3.07.2010

AKW-Neubau?
Die große Propaganda-Offensive

AKW-Propaganda Mittlerweile liegen Absichts- erklärungen aus Schweden, Italien, den USA, Großbritannien, Ägypten, der Türkei, Libyen, Kenia und neuerdings auch Finnland vor, wonach neue Atomkraftwerke gebaut werden sollen. US-Präsident Barack Obama stellte gar 54 Milliarden US-Dollar als Staatsbürgschaft in Aussicht. Dennoch ist keine "Renaissance der Kernenergie" zu erwarten, denn all diese Meldungen stellen einen Teil einer groß angelegten Propaganda-Offensive dar.

Der Reichstag in Helsinki gab am Donnerstag "grünes Licht" für Pläne der Regierung zum Bau zweier neuer Reaktoren durch die heimischen Energie-Konzerne TVO und Fennovoima. Erst Mitte Juni hatte das Parlament im benachbarten Schweden das Verbot von Reaktorneubauten nach 30 Jahren aufgehoben und den Weg für neue Atomreaktoren freigemacht. Ob von diesen Plänen auch nur ein einziger realisiert wird, ist jedoch mehr als fraglich.

Zwar sind derzeit nach Auskunft der Internationale Energieagentur (IEA) weltweit 44 Atomreaktoren im Bau. Doch selbst der IEA-Chefökonom Fatih Birol sagt im 'spiegel'-Interview am 2. Juli 2010: "Das weltweite Interesse an neuen Kernkraftprojekten steigt - in China etwa oder im Nahen Osten. Doch ich glaube nicht, daß dies einen Bau-Boom bei Kernkraftwerken auslöst. (...) Es gibt zu wenige Fachkräfte, zu wenige Produktionskapazitäten für spezielle Kraftwerksteile und zu wenig Investitionssicherheit, insbesondere in den OECD-Ländern."

Bis vor kurzem klang dies von Seiten der IEA euphorischer. So schrieb die 'Financial Times Deutschland' (FTD) noch am 25. Juni 2010: "Kaum hat das schwedische Parlament mit knapper Mehrheit dafür gestimmt, daß alte Reaktoren durch neue ersetzt werden dürfen, ist wieder von einer Renaissance der Kernkraft die Rede. Das kommt einem irgendwie bekannt vor. Die Wiederentdeckung der umstrittenen Technik 25 Jahre nach der Katastrophe von Tschernobyl geistert seit Jahren durch die Medien. Nur hat sie mit der Realität wenig zu tun. Den neuen Atomboom sagen vor allem Hersteller der Kraftwerke und einige große Energieversorger voraus. Größter Förderer der Atomenergie ist die Internationale Energieagentur (IEA) in Paris, die die Meinung vertritt, daß für die weltweite Halbierung der CO2-Emissionen bis zum Jahr 2050 die Kapazitäten verdreifacht werden müßten. Demnach müßten Hunderte neue Blöcke gebaut werden, 20 bis 30 Meiler pro Jahr. So wird es nicht kommen, darauf kann man wetten."

In der Redaktion der FTD sind die ökonomischen Fakten bekannt. Denn selbst vorausgesetzt, es gäbe weltweit keine Anti-AKW-Bewegung, ist die Atomkraftwerks-Technik schlicht zu teuer. Bereits im Februar 2009 veröffentlichte die Unternehmensberatung A.T. Kearney eine in den entsprechenden Kreisen mit Aufmerksamkeit gelesene Studie, wonach sich AKW-Neubaupläne nicht mehr rechnen und so die Überalterung des europäischen AKW-Parks voranschreiten werde. Die Studie ist keine Auftragsarbeit politischer Interessengruppen oder Unternehmen, sondern wurde von der international tätigen Managementberatung intern zur Marktanalyse erstellt.

Weltweit waren Ende 2009 noch insgesamt 437 Reaktoren in 212 Atomkraftwerken für die Stromerzeugung in Betrieb - einer weniger als im Jahr davor. Zwei Anlagen gingen neu in Betrieb, drei wurden abgeschaltet. Und unter den 44 Reaktoren, die nominell im Bau sind, befinden sich zehn, die bereits seit den 1980er Jahren oder länger in den Statistiken als "im Bau" geführt werden. Ob und wann diese jemals fertig gestellt werden, bleibt fraglich. Lediglich 29 dieser 44 weltweiten Neubauvorhaben wurden in den vergangenen sieben Jahren begonnen. Spitzenreiter ist China mit 20 Anlagen im Bau. Die Besonderheit bei China besteht darin, daß die Neubau-Projekte staatlich subventioniert werden können. Doch die Windenergie hat in China längst die Atomenergie überflügelt. Windkraftanlagen kosten pro Kilowatt Leistung höchstens ein Fünftel eines Atomkraftwerks.

In Schweden und Großbritannien wurden Subventionen für den Neubau bereits ausgeschlossen. Wenn sich die neugewählte britische Regierung an ihren Beschluß hält, wird die Begeisterung potentieller Investoren schnell auf Null sinken. Seit 2004 wird im finnischen Olkiluoto an einem neuen AKW gebaut. Das im Januar 2009 auseinander gebrochene deutsch-französische Konsortium Siemens-Areva hatte dem finnischen Strom-Konzern TVO das AKW zum Fixpreis von 3,2 Milliarden Euro angeboten. Mittlerweile belaufen sich die Baukosten bereits auf über 6 Milliarden Euro und bis zur Fertigstellung dürften sich nach realistischen Schätzungen die Gesamtkosten auf mehr als 7 Milliarden Euro belaufen. Die Mehrkosten können TVO nun nicht in Rechnung gestellt werden. Dabei ist der Zeitplan des Baus bereits drei Jahre im Verzug. Angekündigt war die Inbetriebnahme einmal für Juli 2009.

Auch in einer Studie der Unternehmensberatung Moody's wird Investoren vor einem Engagement beim Bau von Atomkraftwerken dringend abgeraten. Die Kapitalkosten seien unkalkulierbar hoch, das Geld ist mindestens 20 Jahre gebunden. Erst wenn die Meiler abgeschrieben sind, werden sie zu den Gelddruckmaschinen, um die die deutschen Betreiber derzeit kämpfen.

Die Citibank legte im Februar dieses Jahre eine Studie vor, die ebenso wie die vorangegangenen zum Ergebnis kam: Atomenergie ist - ohne massive staatliche Subventionen - unwirtschaftlich. Und im Juni bestätigte eine im Auftrag der Schweizer Kantone Basel-Stadt und Genf erstellte Studie, daß der geplante Neubau von Atomkraftwerken in der Schweiz unwirtschaftlich sei.

Unter den Bedingungen des freien Marktes hat eine "Renaissance der Kernenergie" derzeit keine Chance. Hinzu kommt, daß die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien zu festen Vergütungen den Anteil von Atomstrom im Netz zu verdrängen beginnt. Daher haben die deutschen Strom-Konzerne E.on und RWE, die in Großbritannien neue Atomkraftwerke bauen wollen, der britischen Regierung bereits zu verstehen gegeben, daß sie den Anteil der erneuerbaren Energien im Stromnetz deckeln soll. Andernfalls lohne sich der Neubau in Großbritannien nicht.

In den USA hatte bereits Obamas Amtsvorgänger George W. Bush ebenfalls zu Beginn seiner Amtszeit den Neubau von Atomkraftwerken angekündigt. Während seiner insgesamt achtjährigen Amtszeit verkündete er unentwegt eine "Renaissance" der Atomenergie. Doch seit der Harrisburg-Katastrophe 1979 ist in den USA kein neues AKW mehr ans Netz gegangen.

Im August 2009 schrieb 'Zeit'-Herausgeber Josef Joffe in seiner Rubrik 'Zeitgeist': "400 neue KKWs stehen weltweit im Programm." Woher hatte Joffe diese sensationelle Erkenntnis? Kurz zuvor war Siemens-Chef Peter Löscher in 'Newsweek' mit eben dieser Prognose von weltweit 400 neuen Atomkraftwerken zitiert worden. Die Sorge ist naheliegend, daß diese Herren den Kontakt zur Realität verloren haben.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Schweizer Studie:
      AKW-Neubau unwirtschaftlich (8.06.10)

      Studie der Citibank:
      Atomenergie ist unwirtschaftlich (12.02.10)

      Obama verspricht
      Bau neuer Atomkraftwerke in den USA (30.01.10)

      Anti-AKW-Demo in Italien:
      "Es bleibt beim Atom-Ausstieg!" (4.11.09)

      Ende des finnischen AKW-Neubaus Olkiluoto?
      Areva droht mit Baustop (1.09.09)

      Welcher Geist spukt durch die 'Zeit'?
      'Zeit'-Herausgeber produziert geistlose Atomkraft-PR (11.08.09)

      Schwedische Regierung wünscht neue Atomkraftwerke
      Kommt nun doch die "Renaissance der Atomenergie"? (5.02.09)

      Weltwirtschaftskrise trifft Energie-Konzerne
      Keine Investitionen für AKW-Neubauten (4.02.09)

      Der deutsche "Atom-Ausstieg"
      Folge 2 der Info-Serie Atomenergie

      Die Subventionierung der Atomenergie
      Folge 3 der Info-Serie Atomenergie

 

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