27.09.2004

Rede

Sagen, was ist

Ich bin freier Journalist und schreibe gelegentlich auch für die Badische Zeitung. Ich gestehe deshalb auch gleich von vorne herein, daß ich es niemals wagen würde, die Badische Zeitung zu kritisieren. Aber eines werde ich mir herausnehmen, zu

Sagen, was ist

Ich möchte zunächst mit einem kleinen Quiz beginnen:
Wer kennt einen bekannten Sozialdemokraten mit französisch klingendem Namen, der mit "La" beginnt und der es als eines der wichtigsten Dinge ansah, zu SAGEN, WAS IST.

Lafontaine?
Lassalle!

Lassalle gilt ja neben den anderen Gründungsvätern der Sozialdemokratie wie Marx, Engels, August Bebel und Wilhelm Liebknecht als ein "Gemäßigter". Tatsächlich aber hat auch er die damalige Grundüberzeugung der Sozialdemokratie geteilt, daß der Kapitalismus abgeschafft werden müsse. Eine Grundüberzeugung mit der erst 1914 gebrochen wurde, was unter anderem zur Spaltung der Arbeiterbewegung und der Gründung der kommunistischen Parteien führte. Und dieser Lassalle verdiente - wie viele Sozialdemokraten zu jener Zeit - sein Geld unter anderem als Journalist. Als seinen wichtigsten Grundsatz nannte er:

Sagen, was ist

So beginne ich mal mit einem Beispiel:
In der BZ vom letzten Freitag, 24. September, war auf Seite 2 zu lesen:
"Aber seit die Montagsdemonstrationen fast unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfinden und sich das Meinungsbild in der Öffentlichkeit gewandelt hat..." und so weiter

"Aber seit die Montagsdemonstrationen fast unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfinden" ist da zu lesen! Dem wage ich selbstverständlich nicht zu widersprechen.

Schauen wir mal im Freiburger Teil der BZ vom letzten Dienstag,
21. September, nach:
Oh la la: Da ist von Gedränge zu lesen - übertreiben müßte die Lokalredaktion ja nicht gleich.
Aber - Pardon - ich hab nicht genau hingeschaut: Nicht vom Rathausplatz oder der Montags-Demo ist da zu lesen, sondern:
Auf dem Fitnessmarkt herrscht Gedränge.
Ein halbseitiger - hm, ich glaube, das wird Bericht genannt. Es geht um drei Fitness-Studios, die in den kommenden drei Wochen eröffnet werden sollen.
Halbseitig.
Wie groß der Bericht über die Freiburger-Montags-Demo war?
Quizfrage:
Halbseitig?
Viertelseitig?
Kleiner?
Gar nix?
Ich sage da gar nichts dazu. Ich will ja nicht etwa die BZ kritisieren.

Wie hieß es in der Freitagsausgabe?
"Aber seit die Montagsdemonstrationen fast unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfinden"

und weiter:
"...und sich das Meinungsbild in der Öffentlichkeit gewandelt hat"

Am Tag darauf war auf der Titelseite der Samstagsausgabe zu lesen:
"Reformbereitschaft wächst"
und weiter - kleinere Überschrift auf der BZ-Titelseite:
"Erstmals eine Mehrheit für Schröders >>Agenda 2010<<"

Ja hat Schröder es nun tatsächlich geschafft, sich ein neues Volk zu wählen?

Der stellvertretende Chefredakteur der BZ, Thomas Fricker, kommentiert - ebenfalls auf Seite 1:

"Umfragen sind mit Vorsicht zu genießen."

Ja nein halt, Ihr versteht das vollkommen falsch! Das war nur der erste Satz!

Thomas Fricker schreibt weiter:
"Denn offenbar hat aller Streit, haben alle Montagsdemonstrationen den Widerstand gegen Hartz IV und andere scheinbare Grausamkeiten - scheinbare Grausamkeiten! - nicht gestärkt, sondern geschwächt."

Ja wie das?

Fricker schreibt:
"Schröder und Co. waren gezwungen, ihre Politik zu erklären. Viele Bürger informierten sich,... (...) Und wer dies tat entdeckte nicht selten, daß von sozialem Kahlschlag und verordneter Armut die Rede nicht sein kann."

Haben wir hier alle zu wenig BZ gelesen, daß wir auch heute wieder hier rumstehen?

Thomas Fricker hat offenbar nicht die 'Welt am Sonntag' von vor acht Tagen gelesen.
Oh jeh, jetzt wird's kribbelig, jetzt kommt der auch noch mit einer Springer-Zeitung, werden jetzt manche denken.
Abwarten!
Wer unter euch will etwa den offiziellen Armutsbericht der Bundesregierung in Zweifel ziehen?

Die 'Welt am Sonntag' hat nur - gewissermaßen ein White-out statt einem Black-out - die Frechheit begangen, vorab daraus zu zitieren. Und "Rot-Grün" hatte beabsichtigt den Armuts- und Reichtumsbericht, zu dem sie verpflichtet ist, erst Anfang 2005 zu veröffentlichen. Die Springer-Journalisten halten sich also mal an Lassalle und Sagen, was ist

Die Armut in Deutschland, einem der reichsten Länder des Globus und zudem Exportweltmeister,
die Armut in Deutschland ist auf 13 Prozent gestiegen.

Und noch eine Aussage der "rot-grünen" Bundesregierung, die ich nicht anzuzweifeln wage:
Mit Hartz IV sollen rund 5 Milliarden Euro eingespart werden.
Ich sage nur, was ist.
Frage:
Bei wem sollen die 5 Milliarden Euro eingespart werden?
Bei VW?
Bei DaimlerChrysler?
Bei Springer?
Bei der BZ?
Bei EnBW?

Diese Fragen werden uns allerdings nicht in den Massenmedien beantwortet.

Die müßt ihr euch schon selbst beantworten. Ich wage es selbstverständlich nicht, euch diese Fragen zu beantworten.

Zeitung zu lesen ist oft sehr spannend, besonders wenn ich zugleich Polizeiberichte zur Verfügung habe.
Polizeiberichte? Jetzt wird's ja noch doller, werden manche denken, erst kommt er uns mit einer Springer-Zeitung, dann auch noch mit der Polizei!

Ich sage nur, was ist.

Nach der Offenburger Montags-Demo vom 23. August hieß es in vielen baden-württembergischen Zeitungen, das hab ich im Internet selbst gesehen - daß in Offenburg nur 300 oder 400 Leute auf der Montags-Demonstration gewesen seien. Der Polizeibericht sprach von 900 bis 1.000 - in Übereinstimmung mit den Veranstalterinnen und Veranstaltern. In Offenburg selbst stand's selbstverständlich richtig in der Presse. Wie es zu den um zwei Drittel reduzierten Zahlen von 300 oder 400 kam, konnte ich allerdings nicht herausfinden.

Nach dem 6. September hieß es dann erstmals bundesweit nahezu einvernehmlich in den deutschen Massenmedien, die TeilnehmerInnen-Zahlen bei den Montags-Demos gingen zurück.

Nach den von den Veranstalterinnen und Veranstaltern gemeldeten Zahlen, ich hab das gesammelt und addiert, waren es bundesweit am 30. August rund 198.000 und Montag, 6. September, rund 210.000 Menschen - also ein weiterer Anstieg!

Jetzt die Basler Zeitung vom 7. September:
Da ist zu lesen, daß die Teilnahme an den Montags-Demos in Deutschland "unvermindert" sei.
Und - mensch lese und staune - in Basler Redaktionsstuben liegen Quellen vor, die deutschen Redaktionen anscheinend unzugänglich sind. In der Basler Zeitung ist zu lesen, in Deutschland seien (ich zitiere) "nach Polizeiangaben insgesamt 75.000" auf die Straßen gegangen - "so viele wie etwa in der Vorwoche".

Das kann jede und jeder selber nachlesen - ich
sage nur, was (da zu lesen) ist.

Eckart Spoo, Herausgeber und Redakteur der Zeitschrift 'Ossietzky', schreibt:
"Die Demokratie in Deutschland ist den Eigentumsverhältnissen in den Medien unterworfen.
Aber wer merkt es?"
Im Jahrbuch 2004 "Medien, Bürgerrechte und Politik" des Komitees für Grundrechte und Demokratie sind einige Beweise für diese These vorgelegt worden:

Der größte Pressekonzern in Deutschland ist der Axel-Springer-Verlag. Ihm gehören Bild und Welt, Bild am Sonntag, Welt am Sonntag, Berliner Zeitung, Berliner Morgenpost, Hamburger Abendblatt und vieles mehr. Die bei Springer beschäftigten Journalisten sind allesamt auf das marktwirtschaftliche System verpflichtet, den Kapitalismus. Es ist ihre Aufgabe, den vielen Millionen Lesern von Springer-Zeitungen und -Zeitschriften immerzu die Botschaft einzuträufeln, der Kapitalismus sei gut für sie, besser als alles sonst Erdenkliche, einfach das Bestmögliche.

Zum Springer-Konzern gehören auch die Lübecker Nachrichten, die Monopolzeitung in Lübeck und Umgebung. Wie alle Springer-Zeitungen preist dieses Blatt tagtäglich die Konkurrenz, den freien Markt, auf dem sich alles zum Besten fügt. Wer bemerkt diesen grotesken Widerspruch, diese Verlogenheit: daß ein Monopolblatt den freien Markt preist?

In den meisten Regionen Deutschlands erscheint nur noch je eine Zeitung. Im Bundesland Rheinland-Pfalz beispielsweise gibt es vier Tageszeitungen, je eine in den vier (früheren Regierungs-) Bezirken Mainz, Koblenz, Ludwigshafen und Trier; die Verbreitungsgebiete sind genau gegeneinander abgegrenzt.

In Ostdeutschland erschienen bis 1989 neben den SED-Bezirks- Zeitungen noch Zeitungen der anderen Parteien, die aber, auch wenn sie sich in Einzelheiten unterschieden, alle den "realexistierenden Sozialismus" und die damaligen Machtverhältnisse priesen. Die SED-Bezirkszeitungen wurden dann sämtlich von westdeutschen Pressekonzernen übernommen; die anderen Blätter wurden eingestellt. Die in Monopolzeitungen umgewandelten früheren SED-Blätter preisen jetzt alle den Kapitalismus und die heutigen Machtverhältnisse.

Obwohl die regionale Monopolisierung der Presse auch in Westdeutschland weitgehend - bis auf wenige Regionen wie Berlin, München, Frankfurt/Main, Düsseldorf - abgeschlossen ist (teilweise mit dem Ergebnis, daß zwar noch zwei Zeitungen nebeneinander erscheinen, die aber demselben Verlag gehören, so in Hannover und Nürnberg), geht die Pressekonzentration weiter. Die großen Konzerne erbeuten nach und nach die Monopolblätter, wie es Springer in Lübeck getan hat. Der Holtzbrinck-Konzern zum Beispiel (Die Zeit, Handelsblatt, Tagesspiegel u. a.) hat sich den Südkurier, die Lausitzer Rundschau und die Saarbrücker Zeitung (die einzige Zeitung im Saarland) zugelegt, und jedes Holtzbrinck-Blatt stimmt mit jedem Springer-Blatt im Lobpreis des Kapitalismus überein, der angeblich die Grundlage aller Freiheit ist. Und die Blätter des Bertelsmann-Konzerns (Gruner+Jahr), des Essener WAZ-Konzerns und der anderen großen Verlage singen unisono dasselbe Lied.

Wo einmal ein Monopol besteht, da kann Konkurrenz nicht wiedererstehen. Kleine Versuche hat es gelegentlich hier und da gegeben. In Osnabrück und Umgebung, wo schon seit Jahrzehnten die Neue Osnabrücker Zeitung allein erscheint, trat einmal eine Neue Freie Presse mit der Parole "Brecht das Meinungsmonopol der NOZ" an. Der Versuch war schnell gescheitert. Selbst der reiche Heinrich-Bauer- Verlag schaffte es nicht, in dem kleinen Verbreitungsgebiet der Husumer Nachrichten ein Konkurrenzblatt zu etablieren. Aber nach der "Wende" bedachte ihn die Treuhandanstalt mit der Volksstimme, der früheren SED-Zeitung im Bezirk Magdeburg und Umgebung. So konnte dieser mächtige Zeitschriftenkonzern endlich doch ins Zeitungsgeschäft hineinwachsen.

Wer in Freiburg lebt, kann dem allem sicherlich ein weiteres Beispiel hinzufügen. Aber ich würde es sicherlich niemals wagen, die Badische Zeitung als Monopolblatt zu bezeichnen.
Das wäre eine Meinungsäußerung.
Ich sage nur, was ist.
Jede und jeder ist schließlich selbst in der Lage, sich seine eigene Meinung zu bilden. Mit den - oder ohne die - Informationen, die nicht so einfach erhältlich sind.

Ich danke fürs Zuhören.

 

Klaus Schramm

Redebeitrag zur Montags-Demo am 27.9.04 in Freiburg

 

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