12.01.2005

Präventiver Abschuß
von Flugzeugen

Es geht um ungesicherte AKWs

Ein vom Bundestag im September beschlossenes Gesetz erlaubt es der Luftwaffe, von TerroristInnen entführte Passagiermaschinen mit sämtlichen Fluggästen abzuschießen. Weniger die Angst vor einem gezielten Anflug eines Hochhauses nach dem Vorbild des 11. September 2001 stand hierbei Pate - vielmehr soll mit Hilfe dieses Gesetzes das Argument von Atomkraft-GegnerInnen entkräftet werden, wonach Atomkraftwerke die für TerroristInnen interessantesten Objekte darstellen. Sämtliche 18 deutschen Atomkraftwerke sind gegen den gezielten Absturz einer Passagiermaschine nicht ausreichend geschützt.1

Die wissenschaftlich untermauerten Warnungen des Atom-Kritikers und Bestseller-Autors Holger Strohm, die dieser bereits vor Jahren publizierte,2 wurden zuletzt durch die Veröffentlichung einer geheim gehaltenen Studie der regierungsamtlichen 'Gesellschaft für Anlagen-und Reakorsicherheit' (GRS) erneuert.3 Die Ergebnisse der Studie bestätigen Holger Strohms Ausführungen auf der ganzen Linie. Das Triebwerk einer gezielt zum Absturz gebrachten Linienmaschine kann die Betonkuppel jedes der 18 in Betrieb befindlichen deutschen AKWs durchbrechen. Zu dieser mechanischen Wirkung kommt ein Brand mit vielen tausend Liter Kerosin hinzu. Dabei können die Hauptkühlleitungen des Reaktors zerstört werden. Eine Katastrophe wie in Tschernobyl ist die unausweichliche Konsequenz dieses keineswegs phantastischen Szenarios.

Auch die Problematik der gegen Terror-Angriffe völlig ungeschützten CASTOR-Trasporte wurde von der Bundesregierung bisher bewußt ausgeblendet.4 Mit jedem CASTOR-Transport quer durch Europa wird ein radioaktives Inventar in vielfacher Größe der Atombombe von Hiroshima zur Zielscheibe gemacht.

Greenpeace fordert in diesem Zusammenhang schon lange zu recht: "Man muß die Gefahren beseitigen und nicht die Gefahren geheim halten." Doch die Gefahren zu beseitigen hieße nichts anderes als der sofortige Atom-Ausstieg. Und es muß davon ausgegangen werden, daß internationale Terror-Gruppen längst um diese Achilles-Ferse der Industrienationen wissen. Zumindest in US-Medien wurde breit darüber berichtet, daß "Al Quaida" schon vor dem 11. September 2001 einen solchen Anschlag per Flugzeug auf ein AKW ernsthaft erwogen habe.

Heute hat nun auch Bundespräsident Horst Köhler große Bedenken gegen Teile des neuen "Luftsicherheitsgesetzes" angemeldet. Nach Angaben des Bundespräsidialamtes vom heutigen Mittwoch hat Köhler das Gesetz zwar unterzeichnet, zugleich aber Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von "Einzelvorschriften" geäußert. Dabei geht es allerdings um einen zweiten äußerst bedenklichen Aspekt dieses Gesetzes: Der präventive Abschuß eines Passagierflugzeuges ist offensichtlich nicht mit dem im Grundgesetz garantierten Recht auf Leben und Menschenwürde unvereinbar.

"In letzter Konsequenz erlaubt die Vorschrift des Paragrafen 14 Luftsicherheitsgesetz den Abschuß eines Flugzeuges, das das Leben außerhalb des Flugzeuges befindlicher Menschen bedroht, selbst wenn es mit unbeteiligten Dritten besetzt ist", schreibt Köhler in gleichlautenden Briefen an Bundeskanzler Gerhard Schröder, Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und Bundesratspräsident Matthias Platzeck. Der Bundespräsident rügt damit eine grundgesetzwidrige Abwägung, denn dabei werde "Leben zugunsten anderen Lebens geopfert." Und unerwartet klar schreibt Köhler: "Die Abwägung von Leben gegen Leben ist verfassungsrechtlich unzulässig."

Zudem meldete der Bundespräsident Zweifel an, ob der im Gesetz vorgesehene Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der Amtshilfe mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Die Verfassung sehe dafür außer im Verteidigungsfall nur einen eng begrenzten Rahmen für Not- und Katastrophenhilfe vor, erklärte Köhler. Es wird bereits in verschiedenen Medien spekuliert, Köhlers Widerstand gegen das Gesetz sei darin begründet, daß er ebenso wie andere PolitikerInnen und ManagerInnen ständig mit dem Flugzeug unterwegs ist. So war die Haltung von Horst Köhler auch inkonsequent, indem er das Gesetz zugleich unterzeichnete und Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von "Einzelvorschriften" äußerte. Immerhin macht so er Weg frei für eine verfassungsgerichtliche Überprüfung des Gesetzes.

Ausgesprochen witzig ist es, zu lesen wie in deutschen Medien um den heißen Brei herum geschrieben wird. So heißt es beispielsweise: "Problematischster Teil des Gesetzes ist der Artikel 14. Darin geht es um die Frage, unter welchen Umständen und mit welchen Mitteln die Polizei, die Flugsicherung oder die Bundeswehr ein Flugzeug stoppen dürfen, das offensichtlich als Waffe gegen Häuser oder andere Großeinrichtungen eingesetzt werden soll." Sollte der Mehrzahl der festangestellten JournalistInnen in Deutschland tatsächlich nicht klar sein, um welche "Großeinrichtungen" es sich dabei handeln dürfte?

 

Adriana Ascoli

 

Anmerkungen

1 Siehe hierzu auch unseren Artikel

      Deutsche AKWs ungesichert gegen Flugzeug-Terror (17.12.03)

2 Siehe hierzu auch unsere Rezension

      Die stille Katastrophe

3 Siehe hierzu auch unseren Artikel

      AKWs ungeschützt gegen Terror-Angriffe (7.04.03)

4 Siehe hierzu auch unseren Artikel

      Amt für Fragenschutz (21.06.04)

 

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