4.07.2011

AKW Mühleberg abgeschaltet
Schwere Vorwürfe
gegen Schweizer Atom-Aufsicht ENSI

AKW Mühleberg mit Heftklammern Die Schweizer Atom-Aufsicht ENSI hat offenbar lange Zeit beide Augen zugedrückt. Nach einem alarmierenden Gutachten der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) mußte das AKW Mühleberg vom Netz genommen werden.

Spätestens seit einem schwerwiegenden Vorfall im französischen AKW Cruas (siehe unseren Bericht vom 2. Dezember 2009) ist bekannt, welche Gefahren von einem Verstopfen des AKW-Kühlsystems durch Treibgut ausgehen. Auch die Schweizer Atom-Aufsicht ENSI ("Eidgenössisches Nuklearsicherheitsinspektorat") hätte wissen müssen, daß der Fluß Aare, der zur Ableitung von zwei Dritteln der vom Reaktor produzierten Wärme genutzt wird, bei starkem Regen oder Hochwasser Treibgut mit sich führt, das die Kühlwasser-Leitungen verstopfen kann.

In der Nacht vom 1. auf 2. Dezember 2009 kam es in einem der vier Blöcke des AKW Cruas wegen angeschwemmten Treibguts aus der Rhone zu einer Notabschaltung und in der Folge zur Auslösung eines "Notfallplans". Der Vorfall mußte selbst von der französischen Atom-Aufsicht ASN als der Schwerste der vier vorangegangenen Jahre eingestuft werden. Wie die Reaktor-Katastrophe von Fukushima eindringlich gezeigt hat, kann ein Ausfall der Reaktor-Kühlung zum Super-GAU führen.

Das Schweizer Recht schreibt vor, daß die Atom-Aufsicht ENSI bei einem gravierenden Vorfall im Ausland eine entsprechende Sicherheits-Analyse der Schweizer Atomkraftwerke vornehmen muß. Das ENSI hat jedoch keine solche Analyse angeordnet. Wäre bereits damals ein ETH-Gutachten angefordert worden, hätte das AKW Mühleberg im Schweizer Kanton Bern schon vor einem Jahr abgeschaltet werden müssen.

Das ENSI hatte ganz im Gegenteil den vier Schweizer Atomkraftwerken mit insgesamt fünf Reaktoren einen Persilschein ausgestellt. In einem Forschungsbericht vom Januar 2010 schrieb das ENSI, "die Auslegung der Kernkraftwerke in der Schweiz deckt derartige Störfallszenarien ab." Das in der vergangenen Woche veröffentlichte ETH-Gutachten hat das Gegenteil bewiesen. Das AKW Mühleberg mußte vom Netz genommen werden und das ENSI trug dem Betreiber BKW, Bernische Kraftwerke, auf, "die Mängel" zu beheben.

Auch nach dem Super-GAU von Fukushima hatte das ENSI nichts von einer Verstopfungsgefahr des Kühlsystems von Atomkraftwerken wissen wollen. Noch am 8. April hatte das ENSI auf eine entsprechende Anfrage der Schweizer 'SonntagsZeitung' geantwortet, die Wasserfassung in Mühleberg sei so angelegt, daß "eine Verstopfung praktisch ausgeschlossen werden kann."

WissenschaftlerInnen der ETH Zürich haben jedoch im Gegensatz zum ENSI genau geprüft und anhand von Modellversuchen festgestellt: "Im Falle Extremhochwassers, das rechnerisch alle 10.000 Jahre auftritt, besteht eine Verstopfungsgefahr der Kühlwasserentnahme." Es sei daher klar, daß das Problem behoben werden muß. Und es ist nun auch klar, daß das ENSI das AKW Mühleberg schon vor über einem Jahr hätte vom Netz nehmen müssen. Bekannt ist zudem, daß nicht nur bei einem "rechnerisch alle 10.000 Jahre" auftretenden Hochwasser Gefahr besteht, sondern auch bei einem Dammbruch. Denn das AKW Mühleberg liegt nur 1,3 Kilometer hinter der Staumauer des bald 100-jährigen Wohlenseedamms.

Nicht etwa im März oder April, erst nach dieser ETH-Veröffentlichung erkennt das ENSI nun ein "ernsthaftes Problem". ENSI-Vize Georg Schwarz greift zu Ausflüchten wie etwa: "Daß die Verstopfungsgefahr genauer zu analysieren ist, steht seit längerer Zeit auf der Agenda. Nun hat Fukushima Druck erzeugt."

Doch auch die Erdbeben- und Überflutungsgefahr wurde vom ENSI nach dem Super-GAU von Fukushima nicht geprüft. Markus Kühni von Fokus-Anti-Atom, der die Gefahr durch verstopfte Kühlwasser-Leitungen publik gemacht hatte, hat japanische Unfallberichte über die Reaktor-Katastrophe von Fukushima genau studiert: Während der Katastrophe wurde es im Containment rund um den Reaktor extrem heiß. Deshalb verdunstete das Wasser in den Meßgeräten - die Kraftwerks-Betreiber hatten keine oder falsche Angaben über den Stand des Kühlwassers. "Ausgerechnet während der kritischsten Momente herrschte Blindflug," sagt Kühni. Ihm fehle das Vertrauen, daß das ENSI diese und weitere Sicherheitsfragen, die sich aus Fukushima ergeben, gründlich analysieren werde.

Doch nicht nur wegen der Verstopfungsgefahr steht das ENSI in der Kritik. Auch die Zuganker, welche Risse im Reaktordruckbehälter des AKW Mühleberg stabilisieren sollen, sind laut ExpertInnen ein erhebliches Sicherheitsrisiko. Atomkraft-GegnerInnen sprechen sarkastisch von "Büroklammern". Dennoch erhielt das AKW im Dezember 2009 eine unbefristete Betriebsbewilligung.

Der Ende Mai von der Schweizer Regierung verkündete "Atom-Ausstieg" sorgt dabei ebenso wenig für Beruhigung wie etwa Merkels "Atom-Ausstieg" im baden-württembergischen Heilbronn. So garantiert der Schweizer "Atom-Ausstieg", daß die Menschen im Umkreis von hundert Kilometern um das AKW Mühleberg noch bis zum Jahr 2022 mit der Gefahr leben sollen. Ebenso wie die Menschen in Heilbronn und Umgebung, die sich unter einem "Atom-Ausstieg" etwas anderes vorstellten, als noch bis zum Jahr 2022 mit der Bedrohung durch Block II des AKW Neckarwestheim leben zu müssen.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Atom-Ausstieg in der Schweiz?
      Regierung versucht Volksverdummung (26.05.11)

      20.000 beim AKW Beznau
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      AKW Leibstadt
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      Schweizer Studie:
      AKW-Neubau unwirtschaftlich (8.06.10)

      5000 bei Schweizer Anti-AKW-Demo
      Für Abschaltung des AKW Gösgen und gegen neue AKW (25.05.10)

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      Schweizer AKW Mühleberg bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag?
      Unbefristete Betriebsgenehmigung ohne BürgerInnenbeteiligung
      (22.12.09)

      Notabschaltung im französischen AKW Cruas
      Hauptkühlsystem verstopft (2.12.09)

      August 2009: "Panne" im AKW Beznau
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      Desinformation in der 'Badischen Zeitung'
      Die Schweizer Endlager-Suche (18.06.09)

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