16.11.2009

Phthalate im Plastik
und Spielzeugpanzer

Werden unsere zukünftigen Männer verweichlicht?

Chemische Substanzen in Plastik-Verpackungen verändern das Gehirn von männlichen Säuglingen und machen sie weiblicher. Zu diesem Ergebnis kommt - wieder einmal - eine Untersuchung von ForscherInnen, diesmal an der University of Rochester, veröffentlicht im 'International Journal of Andrology'.1 Konkret geht es um sogenannte Weichmacher wie beispielsweise Phthalate, die Kunststoffen zugesetzt werden, um diese elastischer zu machen. Seit einigen Jahren sind in der EU diese Substanzen in Kinderspielzeug verboten. Inzwischen kommt jedoch der größte Teil der auf dem europäischen Markt verkauften Spielsachen aus außereuropäischen Ländern, in denen solche Beschränkungen nicht gelten.

Hinzu kommt, daß Phthalate nach wie vor in einer Vielzahl von Produkten enthalten sind. Dazu gehören Baby-Schnuller, Kunststoffmöbel, Teppichböden und Verpackungsmaterialien wie beispielsweise Plastikflaschen für Getränke. Wissenschaftler gehen davon aus, daß PVC-Duschvorhänge und Teppichböden mit PVC-Unterseite solche Substanzen abgeben. Insbesondere durch Staubsauger ohne Feinstoff-Filter können solche Substanzen in die Atemluft von Innenräumen geraten und über die Lunge in den Blutkreislauf gelangen.

"Das große Problem bei den Kunststoffen ist, daß sich die gefährlichen Substanzen aus den biologisch inaktiven Trägersubstanzen lösen", erklärt der Umweltmediziner Klaus Rhomberg. "Dazu reicht bereits der Kontakt mit Flüssigkeiten. Dann geht die Substanz in Lösung und kann in den menschlichen Organismus gelangen", so der Umweltmediziner.

Mittlerweile kann der seit Jahrzehnten in der Wissenschaft diskutierte Verdacht, daß diese Chemikalien hormoell - manche wie Östrogen - wirken, als bestätigt gelten. Das Team um Shanna Swan an der University of Rochester hat für die aktuell veröffentlichte Untersuchung Urinproben von werdenden Müttern ab dem vierten Monat auf Phthalate untersucht. Die Mütter brachten 74 Jungen und 71 Mädchen zur Welt. Die ForscherInnen untersuchten die Kinder in der Langzeitstudie bis ins Alter von vier bis sieben Jahren und interessierten sich für die bevorzugten Spielsachen der Kleinen.

Die zwei Phthalate DEHP und DBP können das Verhalten der Kinder offensichtlich stören. Jungen, die schon im Mutterleib erhöhten Werten der beiden Substanzen ausgesetzt waren, zeigten weniger Interesse an Autos, Flugzeugen, Spielzeugwaffen oder Kampfspielen. Nun könnte dies als sexistisch voreingenommene Rollenzuweisung kritisiert werden: Jungen, die nicht mit Spielzeugpanzern spielen, müssen keineswegs als verweichlicht oder weniger männlich abgestempelt werden. Da jedoch die gesellschaftlich auch heute noch weitestgehend erhaltenen geschlechterspezifischen Rollenzuweisungen bei der Auswahl von Spielzeug eine beträchtliche Rolle spielen, läßt sich aus der statistisch auffälligen Beobachtung der britischen ForscherInnen folgende Interpretation ableiten: Weil sich die untersuchten Jungen deutlich "femininer" verhielten, wurde ihnen - entgegen der zementierten Rollenzuweisung - "feminines" Spielzeug geschenkt. Dies unterstreicht die Bedeutung dieses Forschungs-Ergebnisses.

Leider ist daraus nun allerdings nicht zwingend die Schlußfolgerung zu ziehen, daß der so geschädigte männliche Nachwuchs später einmal weniger "männlich" agiert und etwa die Beteiligung an zukünftigen Kriegen verweigert. Eine solche voreilige Schlußfolgerung ist logisch unzweifelhaft durch die Gegenbeispiele der Politikerinnen Margaret Thatcher und Angela Merkel widerlegt.

Elizabeth Salter-Green, Direktorin der Kampagne CHEM-Trust erachtet die Forschungsergebnisse als beunruhigend. "Es ist schon seit Jahren bekannt, daß die Phthalate, denen wir ausgesetzt sind, Gesundheitsstörungen verursachen. Klar ist nur nicht, wie weit diese gehen", so die Expertin. Der Umweltmediziner Klaus Rhomberg sieht eine gesellschaftliche Diskussion um die hormonaktiven Substanzen wie etwa Pestizide und Weichmacher als dringend notwendig an: "Bereits 1996 wurde bei einem Kongreß des österreichischen Umweltbundesamts bei über 150 Substanzen festgestellt, daß es höchste Zeit sei, grundlegende Forschung zu betreiben und noch mehr Daten und Fakten zusammenzutragen", erinnert der Mediziner. Geschehen sei aber bisher wenig. Kaum verwunderlich, da die Finanzierung der Universitäten und insbesondere einer unabhängigen Forschung von der Einwerbung sogenannter Drittmittel abhängig ist. Für Forschungsvorhaben, die für die Chemie-Konzerne unerwünschte Ergebnisse liefern könnten, steht kaum Geld zur Verfügung.

Weltweit gab es in den vergangenen Jahren dennoch immer mehr Untersuchungen und Studien darüber, wie gefährlich solche Substanzen sind und welche Schäden sie verursachen können. VertreterInnen der Plastik-Industrie leugnen nach wie vor die Gefährlichkeit der Substanzen. Tim Edgar vom 'European Council for Plasticisers and Intermediates' meinte gegenüber BBC-online, daß weitere wissenschaftliche Expertisen die Studie nochmals genau evaluieren sollten, bevor man ein abschließendes Urteil darüber abgeben könne.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

1 Siehe hierzu insbesondere unseren Artikel
      'Weiche Babys Dank Phthalat' vom 23. Juni 2004

Siehe auch unsere Artikel:

      Mehrweg stirbt
      Nabu präsentiert Vorschlag zu Einweg-Steuer (1.11.09)

      Weltwirtschaftskrise trifft deutsche Chemie-Branche (12.10.09)

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      Plastik-Reste bedrohen die Weltmeere
      Riesige schwimmende Müllhalden (22.08.09)

      Krebsgefahr:
      Pestizide in Kirschen (15.06.09)

      Krebsgefahr durch Badelatschen
      Weichmacher im Gummi (1.04.09)

      Hormone im Mineralwasser
      Plastikflaschen nach wissenschaftlicher Studie in der Kritik
      (12.03.09)

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      Umweltgefahren durch Pestizide (16.06.08)

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