13.07.2008

Sozialtarife beim Strom?

Ein Beispiel für eine Forderung, die mehr schadet als nützt

Bereits im Januar war abzusehen, daß der Hartz-IV-Regelsatz in diesem Jahr nicht nennenswert angehoben werden würde, auch wenn die Strompreise nicht selten auf einen Schlag um 23 Prozent in die Höhe schnellten. Da begann auch eine Diskussion um Sozialtarife beim Strom. Mit diesen - so die Verheißung - sollen die von "Schwarz-Rot" durch weiteren verdeckten Sozialabbau und durch den Anstieg der Strompreise gerissenen Löcher gestopft werden.

Angeblich zeigten sich die Großen Vier, die den deutschen Strom-Markt beherrschenden Konzerne E.on, RWE, EnBW und Vattenfall, offen für eine Entlastung sozial Schwacher von den steigenden Strompreisen. Doch schon da war absehbar: Auf keinen Fall und schon gar nicht auf längere Sicht ist damit zu rechnen, daß solche Sozialtarife die mit den Preiserhöhungen entstandenen Lücken vollständig schließen würden. Weil der Staat seiner Verpflichtung nicht nachkommt, wären die Menschen in folge dessen immer mehr auf Almosen angewiesen.

In einem Kommentar in der 'Frankfurter Rundschau' schrieb daher Frank-Thomas Wenzel völlig zurecht: "Daß überhaupt über Sozialtarife diskutiert wird, ist der eigentliche Skandal. Zeigt es doch, daß die Strompreise noch immer maßlos überhöht sind."

Und schon im Januar machte der drittgrößte Strom-Konzern auf dem deutschen Markt, Vattenfall, einen Rückzieher: "Wir wollen das nicht alleine schultern", sagte eine Vattenfall-Sprecherin. Vattenfall plädierte dafür, unter Beteiligung der Politik, der Energieversorger und der Sozialverbände eine gemeinsame Lösung für die von hohen Energiekosten belasteten Haushalte zu erarbeiten. Und E.on hat seit einem halben Jahr "großzügigerweise" Grundgebühren in Höhe von monatlich 5 bis 10 Euro erlassen, wenn - ja wenn - eine schriftliche Anerkennung der Befreiung von den "Rundfunkgebühren" der GEZ vorgelegt werden kann.

Mit beeindruckender Frechheit stellten sich Politiker wie der "Umwelt"-Minister Sigmar Gabriel, die unter Bundeskanzler Gerhard Schröder Sozialabbau und Agenda 2010 vorangetrieben haben, als Fürbitter hin. Gabriel hatte Anfang Januar an alle Energieversorger in Deutschland appelliert, einen Stromtarif für sozial Schwächere in die Grundversorgung aufzunehmen. Allein die von Gabriel mitgetragene Mehrwertsteuer-Erhöhung auf 19 Prozent - unter "Schwarz-Rot" - hat die Stromkosten der deutschen Haushalte zwischen 1,5 und 3,2 Milliarden Euro erhöht.

Mittlerweile sind rund 900.000 Haushalte von einer Strom- oder Gassperre betroffen. Da ist es nun auf der einen Seite möglich, daß die GEZ-Gebühr erlassen wird - das hat selbstverständlich seine Gründe - , daß die Menschen also weiter manipuliert und infantilisiert werden können, daß aber reale Grundbedürfnisse in Deutschland ignoriert werden. Die deutschen Strom-Konzerne sind in ganz Europa die schnellsten, wenn es darum geht, bei Menschen, die mit der monatlichen Abschlagszahlung in Verzug geraten, Strom oder Gas zu sperren. Zugleich erklärte der Deutschland-Chef von Vattenfall treuherzig: "Niemand darf in einer kalten Wohnung sitzen, weil das Geld für Energie fehlt."

Der Deutsche Mieterbund äußerte Zweifel daran, daß die Energiekonzerne - wie von Gabriel erbeten - Sozialtarife für Arme anbieten werden. "Ich habe erhebliche Zweifel, daß sich die Energiekonzerne als Samariter betätigen werden", sagte der Präsident des Mieterbundes, Franz-Georg Rips. "Dafür ist der Hunger nach Rendite zu groß". Dennoch begrüßte Rips den Vorschlag Gabriels. "Alles, was die betroffenen Haushalte entlastet, ist hilfreich." Allerdings dürfe das nicht dazu führen, daß sich die Politik aus der Verantwortung für sozial Schwache zurückziehe, ergänzte er dann noch. Doch genau zu diesem Zweck diente der Vorstoß Gabriels.

Und zugleich würde eine Realisierung von Sozialtarifen beim Strom dazu führen, daß sich die Großen Vier ein soziales Mäntelchen umhängen könnten. Mit der darauffolgenden Strompreiserhöhung würden sich E.on, RWE, EnBW und Vattenfall die auf diese Weise verausgabten Werbe-Millionen schnell wieder zurückholen. Das aufpolierte Image hätten sie so fast gratis. Der Effekt wäre also auf der einen Seite bestenfalls ein Tropfen auf heißen Stein, der sich alsbald in Wasserdampf verflüchtigt - auf der anderen Seite jedoch ein kaum mit Geld aufzuwiegender Vorteil für die Großen Vier. Also alles andere als ein "Win-Win-Story".

Vor wenigen Tagen stellte nun die Umwelt-Organisation BUND eine Alternative zu der beinahe schon in Vergessenheit geratenen Idee von den Sozialtarifen beim Strom vor. Als Leitgedanken formulierte der BUND dabei: Soziale Politik heißt Steigerung der Energieeffizienz

Einkommensschwache Haushalte sollen von den steigenden Energiekosten auf eine Weise entlastet werden, die nicht auf eine Subventionierung ihres Stromverbrauchs hinausläuft. Ein Modellprojekt der Caritas in Frankfurt a. M. erscheint dem Umwelt-Verband als wegweisend.

Kern dieses und ähnlicher Modellprojekte ist die Qualifizierung Erwerbsloser zu Energieberatern. Diese bieten dann Haushalten mit geringem Einkommen kostenlose Beratung in Energie- und Wasserspartechniken an. Außerdem wird den Haushalten ein "Starterpaket" mit einfachen technischen Geräten zur Effizienzsteigerung im Wert von etwa 50 Euro übergeben. Mit Hilfe der "Starterpakete" - dazu gehören u.a. Energiesparlampen und Wassersparduschköpfe - lassen sich die Energiekosten pro Jahr um etwa 100 Euro reduzieren. Einkommensschwache Haushalte werden finanziell entlastet und zugleich kann so das Treibhausgas Kohlendioxid eingespart werden.

Nun muß selbst ein sparsamer Haushalt mit einem Stromverbrauch von rund 1.600 Kilowattstunden bei einem Ökostromanbieter einen monatlichen Abschlag von rund 36 Euro leisten. Im Hartz-IV-Regelsatz von monatlich 351 Euro sind allerdings nur rund 22 Euro für Strom, Gas und Warmwasser vorgesehen. Die Differenz von monatlich rund 14 Euro summiert sich also - von weiteren Preissteigerungen mal abgesehen - auf 168 Euro im Jahr.

Ulrich Schäferbarthold von der Caritas Frankfurt meint hingegen optimistisch: "Die Kombination aus Beratung und konkretem Hilfsangebot zeichnet unser Energiesparprojekt aus. Wir versetzen Menschen in die Lage, aktiv etwas gegen steigende Energiekosten zu unternehmen. Bislang konnten schon über 400 Haushalte erfolgreich beraten werden."

Der Ansatz ist durchaus sinnvoll. Da für eine Reduzierung des Stromverbrauchs - und dies gilt für die Einsatzbereiche anderer Energien ebenso - zunächst eine Investition nötig ist, scheitert eine Effektivitätssteigerung häufig am Mangel an finanziellen Rücklagen. Betriebswirtschaftlich gesprochen: Die laufenden Unkosten senken kann nur, wer über die finanziellen Mittel verfügt, um in effektivere Geräte und Techniken investieren zu können. Dies hat schon vor gut 20 Jahren der damalige Chef der Stadtwerke Rottweil, Siegfried Rettich, erkannt, der Haushalten in Rottweil eine Komplettversorgung mit Wasser und Heizung auf der Grundlage einer monatlichen Abschlagszahlung anbot. Die Stadt finanzierte die Anlagen vor und trat dabei als Kreditgeberin in Konkurrenz zu den Banken. Da drängt sich selbstverständlich die Frage auf: Warum hat sich eine solche Idee nicht wie ein Lauffeuer verbreitet?

Zurück zum Caritas-Modell: Laut BUND müßte die Bundesregierung für rund zwei Millionen betroffene Haushalte etwa 150 Millionen Euro bereitstellen. Sie sollten vor allem der Finanzierung der "Starterpakte" dienen. Erforderlich sei außerdem ein zusätzliches Programm, das die Anschaffung stromeffizienter Haushaltsgeräte fördert. Dafür wären weitere 200 Millionen Euro pro Jahr nötig. Finanziert werden könnten beide Programme mit den Versteigerungserlösen aus dem Emissionshandel - meint der BUND.

Weiter schlägt der BUND vor, daß MieterInnen in Zukunft Gebäudesanierungen durchsetzen können sollten und einkommensschwache Haushalte analog zum Wohngeld eine befristete Pendlerzulage erhalten. Da sie die Stromkosten von Mietern extrem in die Höhe trieben, sei zudem ein sofortiges Verbot von Nachtspeicherheizungen erforderlich.

Der umweltpolitische Sprecher der Linkspartei im Bundestag, Hans-Kurt Hill, konterte umgehend: Der BUND sei auf dem sozialen Auge blind. Energiesparberatung allein helfe nicht, wenn armen Privathaushalten das Wasser bis zum Hals steht. Der rasante Preisanstieg bei Strom erfordere statt dessen Sozialtarife für Haushalte mit kleinem Geldbeutel. Ob er dafür die Großen Vier oder die Bundesregierung in Haftung nehmen will, läßt Hill offen.

Kompromißbereit erklärt Hill in seiner vor vier Tagen veröffentlichten Pressemitteilung: Der Anspruch sollte an eine Energieberatung gekoppelt werden, um machbare Einsparpotentiale auszuschöpfen - soweit mache die Forderung des BUND Sinn. Es sei aber auch klar, daß Energiesparleuchten allein nicht helfen. Bereits die zu erwartenden Strompreiserhöhungen für das kommende Jahr würden viele Einsparbemühungen wieder komplett zunichte machen. "Dann sind wir wieder da, wo wir jetzt sind", erklärt Hans-Kurt Hill.

Hill verweist auf eine aktuelle Forderung der Linkspartei, "Sozialtarife verbindlich festzuschreiben." Das hieße, die Bundesregierung soll es - wenn die Linkspartei über 50 Prozent hat - als Gesetz verabschieden und die Großen Vier müßten dann das Geld herausrücken...

Weiter meint Hill durchaus zu recht: In den vergangenen Jahren hat sich Strom erheblich verteuert. Dieser Preisentwicklung können einkommensschwache Haushalte nicht mehr auffangen, indem sie Energie einsparen oder den Stromanbieter wechseln.

Obwohl er meint, per Gesetz die Großen Vier zu Sozialtarifen zwingen zu können, stellt er jedoch die exorbitanten Preiserhöhungen nicht in Frage.

Ebenfalls von wenig Tiefblick zeugt folgende Aussage Hills: "Wo die nötigen Ausgaben höher sind als das Einkommen, kommt der Kauf stromsparender, aber deutlich teurerer Haushaltsgeräte ohnehin nicht infrage."

Obwohl er meint, die Großen Vier zu Sozialtarifen zwingen zu können oder auch die "schwarz-rote" Bundesregierung, ein entsprechendes Gesetz zu verabschieden, verschwendet er keinen Gedanken daran, wie denn Unterschicht-Haushalten zur Finanzierung stromsparender und energieeffizienter Geräte verholfen werden könnte.

Vollends absurd wird seine Presseerklärung, wenn er meint, das Problem der allgemein verbreiteten Energieverschwendung kleinreden zu können: "Es muß auch festgestellt werden, daß der Energieverbrauch in den unteren Einkommensgruppen deutlich niedriger ist, als bei Haushalten, die überdurchschnittlich viel Geld zur Verfügung haben."

Den richtigen Ansatzpunkt traf dagegen bereits Ende 2007 die Berliner IHK und die Handwerkskammer. Sie gehen an die Wurzel des Übels und sind damit im besten Sinne radikal:
Sie griffen die vier führenden Energiekonzerne scharf an und forderten, deren Marktmacht zu brechen. Unter anderem forderten sie einen Ausbaustopp der Kraftwerkskapazitäten der vier Marktführer und den Zwangsverkauf einiger Kraftwerkskapazitäten, um auf diese Weise mehr Wettbewerb zu schaffen.

Mehr Wettbewerb über Gesetze schaffen zu können, ist zwar - unter den gegenwärtigen politischen Verhältnissen - eine Illusion - aber den Kern des Problems haben sie zumindest erfaßt: Die Marktmacht der vier Oligopole. Denn wer sich ein bißchen Gedanken über die Theorie der Marktwirtschaft gemacht hat, muß erkennen: Zumindest auf dem Strommarkt existiert kein funktionierender Markt. In Deutschland wird mehr Strom produziert als verbraucht. "Wir" exportieren Strom. Auf den Markt bezogen bedeutet dies: Überangebot. Und was geschieht auf einem Markt mit seinem angeblich freien Spiel der Kräfte bei steigendem Angebot und gleichbleibender Nachfrage?
Die Nachfrage stagniert übrigens in Deutschland laut offiziellen Zahlen seit vielen Jahren auf einem Niveau von rund 600 Terawattstunden pro Jahr.

Also: Was machen die Preise laut herrschender ökonomischer Lehrmeinung bei steigendem Angebot und gleichbleibender Nachfrage? Sie sinken.

Und: Was machen die Strompreise in Deutschland?

Zuletzt im November 2007 wurde berichtet, daß die Staatsanwaltschaft, die bereits seit Mai 2006 ermittelt, über brisantes Material verfügt, das folgendes belegt: Die Großen Vier haben ein Kartell aufgebaut und treiben mit Hilfe von Absprachen die Strompreise nach oben. So wurden bereits in den fünf Jahren von 2002 bis 2007 die Strompreise in Deutschland um rund 50 Prozent nach oben getrieben. Doch obwohl das Material nach Aussagen von Insidern schlüssig beweist, daß die Großen Vier des deutschen Strommarkts, die zudem mit Zähnen und Klauen am Betrieb der 17 deutschen Atomkraftwerke festhalten, gegen Wettbewerbs- und Kartellgesetze verstoßen haben, wird das Syndikat von "Schwarz-Rot-Gelb-Grün" gedeckt. Die Staatsanwaltschaft ist in Deutschland politisch weisungsgebunden. Und die Linkspartei weiß nichts besseres, als von diesem Syndikat einen Sozialtarif zu erbitten.

Das sind die Zustände in Deutschland. Und sie sind nur aufrecht zu erhalten, weil eine Mehrheit der Deutschen nichts davon erfährt und statt dessen eine Art Grundrecht auf TV-Konsum in Anspruch nimmt.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      E.on, RWE, EnBW und Vattenfall treiben die Strompreise hoch
      Kartellamt sitzt auf brisanten Ermittlungsdaten (5.11.07)

      Für oder gegen die Stromkonzerne?
      Was treibt die Bundesregierung hinter den Kulissen? (7.01.07)

      Bundesregierung predigt Klimaschutz
      Zuwachs bei Blockheizkraftwerken mit Kraft-Wärme-Kopplung
      wird weiter blockiert (24.10.07)

 

neuronales Netzwerk