Intern war klar, daß der Irak keine Bedrohung darstellt
Am Wochenende erschienen Vorab-Auszüge aus dem Buch des früheren Außenministers unter Blair, die - wie schon zuvor
Veröffentlichungen von Tagebuchnotizen Alastair Campells1 als auch ein Buch des britischen Journalisten
John Kampfner mit einem kompromittierenden Dokument aus der Feder von Innenmisister Straw2
- den britischen Premier schwer belasten.
Auch Robin Cook, von 1997 bis 2001 Außenminister und danach Parlamentsminister mit Kabinettrang bis zum 20. März,
als er aus Protest gegen Blairs Kriegskurs zurücktrat, greift auf Tagebuchnotizen zurück. Daß diese nun ausgerechnet in
Blairs Hofberichterstattungs- Zeitung, der 'Sunday Times' aus dem Hause Murdoch, erscheinen, sagt mehr über den
Rückhalt von Tony Blair aus als der Claqueur-Parteitag vor einer Woche in Bournemouth.
Noch am 5. März habe Tony Blair in kleiner Runde bestätigt, daß Saddam Hussein keine ernsthafte Bedrohung
darstelle. Auch John Scarlett, Chef des britischen Geheimdienst-Ausschusses, habe dies durchblicken lassen.
Der Erfolg oder Mißerfolg der UN-Waffeninspekteure unter Hans Blix habe für Blair ganz offensichtlich keinerlei
Bedeutung gehabt. Tony Blair habe bereits Bushs Vorgänger Clinton versprochen, sich an einem Krieg gegen
den Irak zu beteiligen, wenn keine UN-Aktion zustande käme (durchaus interessant in Hinblick auf die immerwährenden
Versuchen, die heutige US-Politik als "Cowboy-Politik" von einer vermeintlich positiven seines Vorgängers von den
'democrats' abzusetzen).
Insbesondere habe Tony Blair eindeutig gewußt, so wirft ihm Robin Cook vor, daß das irakische Regime über keine
innerhalb von 45 Minuten einsatzbereiten Massenvernichtungswaffen verfügte. Dies war einer der entscheidenden
Argumente in einem im September 2002 veröffentlichten Dossier, das in der britischen Öffentlichkeit die nötige
Kriegsunterstützung hatte erzeugen sollen. Als Cook zwei Wochen vor Kriegsbeginn seinen Chef fragte, ob denn
solche Massenvernichtungswaffen, so sie denn existierten, nicht etwa eine Gefahr für die einmarschierenden britischen
Truppen darstellten, habe es Blair so dargestellt, daß es sich höchstens um Gefechtsfeldwaffen mit B- und C-Köpfen
handeln könne, und wörtlich ergänzt: "Der Zwang, diese Waffen zu verstecken, macht es für Saddam Hussein schwierig,
sie so schnell einsatzbereit zu machen."
Diese internen Aussagen - so denn beweisbar - stehen in krassem Widerspruch zu den damaligen öffentlichen Erklärungen
Tony Blairs, der Krieg gegen den Irak sei wegen einer "echten und unmittelbaren Gefahr" erforderlich. Von einem
Regierungssprecher wurden die Anschuldigungen Cooks derweil als "absurd" zurückgewiesen. Der außenpolitische
Sprecher der Liberaldemokraten, Menzies Campbell, dessen Partei zum Irak-Krieg auf Distanz ging, kommentierte:
"Wenn diese Behauptungen wahr sind, sind sie der reinste Sprengstoff". Die Torries, die den Kriegskurs Blairs unterstützen,
halten sich bislang bedeckt. Die wettfreudigen Briten setzen nicht mehr viel auf einen Verbleib Tony Blairs im Amt
des Premiers. Spekuliert wird fast nur noch darauf, wieviele Tage er sich noch an der Macht halten kann und wann
die nächsten Enthüllungen auftauchen. Als wahrscheinlichste Variante wird eine "Palastrevolte" angesehen, bei der
Blair durch Straw ersetzt wird und die Labour Party sich bis zu den nächsten Wahlen wieder in den Umfrageergebnissen
erholen könnte.
Harry Weber
Anmerkungen:
1 Siehe inbesondere unseren Artikel:
'Blair schubst Hoon'
Campbells Tagebuchnotizen belasten Kriegsminister Hoon (17.09.2003)
2 Siehe inbesondere unseren Artikel:
'Blair unter Buch-Druck'
Enthüllungen über Innenminister Straw erhöhen den Druck auf Blair (17.09.2003)
Bisher erschienen zu diesem Thema auf unseren Seiten:
'Der Anfang vom Ende des Tony Blair'
Britischer Geheimdienstler David Kelly tot aufgefunden (18.07.2003)
'Todesfall Kelly - Selbstmord-These unglaubwürdig' (25.08.2003)
'Meacher schlägt Blair'
"This war on terrorism is bogus" ('Guardian' v. 6.09.) (7.09.2003)
und
Dokumentation des Original-Artikels in deutscher Übersetzung
'Blix widerspricht Blair und Bush'
"Keine Beweise für Massenvernichtungswaffen" vom 9.09.2003
'Hoon wird Blairs nächstes Bauernopfer' (12.09.2003)
'Blair unter Buch-Druck'
Enthüllungen über Innenminister Straw erhöhen den Druck auf Blair (17.09.2003)
'Blair schubst Hoon'
Campbells Tagebuchnotizen belasten Kriegsminister Hoon (17.09.2003)
'Keine Massenvernichtungswaffen im Irak'
Abschlußbericht der 'Iraq Survey Group' (3.10.2003)