17.06.2007

Lafontaine will die
Systemfrage stellen

Ist die neue "Linkspartei" antikapitalistisch?

Mit seiner Rede auf dem Gründungsparteitag der aus WASG und PDS fusionierten "Linkspartei", stahl der frühere SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine allen anderen die Show. So schwungvoll hatte er zuletzt 1995 auf dem SPD-Parteitag in Mannheim die ZuhörerInnen mitgerissen und so dem trögen Rudolf Scharping den Parteivorsitz entrissen. Doch was bleibt bei Lafontaine an Gehalt hinter der Rhetorik?

Zentral in Lafontaines Rede war die Passage über die "ökologische Frage", die in der These gipfelte: "...die Systemfrage wird durch die Umweltfrage gestellt." Wer Lafontaine kennt, wird überrascht sein, das Wort "Systemfrage" aus seinem Mund zu vernehmen.

Vielleicht beginnt Oskar Lafontaine tatsächlich über die lebensbedrohende Dimension der durch den Kapitalismus verursachten ökologischen Zerstörung nachzudenken. Dieser Teil seiner Rede war aber ebenso überraschend wie kurz.* Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre verweigerte er sich der ökologischen Debatte, die damals die deutsche Öffentlichkeit bis ins hinterste Dorf bewegte. Er nahm die aufkommende Umweltbewegung, die dann zur Gründung der Grünen führte, nur als Konkurrenzveranstaltung wahr.

Allerdings darf niemand nach Fehlern von vor 30 Jahren beurteilt werden. Wenn auch 30 Jahre verspätet spricht er nun immerhin den interessanten Satz aus: "Ein System, das nur auf Mehrverbrauch, Umsatz- und Gewinnsteigerung orientiert ist, kann die ökologische Frage nicht lösen." Doch ist dies glaubwürdig? Können wir Oskar Lafontaine trauen, daß er meint, was er sagt?

Einem klugen Kopf wie Lafontaine dürfte nicht entgangen sein, daß angesichts der herannahenden Klimakatastrophe nicht mehr viel Zeit bleibt und daß ihm - nicht nur mit Blick auf sein Alter - nicht weitere 30 Jahre Zeit zum Nachdenken zur Verfügung stehen. Sollten diese Worte Lafontaines mehr sein als ein weiteres "Angebot" an potentielle WählerInnen, müßte bei ihm und in der "Linkspartei" insgesamt ein Umdenkprozeß einsetzen.

Denn wenn Lafontaine in derselben Rede die Rettung des zerstörten Sozialstaates beschwört, meint er ganz offensichtlich nicht die Schaffung einer "sozialistischen" Gesellschaft nach dem Vorbild der von ihm gepriesenen südamerikamischen Präsidenten Chavez und Morales (an Lula möchte er wohl nicht mehr erinnert werden), sondern eine Rückkehr zur Sozialpartnerschaft der 1950er und 1960er Jahre. Doch der Weg dorthin ist längst durch eine gewaltige Verschiebung im gesellschaftlichen Machtgefüge versperrt. Während die Macht des Kapitals sich mehr und mehr zusammenballt, schwindet die Gegenmacht der Arbeit infolge gesteigerter Produktivität. Lafontaines Parole ist nicht nur hoffnungslos illusionär, sondern ist im Gegensatz zu seinen neuen ökologischen Denkansätzen schlichtweg systemkonform.

Dieser Widerspruch ist nicht im Rahmen nationalstaatlicher Politik - aus dem sich bisher weder Lafontaine noch die Mehrheit der Mitglieder in der neuen "Linkspartei" verabschieden wollen - zu sprengen. Genau deshalb hört sich folgende Passage aus Lafontaines Rede so grausam hilflos an:
"Es kann nicht so sein, daß der Raubtierkapitalismus, der Finanzkapitalismus weltweit operiert, ohne daß die Nationalstaaten diesem Treiben ein Ende bereiten und Schranken setzen."

Pardon, Herr Lafontaine, das kann so sein, weil die großen Konzerne längst über größere Budgets verfügen als die Regierungen der großen Industriestaaten. Und: Weil diese Regierungen zu allem Überfluß den Bankrott der Staatshaushalte betrieben haben. Das ist die Realität. Das kann nicht nur so sein, das ist leider so. Und genau deshalb führt die Frage, wie die globale ökologische Katastrophe noch aufzuhalten ist, zur Systemfrage.

Und da bleibt auch keine Chance auf einen Kompromiß, auf einen vermeintlichen Mittelweg, auf den bei der Wortwahl "Raubtierkapitalismus" regelmäßig geschielt wird. Mit einer solchen Wortwahl ist immer die Illusion verknüpft, der Kapitalismus könne gezähmt oder eingehegt werden und dann sei er wieder ein "sozialverträglicher" Kapitalismus. Das gegenwärtige Wirtschaftssystem ist - gleichgültig wie wir es nun nennen wollen - auf Gedeih und Verderb auf eine weitere Konzentration, auf weitere Profitsteigerung angelegt. Auf nationaler Ebene ist da kein Halten mehr. Unsere einzige reale Chance besteht darin, daß sich die Menschen weltweit zusammenschließen und dieses System durch eine wirkliche Demokratie ersetzen. Ob wir dies dann Sozialismus nennen, ist zweitrangig. Entscheidend wird sein, ob die wirtschaftliche Macht dezentralisiert, demokratisiert und damit neutralisiert werden kann.

Auch Lafontaine sagt inzwischen, daß "Dezentralisierung ein ökologisches Prinzip ist." Wir werden den Denkprozeß innerhalb der neuen "Linkspartei" weiterhin mit Interesse und Sympathie verfolgen.

Bisher jedoch stehen Leute wie Lafontaine einem Phänomen wie der Globalisierung und dem Neoliberalismus eher hilflos denn kämpferisch gegenüber. Das zeigt sich in Sätzen wie: "... weil beispielsweise neoliberale Wortungetüme in die Welt gesetzt werden, die nachgeplappert werden von den Nichtdenkern der konkurrierenden Parteien..."

Glaubt Lafontaine allen ernstes, daß die Politik dadurch gesteuert wird, daß irgendwelche Denker oder Nichtdenker Parolen erfinden und so die Richtung bestimmen. Dann wäre es möglich - sicherlich auch nicht ganz einfach - mit den besseren Parolen eine Wende herbeizuzwingen. Das ist ein idealistisches Verständnis von Politik wie Lafontaine es vielleicht als Jesuitenschüler gelernt hat. Seine jahrzehntelange Erfahrungen als Politprofi müßte ihn allerdings gelehrt haben, daß nicht die Parolen die Machtverhältnisse, sondern die Machtverhältnisse die Parolen bestimmen. Nicht die neoliberale Ideologie trieb die Gewerkschaften in die Defensive, sondern die Machtverlagerung infolge der Globalisierung gebar die neoliberalen Parolen, die ähnlich dem Feldgeschrei siegreicher Truppen die Unterlegenen in Panik oder zum Überlaufen treiben kann.

Lafontaine hat sicherlich als Politprofi des öfteren die Erfahrung machen müssen, daß es darauf ankommt, "wer der Koch und wer der Kellner" ist. Vielleicht träumt er immer noch davon, daß nur der Richtige das Kanzleramt übernehmen müsse. Doch dabei übersieht er, daß es sich bei den Ämtern von Kanzlern oder Premierministern auch nur um Kellnerjobs handelt.

 

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Anmerkungen

* Amüsant ist sein Seitenhieb nach Claudia Roth, der ihm den Verdacht einbrachte, er wolle nun verstärkt die Basis der "Grünen" für seine neue Partei abwerben. Lafontaine erinnerte daran, daß die "Grünen"-Chefin auf dem Anti-G8-Gipfel ausgebuht worden war, als sie versucht hatte, an der Spitze eines Demonstrationszuges vorneweg zu marschieren. Die DemonstrantInnen hatten klar gemacht, daß niemand zuerst für Krieg stimmen und danach einen Führungsanspruch geltend machen kann. Fraglich ist allerdings, ob Lafontaine dabei mehr von Genugtuung oder von Schadenfreude geleitet wurde.

 

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