19.06.2007

Soziale Auslese
an der Uni-Pforte

Unterschichten-Kinder mit geringen Bildungs-Chancen

Heute wurde in Berlin die 18. Erhebung über die "wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in der BRD 2006" vorgestellt. Die von der Bundesregierung finanzierte Studie des Hochschul-Informationssystems (HIS) beruht auf den Daten von 17.000 StudentInnen. Bundesbildungs- uns Forschungs-Ministerin Anette Schavan glänzte durch Abwesenheit. Ausgehend von der Vermutung, daß es sich im Falle Deutschlands um eine Demokratie handele, wertete der Präsident des Deutschen Studentenwerks (DSW), Rolf Dobischat, die Ergebnisse der Erhebung als "beschämend für eine Demokratie".

Durchschnittlich 40 Prozent eines Jahrgangs - so die politische Vorgabe - sollen für die höchste Sprosse deutscher Ausbildung - das Universitätsstudium - ausgesiebt werden. Doch von 100 Kindern mit Akademiker-Vater rutschen 83 durchs Sieb, während nur 23 Kinder aus Nicht-Akademiker-Familien zu den Auserwählten zählen. Noch deutlicher wird die soziale Auslese, wenn Beamten-Kinder mit Arbeiter-Kindern verglichen werden: Ihre Chance auf ein Universitätsstudium ist fünfeinhalb mal so hoch wie die von Arbeiterkindern.

Angesichts dieser seit Jahren immer wieder veröffentlichten Zahlen1, fordert das DSW einmal mehr die "soziale Öffnung der Hochschulen". Beschämend ist allerdings die Begründung des DSW für diese Forderung. Es geht heutzutage nicht etwa um Gerechtigkeit, sondern um Human-Ressourcen. Die "Rekrutierungspotentiale in den hochschulnahen Bildungsmilieus" seien erschöpft, erklärt der DSW-Präsident trocken. Die Wirtschaft verlangt nach mehr HochschulabsolventInnen. Deshalb müsse der Nachschub nun aus "hochschulfernen und einkommensschwächeren Schichten mobilisiert werden".

Im Durchschnitt haben StudentInnen monatlich 770 Euro zur Verfügung. Aber die Bandbreite ist groß: 20 Prozent der StudentInnen müssen mit weniger als 585 Euro pro Monat auskommen - mit weniger als dem BAFöG-Höchstsatz. Immerhin ein Drittel der StudentInnen verfügt über weniger als 640 Euro und damit über weniger als von Familiengerichte als Orientierungswert für den Unterhalt durch die Eltern festgelegt wurde. Auf der anderen Seite sehen 60 Prozent der StudentInnen ihre Studiumsfinanzierung als "gesichert" an. Lediglich 25 Prozent der StudentInnen verfügt über mehr als 900 Euro monatlich. Dies belege, daß die "soziale Schere unter auch unter Studierenden erneut weiter auseinandergeht", sagte Konstantin Bender vom 'freien zusammenschluß von studentInnenschaften' (fzs).

Nach Angaben der "rot-grünen" Bundesregierung hat sich der Anteil der Arbeiterkinder unter den StudentInnen nach der BAFöG-Reform von 2001 von 12 auf 18 Prozent erhöht. Andere Untersuchung haben jedoch gezeigt, daß er in den letzten zehn Jahren bei 10 Prozent stagnierte und daß die geringfügige Anhebung des BAFöG, die nicht einmal den seit der letzten Erhöhung aufgelaufenen Kaufkraftverlust ausgleichen konnte, keinen Einfluß auf die soziale Auslese vor den Universitäts-Pforten hatte. Die Einführung von Studiengebühren hat nun ein übriges getan, um die soziale Auslese noch zu verschärfen. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gab in einer Stellungnahme zu bedenken, daß die veröffentlichten Daten bereits 2006 erhoben wurden und die Auswirkungen Studiengebühren nicht abbildeten. Die GEW fordert eine sofortige BAFöG-Erhöhung um mindestens zehn Prozent, ein Investitionsprogramm für 30.000 neue Wohnheimplätze, den Ausbau von Betreuungsangeboten für StudentInnen mit Kindern sowie die Aussetzung von Studiengebühren "auf unbestimmte Zeit".

Die aus der Sicht der Wirtschaft mangelhafte Ausnutzung der Humanressourcen hatte jedoch in den letzten vierzig Jahren einen entscheidenden Vorteil gezeitigt: Der Widerstand der StudentInnen, sei es gegen die Verschlechterung ihrer eigenen sozialen Lage, sei es gegen die umweltfeindliche, unsoziale und militaristische Politik von "Schwarz-Rot-Grün-Gelb" wird so erheblich gedämpft.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

1 Siehe auch unsere Artikel:

      Studiengebühren und BAFöG-Blockade (20.11.06)

      Freiburger Frühling (16.05.05)

      Wiederaufflammende Proteste in Ba-Wü (21.06.04)

      Gegen Bildungs- und Sozialabbau
      StudentInnen-Protest weitet sich aus (12.12.03)

 

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