch entwickelt hat. Mit leicht zynischem Beiklang konstatieren die ForscherInnen, daß die Hartz-Gesetze "gemessen an den Absichten insoweit erfolgreich gewesen sind." So hat sich der Anteil der schlecht bezahlten ZeitarbeiterInnen an allen Beschäftigten zwischen 1994 und 2006 vervierfacht. Mitte 2007 arbeiteten nach offiziellen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit bereits 730.000 Menschen in Zeitarbeit. Beim Anteil der befristet Beschäftigten gab es seit 2002 ebenfalls einen Anstieg von 12 auf 14,6 Prozent im Jahr 2007. Ihnen wird nicht nur eine mittel- bis langfristige Planung ihres Lebens unmöglich gemacht, sie können aufgrund ihrer ständigen Existenzangst durch drohende Arbeitslosigkeit auch leichter unter Druck gesetzt werden, was sich auf Löhne und Arbeitsbedingungen zunehmend negativ auswirkt.

Der Anteil der TeilzeitarbeiterInnen nahm ebenfalls stetig zu, von 13,4 Prozent 1999 auf 17,7 Prozent 2007. Diese Zahlen beziehen noch nicht die Beschäftigten in Mini- und Midi- sowie Ein-Euro-Jobs mit ein. Allein in Mini-Jobs (bis 400 Euro im Monat, Midi-Jobs bis 800 Euro im Monat) arbeiten inzwischen fast 5 Millionen Menschen. Weitere Millionen arbeiten in den anderen Niedriglohn-Bereichen.

Die Unternehmen zahlen für diese Niedriglohn-Jobs zusätzlich reduzierte Sozialversicherungspauschalen. Die Studie kommt daher zum Schluß, "daß die Beitragsreduzierungen letztendlich den Arbeitgebern in Form von niedrigen Bruttolöhnen zugute kamen". Auch die bei ihrer Einführung viel gepriesene Möglichkeit, staatliche Sozialleistungen zusätzlich zum Erwerbseinkommen beziehen zu können (so genannte "Aufstocker" oder "Kombi-Löhner"), wenn der Lohn nicht zum Leben reicht, "geben den Unternehmen faktisch uneingeschränkte Gelegenheiten, die Löhne auf Kosten der Steuerzahler nach unten zu drücken". Davon machen diese zunehmend Gebrauch. Im Januar 2008 bezogen über 1,2 Millionen arbeitende Menschen aufstockende Sozialleistungen.

Der durch die Hartz-Gesetze geschaffene Lohndruck hat tief greifende Veränderungen des deutschen Arbeitsmarktes geschaffen. "Mit dem Lohndruck nach unten öffnet sich auch die Lohnschere immer weiter." Auf der Grundlage der offiziell vorliegenden Zahlen ist dies eindeutig nachgewiesen.

Die Studie der Hans-Böckler-Stiftung wirft die Frage auf, ob die "Flexibilisierung des Arbeitsmarkts" und die "Lohnzurückhaltung" seitens der Gewerkschaften überdurchschnittlich zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen haben. Es wird daher ein Vergleich zwischen den "Aufschwung-Phasen" von Mitte 1998 bis Anfang 2001 und von Ende 2004 bis Anfang 2008 gezogen. Die Vergleichbarkeit sei hoch, da in beiden Wirtschaftszyklen das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 7,5 Prozent wuchs. Beim Vergleich der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung aber "zeigen sich insgesamt keine positiven Wirkungen der Arbeitsmarktreformen", resümiert die Studie. Beschäftigungszuwachs und Abgang aus Arbeitslosigkeit in Beschäftigung seien in etwa gleich, also nicht mit den Hartz-Gesetzen zu erklären. So kommt die Studie in dieser Frage zum Ergebnis, daß sich der "Verzicht auf angemessene, an Inflationsziel und Produktivitätssteigerung orientierte Lohnsteigerungen" um der Schaffung neuer Arbeitsplätze willen, "nicht gelohnt" habe.

Im der Phase zwischen 1998 und 2001 war der private Konsum mit 7,5 Prozent ebenso stark gestiegen wie das BIP. Im Phase zwischen 2004 und 2008 nahm er weniger als ein Prozent zu. Ursächlich hierfür sei "die Erhöhung der Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte im Januar 2007". Zu erinnern ist an dieser Stelle, daß die Mehrwertsteuererhöhung vom damaligen "roten" Sozialminister Franz Müntefering gegen alle Wahlversprechen vehement gefordert und schließlich von "Schwarz-Rot" einvernehmlich durchgesetzt wurde.

Eine weitere entscheidende Ursache dafür, daß das real verfügbare Einkommen aller privaten Haushalte trotz eines angeblichen Beschäftigungsanstiegs um 3,3 Prozent im betrachteten Zeitraum von Ende 2004 bis Anfang 2008 leicht gesunken ist - während es in der Phase zwischen 1998 und 2001 um über 8 Prozent stieg - ist in den von Gewerkschaftsseite erzwungenen niedrigen Lohnabschlüsse begründet.

Für die EmpfängerInnen von staatlicher Unterstützung waren die Folgen der Hartz-Gesetze noch gravierender. Die realen Sozialtransfers an die privaten Haushalte gingen zwischen 2004 und 2008 um 6 Prozent zurück, in der Phase zwischen 1998 und 2001 waren sie noch um 4 Prozent gewachsen. Dahinter verbergen sich die nominale Nullrunden bei den Renten - also faktische Kürzungen, aber auch die seit langem nicht erhöhten Beiträge bei Kindergeld, BAFöG und anderen staatlichen Leistungen.

Während die unteren Zweidrittel der deutschen Gesellschaft geschröpft wurden, "konnten sich UnternehmerInnen, Selbständige, AktienbesitzerInnen und andere KapitaleignerInnen über einen stetig steigenden Strom an Einnahmen freuen", heißt es in der Studie weiter. Allein die real "entnommenen" Gewinne und Vermögenseinkommen wuchsen um 10 Prozent. Die Gewinne und Vermögenseinkommen (z. B. aus Aktienkapital) stiegen sogar um 25 Prozent. Zum Vergleich: in der Phase zwischen 1998 und 2001 wuchsen sie nur um 5 Prozent, weniger als die Zunahme der Einkommen der privaten Haushalte. Entsprechend sank der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen. Die so genannte Lohnquote sank von etwa 71 Prozent im Zyklus von 1998 bis 2001 auf nunmehr 64 Prozent.

Die Studie schließt mit dem Fazit. "Die Fakten und Analysen dieses Beitrags wie auch die anderer Studien sind eindeutig: Es ist nicht nur ein mehrheitliches Gefühl der Bevölkerung, dass sie vom Aufschwung nicht profitiert. Es ist Realität."

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

1 Siehe auch unseren Artikel:

      Sozialabbau und Niedriglohn-Sektor
      22 Prozent arbeiten in Deutschland für Niedriglöhne (28.04.08)

 

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