Der Frankfurter Flughafen kommt nicht aus den Schlagzeilen. Fluglärm und Ausbaupläne sorgen bei vielen Menschen in der Region für Gesundheitseinschränkungen und Befürchtungen, daß die Belastungen in Zukunft nicht besser, sondern noch sehr viel schlimmer werden. Kombiniert mit den vielen Planungs- und Betriebsproblemen - so wie zuletzt die abgedeckten Hausdächer in der Ost-Anflugschneise zur neuen Landebahn - werfen sie ein erschreckendes Licht auf die Versäumnisse bei Planung und vor allem Genehmigung des gesamten Systems Flughafens und die eigentlich mit dem Schutz der Bevölkerung betrauten Behörden.
Wenn ich lese, daß ein Gericht nötig ist, um einen klaren Planungsfehler zu rechtfertigen und die zuständige Behörde für das Genehmigungsverfahren, das hessische Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung, sich für ihr "schnelles" Handeln nach dem monatelangen Auftreten der Probleme mit den Wirbelschleppen lobt, dann zeigt mir das, es geht in keiner Weise um den Schutz der Menschen vor Gefahren durch den Flugbetrieb, sondern einzig und allein um den Schutz des Flugbetriebs vor den Anrainern. Fluglärm ist, genau wie Wirbelschleppen, ein messbares wie bekanntes Element des Flugbetriebs. Daher ist es für mich völlig unverständlich, wie man einen Ausbau samt Kapazitätserweiterung mit den entsprechenden Belastungen für die Umwelt und Menschen rund um den Flughafen, genehmigen kann.
Besonders pikant und daher auch ein gutes Beispiel für die Versäumnisse der Verantwortlichen ist sicher die aktuelle Wirbelschleppen-Problematik. Daß vor allem größere Flugzeuge - auf der neuen Landebahn dürfen selbst die längsten Maschinen (A340) uneingeschränkt landen - einen breiten Korridor von Luftverwirbelungen in Orkanstärke, die sogenannten Wirbelschleppen, erzeugen, ist allgemein bekannt. Sowohl in der Luft als auch auf dem Rollfeld müssen daher gerade bei großen Jets deutliche Sicherheitsabstände zwischen den Flugzeugen eingehalten werden. Anscheinend gilt dieses Sicherheitsdenken nicht, wenn es um Menschen geht; der Abstand zum Boden beim Überflug, der nötig ist, um Schäden durch Wirbelschleppen ausschließen zu können, läßt sich präzise berechnen. Wenn nun ein Gericht entscheidet, eine - und das ist hier besonders symptomatisch - nachträgliche Verklammerung der Dachziegel würde das Problem lösen, dann bin ich fassungslos, wie hier mit klar erwiesenen Gefährdungen der Menschen umgegangen wird. Sollte die nun vom Ministerium - wohlgemerkt fast ein Jahr nach Inbetriebnahme der Landebahn - verordnete und den Betroffenen zur eigenständigen Umsetzung empfohlene Maßnahme tatsächlich das Wirbelschleppen-Problem lösen, dann zeigt das überdeutlich, wie fahrlässig hier gehandelt wurde: Man nimmt die Gefährdung der Menschen nicht ernst, denn dann hätte eine Verklammerung VOR Inbetriebnahme der Landebahn erfolgen müssen.
Das Beispiel der Wirbelschleppen und die bereits eingetretenen, ganz konkreten Gefährdungen für die Betroffenen in der Einflugschneise durch herunterfallende Dachziegel und andere von den Wirbelschleppen abgeräumte Objekte machen nach meiner Ansicht deutlich: Es geht um eine Gefahr für Leib und Leben - die Landebahn muß daher umgehend geschlossen werden. Es muss eine transparente, umfassende Risikobewertung erfolgen, die nicht mit dem Ziel verfolgt wird, so schnell wie möglich die Kapazitäten des Flughafens Frankfurt zu erweitern, sondern die Menschen, die vom Flugbetrieb betroffen sind, umfassend zu schützen. Egal ob Fluglärm, Abgase oder umherfliegende Ziegel: Planung und Genehmigung der neuen Landebahn und des gesamten Flughafens sind aus meiner Sicht fahrlässig.
Ich sehe mich als Wissenschaftler und Arzt in einer besonderen Verantwortung für die Gesundheit der Menschen in der Region. Wenn ich sehe, wie oberflächlich oder fast schon fahrlässig hier von den Verantwortlichen gearbeitet wird, dann muss ich sagen, wenn man in der Medizin, zum Beispiel bei der Medikamenten- oder Therapieentwicklung, ähnlich vorgehen würde, wäre das für alle ein unfaßbarer Skandal. Wer vor einer umfassenden, streng reglementierten Abklärung möglicher Gefahren ein neues Medikament "ausprobiert", der geht in Deutschland ins Gefängnis. Wer eine neue Landebahn ohne - wie das Wirbelschleppen- und Lärmproblem deutlich zeigt - Lösungen für die klar erfassbaren Gefährdungen eröffnet, der darf sich als Förderer von Wirtschaft und Verkehr feiern lassen. Die Verantwortungslosigkeit, die immer wieder im System Flughafen und Flugbetrieb zu Tage tritt, sei es nun bei der Bewertung von Gesundheitsgefahren von Fluglärm, die wissenschaftlich gut dokumentiert sind oder beispielsweise bei Wirbelschleppen, die ebenfalls wohlbekannt sind, dann drängt sich mir der Verdacht auf, daß man die Gefährdung der Menschen rund um den Flughafen und vor allem in den An- und Abflugschneisen möglicherweise sogar in Kauf nimmt, um eine Infrastruktur zu schützen, die die Menschen krank macht oder gar - Stichwort herabfallende Ziegel - deren Leben gefährden kann! Wer schützt uns vor diesen "Verantwortlichen"?
Gastbeitrag von
Thomas Münzel
für die
Zur Person:
Der Kardiologe und Universitäts-Professor Dr. Thomas Münzel ist Direktor der II. Medizinischen Klinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Mainz. Er engagiert sich bereits seit langem gegen Fluglärm und gegen die Expansion des Frankfurter Flughafens. Münzel hat neben dem Fluglärm die gesamte Palette an Belastungen durch den Flugverkehr im Blick: "Wir sind im Rhein-Main-Gebiet sowieso schon am Ächzen. Wir haben hohe Ozonwerte und hohe Feinstaubkonzentrationen. Gerade der Feinstaub macht mir Angst. Die Partikel werden inhaliert, gehen ins Blut und dann in die Gefäße und verursachen dort Entzündungen. Und was überhaupt noch nicht berücksichtigt wurde, sind die Abgase der Flugzeuge, die Stickoxidbelastung. Das Ganze ist ein hochreaktiver Cocktail, der gerade im Rhein-Main-Gebiet gemixt wird..." Im November 2012 veröffentlichte er eine medizinische Studie, die belegt: Fluglärm schadet der Gesundheit.