26.01.2005

Verfassungsgericht öffnet Tür
für Studiengebühren

Weiterer Akt im Spiel mit verteilten Rollen?

Auch wenn es von Vielen nun vereinfacht so dargestellt wird: Mit seiner heutigen Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht Studiengebühren nicht legalisiert - noch nicht!

In einer sonst nicht üblichen Vorbemerkung erklärte der Vorsitzende des zweiten Senats des Verfassungsgerichts, Winfried Hassemer, heute, Mittwoch, 26. Januar 2005, in Karlsruhe, daß es nicht Aufgabe des Gerichts gewesen sei, darüber zu befinden, ob Studiengebühren verfassungsgemäß oder auch nur politisch vernünftig seien. Tatsächlich war es beim Rechtsstreit zwischen Bundesregierung und einigen "schwarz"-geführten Bundesländern lediglich darum gegangen, ob die Bundesregierung in einer so weitreichenden Frage in die kultuspolitische Hoheit der Länder eingreifen dürfe. Die Antwort, ein klares Nein, war vorherzusehen, da in der föderal organisierten Bundesrepublik - nicht ganz zu Unrecht im Rückblick auf die totalitäre Gleichschaltung auch der Universitäten während der Naziherrschaft - Kultus-, also auch Bildungspolitik, Ländersache ist.

Nun ist absehbar, daß der Ball von Richter Hassemer von den Medien alsbald aufgenommen wird. Es wird so die Hoffnung geweckt, daß nach einer Einführung von Studiengebühren durch eines - oder voraussichtlich mehrere - Bundesländer, mit Erfolgsaussicht beim Bundesverfassungsgericht - Erster Senat - dagegen geklagt werden kann. Dann könnten - rechtzeitig vor der nächsten Bundestagswahl - die "Schwarzen" die Rolle der Bösewichte übernehmen, um so "Rot-Grün" in unverdientem Glanz erscheinen zu lassen. Es darf spekuliert werden, ob die Stimmen dankbarer Studis - ähnlich wie die Stimmen getäuschter Irakkriegs-GegnerInnen vor der Wahl 2002 - der amtierenden Regierung zu einem weiteren Wahlsieg verhelfen könnten...

Und wie zu erwarten, kündigten bereits heute mehrere "schwarz"-regierte Bundesländer an, umgehend Studiengebühren einzuführen. Allerdings: Die "rot-rote" Berliner Landesregierung tanzte bereits aus der Reihe und sprach sich ebenfalls für Studiengebühren aus. Studi-VertreterInnen kündigten ihrerseits Protest-Aktionen "auf Bundes- und Landesebene" an.

Interessant wird es aber dennoch, wenn mensch sich die Urteilsbegründung näher anschaut: So heißt es darin, daß ein Verbot von Studiengebühren nicht nötig sei, um in Deutschland gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen. (Aktenzeichen: 2 BvF 1/03) Sicherlich wären Studiengebühren in Deutschland nur das Tüpfelchen auf dem i, denn die - wie in keinem anderen europäischen Land - extreme Selektion der Kinder aus armem und aus reichem Elternhaus, die über die Bildungs-Chancen entscheidet, beginnt bereits im Kindergarten und ist für die meisten Menschen im Alter von zehn Jahren unwiderruflich gelaufen.1 Wenn auch Studiengebühren im Vergleich zur gesamten Bildungsmisere nur noch relativ wenig zum bestehenden Ungleichgewicht der Bildungs-Chancen beitrügen, sie wären allerdings ein weiterer Baustein zur Festigung der ungleichen "Lebensverhältnisse".

Ein Nebenschauplatz für die öffentliche Diskussion um Studiengebühren ist bereits mit dem Modell einer Darlehens- finanzierung von Studiengebühren eröffnet worden. Daß es angesichts von Milliardenausgaben für Rüstungsprojekte - ein einziger Eurofighter wird zur Zeit mit 108 Millionen Euro veranschlagt, für den Zeitraum 2003 bis 2014 sind im Bundeshaushalt insgesamt 24,5 Milliarden Euro allein für die Beschaffung dieser Tötungsmaschinen eingeplant - nicht um Sparpolitik geht, sondern auch hier um Sozialabbau, um Umverteilung von unten nach oben geht, sollte eigentlich allen, die sich auf dem Weg zum Abitur auch ein wenig Grips-Gymnastik verschaffen konnte, klar sein. Dennoch wird von vielen Studis hier defensiv argumentiert und zudem völlig außer acht gelassen, daß die Aufbürdung von Darlehens-Schulden unvermeidlich in einen Zwang zu akademischer Anpassung und gnadenlosem Konkurrenzkampf mündet.

Es könnte sich für die deutschen Studis noch bitter rächen, daß sie es nach einem Abbruch der Proteste gegen "Bildungsklau und Sozialabbau" Ende 2003, Anfang 2004, verpaßt haben, sich dem Protest der Montags-Demos - von einzelnen löblichen Ausnahmen abgesehen - anzuschließen.

Allzu deutlich wurde bei dieser Entwicklung, daß nach wie vor die zwar gerne verbal-radikal auftretenden, aber mit "Rot-Grün" in vielfältiger Weise verbandelten Studi-Organisationen, die Proteste zu lenken vermögen. Doch möglicherweise macht "Rot-Grün" das eingangs angedeutete Spiel in verteilten Rollen selbst zunichte, indem nach dem Vorbild von "Rot-Rot" in Berlin die Unvermeidlichkeit von Studiengebühren alsbald anerkannt wird. Bundesbildungsministerin Bulmahn beginnt bereits erkennbar zu lavieren. Beispielhaft ist hierbei auch der Vorsitzende der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Peter Gaethgens. Einerseits erklärt er, daß die sozial Schwächeren nicht von den Universitäten fern gehalten werden dürften, andererseits propagiert er zugleich angesichts einer angeblich wachsenden Zahl Studierender die Studiengebühren als "notwendigen Ausweg".

 

Frank Bayer

 

Anmerkungen

1 Siehe auch unseren Artikel

      Die "Pisa"-Blamage öffnet die Augen... (17.12.01)

 

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