3.03.2005

Toter in Visa-Affäre?

Staatsanwalt in vorauseilendem Gehorsam: "Kein Zusammenhang"

Eine Leiche wurde vergangene Woche in einem Teich entdeckt. Vier Schüsse aus nächster Nähe deuteten sofort auf eine professionelle Hinrichtung. Die - auf November 2004 datierte - Ermordung eines mutmaßlichen Schleusers hat Hektik im Visa-Untersuchungsausschuß des Bundestages verursacht. "Es handelt sich hier um einen mysteriösen Mord, der viele Fragen aufwirft", orakelt der Obmann der Unionsfraktion im Ausschuß, Eckart von Klaeden.

Nikolaj B., 45 Jahre alter Rußlanddeutscher, wurde im November 2004 im westfälischen Oelde ermordet, nur wenige Tage bevor er sich vor Gericht wegen illegaler Schleuser-Tätigkeit hätte verantworten müssen. Eine Verbindung zwischen dem Mord und der Visa-Affäre ergibt sich aus einem Bericht des Bundeskriminalamtes (BKA) von 2003. Darin wird B. als Hauptbeschuldigter "wegen gewerbs- und bandenmäßiger Schleusung mit Hilfe erschlichener Schengen-Visa in über 12.000 Fällen" genannt. In diesem Bericht wird der Nachweis erbracht, daß B. zusammen mit Komplizen mehr als 4.000 Ukrainer nach Portugal und Italien geschleust habe, wo sie sich als Schwarzarbeiter verdingt hätten.

In dem Bericht heißt es weiter, die Einreisevisa hätten B. und seine Helfer an mehreren deutschen Auslandsvertretungen unter dem Vorwand erschlichen, indem sie "Rundreisen für Touristen" aus der Ukraine organisierten. Dazu benutzten sie Reiseschutz-Pässe, deren massenhafter Mißbrauch derzeit in Berlin im Mittelpunkt des Visa-Untersuchungsausschusses steht. B. hatte über Strohleute Unternehmen gründen lassen, "um über diese Visa für fingierte Touristenreisen an mehreren deutschen Auslandsvertretungen erschleichen zu können," ist im BKA-Bericht nachzulesen.

Die Staatsanwaltschaft Münster bestreitet einen inhaltlichen Zusammenhang zwischen der organisierten Visa-Erschleichung und der Ermordung des mutmaßlichen Schleusers. Ursache für den Mord sei vielmehr Streit um Geld gewesen, erklärte Oberstaatsanwalt Wolfgang Schweer der 'Berliner Zeitung'. Ein Leibwächter habe angegeben, B. sei ihm 4.000 Euro Lohn schuldig geblieben und habe ihm entgegen früherer Versprechen kein Fitness-Studio eingerichtet. Zudem habe das Opfer der tschetschenischen Mafia 600.000 bis 700.000 Euro aus bislang unbekannten Geschäften geschuldet. Der Leibwächter sei von der Mafia unter Druck gesetzt worden, B. zur Rückzahlung des Geldes zu bewegen, meint der Staatsanwalt: "Die sagten ihm: Sieh' zu, daß dein Chef die Schulden zahlt, sonst halten wir uns an dich und deine Familie." Nach einem Streit habe der Leibwächter Nikolaj B. mit vier Schüssen aus einer umgebauten Gaspistole getötet. So und nicht anders soll es sich im November 2004 zugetragen haben - nach Darstellung von Schweer. Vergangene Woche wurde die Leiche von Nikolaj B. in einem Teich entdeckt.

Die Konstruktionen von Staatsanwalt Schweer, die den Mord als nicht belastend für Außenminister Joseph Fischer erscheinen lassen, werden allerdings durch Aussagen des Rechtsanwalts des Ermordeten konterkarriert: Dieser erklärt, sein Mandant habe ihm kurz vor seinem Tod gesagt, er habe "neue Beweise, die ihn entlasten". Ebenfalls in vorauseilendem Gehorsam und unter Nichtberücksichtigung des BKA-Berichts kam daraufhin sofort Widerspruch aus dem "roten" nordrhein-westfälischen Innenministerium: "Der Mord hat nichts damit zu tun, daß das Opfer mundtot gemacht werden sollte", proklamierte Landeskriminaldirektor Rolf Behrendt.

 

Adriana Ascoli

 

Anmerkungen

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