3.08.2010

Bundesverfassungsgericht
stärkt Position lediger Väter

Traditionelles Mutterbild im Kern unangetastet

heilige Familie Das Bundesverfassungsgericht hat in einer aktuellen Entscheidung die Position lediger Väter im Kampf ums "Sorgerecht" formal ein wenig verbessert. Das traditionelle Dogma, wonach die Mutter-Kind-Bindung vorrangig sei, bleibt dabei im Kern unangetastet. Ledige Väter werden verheirateten soweit gleichgestellt, als sie nun das "Sorgerecht" auch dann erhalten können, wenn die Mutter dies nicht wünscht. Zu begrüßen ist, daß vor Gericht das Kindeswohl stärker berücksichtigt werden soll. In der Praxis wird sich allerdings nicht viel ändern, solange sich deutsche Familiengerichte in der Regel auf psychologische Gutachten stützen, die sich auf das Dogma der "Mutterbindung" berufen.

1982 hatte das Bundesverfassungsgericht die bis dahin gültige Rechtslage, bei einer Scheidung nur einem Elternteil das "Sorgerecht" zu übertragen, als verfassungswidrig erkannt. Dennoch dauerte es 16 Jahre bis mit einer Gesetzesreform im Jahr 1998 die "gemeinsame elterliche Sorge" für geschiedene Eltern als Regelfall formuliert wurde. Auch ledigen Eltern ist es seit 1998 überhaupt erst möglich, die "elterliche Sorge", sprich: das Recht des Kindes auf Versorgung, gemeinsam zu übernehmen. Allerdings mußte bei einer "gemeinsamen Sorge" die Mutter hierfür ihre Zustimmung geben. Nötig war hierzu eine schriftliche Erklärung beim zuständigen Jugendamt. Der Mutter wurde also im Falle unverheirateter Eltern eine Sonderrolle zugewiesen.

Nun sind die gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland nach wie vor patriarchalisch geprägt, auch wenn dies mit heuchlerischer "political correctness" heute gerne geleugnet oder heruntergespielt wird. Es scheint sich zwar vieles gegenüber den 1950er Jahren verbessert zu haben, doch manches ist nur Fassade. So ist es auch heute noch in den allermeisten Familien üblich, daß die Mutter den Hauptteil der Versorgung und Erziehung der Kinder übernimmt. Und im Falle der Trennung, hat nur ein recht geringer Teil der Väter überhaupt ein Interesse, weiterhin einen aktiven Part - über die traditionelle Rolle des "Ernährers" hinaus - zu übernehmen. Dies sind in der Regel aber gerade die Väter, die sich bereits vor der Trennung als emanzipierte Partner und engagierte "Sorgeberechtigte" erwiesen haben. Selbstverständlich kommt ein gewisser Prozentsatz an Vätern hinzu, sie erst mit der Trennung ihr "Sorgerecht" entdecken, um dies als Vorwand für eine Fortsetzung der Streitigkeiten zu benutzen. Umgekehrt sind auch Mütter nicht vor der Versuchung gefeit, einen tatsächlich an seinen Kindern interessierten Vater damit zu "bestrafen", daß sie seine Beziehung zu den Kindern zu unterbinden versuchen. Wie hoch jedoch der Prozentsatz dieser Väter und Mütter tatsächlich ist, die ihre Kinder derart mißbrauchen und als "Munition" in einem nicht selten verbissenen Zweikampf einsetzen, läßt sich mangels seriöser Studien nicht bestimmen. Dies erschwert die Diskussion, denn während im einen Extrem die Behauptung aufgestellt wird, es gäbe gar keine ehrlich an ihren Kindern interessierten Väter und Mütter seien immer am Kindeswohl orientiert, ist auf der anderen Seite bei manch machohaftem Auftreten schwer nachzuvollziehen, daß es wirklich um das "Kindeswohl" geht und nicht etwa um Machtspielchen. Nicht wenige Männer meinen, daß sie aus der finanziellen Verpflichtung zur Leistung des Kindesunterhalts auch ein Mitspracherecht ableiten können. Zweifellos gibt es jedoch eine kleine Gruppe von ledigen Vätern, denen von ihren Partnerinnen - aus welchen Gründen auch immer - das "Sorgerecht" entgegen den Interessen der gemeinsamen Kinder verweigert wird. Dies sind - zu allem Unglück - überwiegend gerade die engagiertesten und emanzipiertesten Väter. Und genau diese hatte das Bundesverfassungsgericht mit seiner jüngsten Entscheidung im Fokus.

Bereits im Jahr 2003 hatte das Bundesverfassungsgericht die Politik beauftragt, zu überprüfen, wie oft ledige Mütter den Vätern das Sorgerecht aus Gründen verweigern, die mit dem Kindeswohl offensichtlich nichts zu tun haben. Belastbare Zahlen liegen jedoch bis heute nicht vor. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte Ende 2009 beanstandet, daß das deutsche Sorgerecht unverheiratete Väter gegenüber verheirateten oder geschiedenen diskriminiere. Dies verstoße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.

Die Statistik besagt lediglich, daß in Deutschland mittlerweile rund 30 Prozent der Kinder nichtehelich geboren werden. Und nur knapp die Hälfte der unverheirateten Eltern gibt eine "gemeinsame Sorge-Erklärung" ab. Vermutet wird, daß das aktuelle Urteil für rund 100.000 Väter pro Jahr relevant sein könnte. Laut Bundesverfassungsgericht hätten Befragungen gezeigt, daß Mütter die väterliche "Mit-Sorge" "häufig" deshalb verweigern, weil sie Ärger mit dem Vater haben, und nicht etwa, weil sie der Überzeugung wären, das würde ihrem Kind schaden. Allein das Wörtchen "häufig" in der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts hat viele Frauen vergrätzt, von denen nun manche wiederum abstreiten, daß es überhaupt verantwortungslose Mütter geben könne.

Bislang war es einem ledigen Vater nach der Trennung von der Mutter der gemeinsamen Kinder praktisch unmöglich, gegen den Willen der Mutter das "Sorgerecht" zugesprochen zu bekommen. Er hatte nur dann eine gewissen Chance, wenn er der Mutter erhebliche Mängel bei der Versorgung der Kinder nachweisen konnte. Nur bei verheirateten Eltern sah das Familienrecht bislang als "Normalfall" nach der Scheidung das gemeinsame "Sorgerecht" vor. Doch auch hier zog der Vater im Streitfall in aller Regel den Kürzeren. Und da "Sorgerecht" rational betrachtet heißt, daß das Kind ein Recht auf Beziehung zu und Versorgung durch beide Eltern hat, sind vor allem Kinder die Opfer von Scheidungen.

Die BundesverfassungsrichterInnen erkannten nun, daß die bisherige Rechtslage im Falle unverheirateter Eltern, die sich trennen, eine unverhältnismäßige Schieflage zu Ungunsten der Väter aufwies, die sich auch nach der Trennung von der Mutter um eine Beziehung und Versorgung ihrer Kinder bemühten.

Vom traditionellen Verständnis der Mutterrolle konnten sie sich aber offenbar nicht lösen und so stellten sie nicht in Frage, daß die ledige Mutter automatisch nach einer Trennung die "Sorge" erhält. Auch konnten sie sich nicht dazu durchringen, den ledigen Vätern den entsprechende Automatismus zuteil werden zu lassen. Daß ledige Väter aber bislang gar keine rechtliche Möglichkeit hatten, vor Gericht überprüfen zu lassen, ob eine "gemeinsame Sorge" dem Kindeswohl entspricht, sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, argumentieren die Richter.

Geklagt hatte der Vater eines 1998 in einer nichtehelichen Partnerschaft geborenen Sohnes. Die Eltern trennten sich während der Schwangerschaft. Der Mann erkannte seine Vaterschaft an, die Frau wollte aber die "elterliche Sorge" nicht mit ihm teilen. Der Sohn lebt seit der Geburt bei seiner Mutter, trifft seinen Vater aber regelmäßig. Als die Mutter mit dem Sohn umziehen wollte, beantragte der Vater beim Familiengericht, der Mutter das Sorgerecht teilweise zu entziehen - ohne Erfolg. Eine andere Möglichkeit, dem Zwang, selbst umziehen zu müssen, um seine Beziehung zu dem Kind aufrechterhalten zu können, zu entgehen, hatte er nicht. Auch vor dem Oberlandesgericht konnte er sich nicht durchsetzen. Das Bundesverfassungsgericht hob nun den Beschluß des Familiengerichts auf.

Erst als sich dieses Urteil abzeichnete, begann die "schwarz-gelbe" Bundesregierung damit, sich mit Rechts- und FamilienexpertInnen zu beraten, um mit einer Gesetzesänderung die Benachteiligung lediger Väter - und damit insbesondere den Schaden für Kinder in solchen Fällen - zu verringern. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger will das Gesetzgebungsverfahren noch in diesem Jahr zu Ende bringen. Es wird vermutlich darauf hinauslaufen, daß ledigen Vätern, die ihre Vaterschaft anerkannt haben, die Möglichkeit zugestanden wird, beim Jugendamt zusätzlich eine "Sorgerklärung" abzugeben. Sollte die Mutter dem gemeinsamen Sorgerecht dann nicht zustimmen, kann er einen Antrag beim Familiengericht einreichen. Dieses prüft, ob die "Mit-Sorge" des Vaters dem Kindeswohl entspricht. Eine Regelung entsprechend der bei ehelichen Kindern, also den Eltern die "gemeinsame Sorge" zu übertragen, ist wohl wegen des antiquierten Ehe- und Familienbildes der "Schwarzen" chancenlos. "Die Institution Ehe wird immer mehr ausgehöhlt", sagte die "CS"U-Familienexpertin Dorothee Bär. "Meine einzige Sorge ist, daß als einziger Vorteil der Ehe - neben dem immateriellen Wert - am Ende nur noch der steuerliche übrig bleibt."

Solange die gesetzliche Neuregelung noch nicht in Kraft getreten ist, können Familiengerichte ledigen Vätern auf deren Antrag die "Mit-Sorge" für ihr Kind übertragen. Dies müsse allerdings auch dem Kindeswohl entsprechen, verlangt das Bundesverfassungsgericht.

Doch so sehr auch die gesetzliche Regelung, daß im Falle der Trennung verheirateter Eltern, die "gemeinsame Sorge" nur auf Antrag aufgehoben werden kann, emanzipative Hoffnungen weckte, entspricht diese geschlechtsneutrale Formulierung noch recht wenig der gesellschaftlichen Realität. Denn nicht selten ist bei Scheidungen das "Sorgerecht" strittig und dann muß doch wieder das Gericht zwischen Mutter und Vater entscheiden. Gerne wälzen die RichterInnen diese Entscheidung auf psychologische GutachterInnen ab. Und diese erstellen ihre Expertise meist auf der Grundlage einer überkommenen Familienpsychologie, die noch auf dem Modell eines John Bowlby beruht. Dieser entwickelte 1958 die Theorie des Bonding, einer spezifischen Mutter-Kind-Bindung. Witziger Weise beziehen sich manche Kämpferinnen um besondere Mutterrechte auf Bowlby und meinen zugleich, die besondere Bindung beruhe auf dem Füttern oder Säugen des Kindes. Im Übigen ist weniger Bowlby eine Fixierung auf die Mutter als "primäre Bezugsperson" zuzuschreiben als einseitigen Interpretationen durch seine ApologetInnen. Wie so oft war dabei nicht die Erforschung menschlichen Verhaltens maßgebend, um die sich Bowlby unbestreitbar Verdienste erwarb, sondern es flossen unreflektiert tradierte Rollenzuweisungen in die Theorie ein. Schließlich ist es auch nicht offensichtlich, daß patriarchalische Gesellschaftsstrukturen mit einer künstlichen Überhöhung der Mutterrolle verknüpft sind.

In hierarchischen Gesellschaftsordnungen werden Machtstrukturen meist nicht brachial durchgesetzt, sondern die Unterlegenen werden mit Ersatzbefriedigungen abgespeist, die ihnen ihre Rolle versüßten. So spielt in vielen patriarchalischen Religionen eine der "Muttergottes Maria" vergleichbare Figur oder gar Göttin eine Rolle und in der Familie wird die Benachteiligung der Frau symbolisch ausgeglichen, indem ihre Mutterrolle glorifiziert wird. Wie stark gerade die deutsche Gesellschaft immer noch patriarchalisch geprägt, zeigt sich aktuell beispielsweise darin, daß trotz Elterngeld nur jeder fünfte Mann vom Job pausiert. Und 90 Prozent der insgesamt 1,6 Millionen Alleinerziehenden in Deutschland sind Frauen. Rund 60 Prozent der getrennten Väter zahlen keinen, unregelmäßig oder zu wenig Unterhalt.

Biologistische Argumente treiben in der Diskussion um eine besondere Mutterrolle seltsame Blüten. So wird etwa aus der Tatsache, daß sich das Kind während der Schwangerschaft im Bauch der Mutter befindet, der Schluß gezogen, daß sie daher - anders als der Vater - unabweisbar für das Kind verantwortlich sei. Ausgeblendet wird dabei etwa, daß es Abtreibungen gibt und daß etwa auch Frauen mit Down-Syndrom schwanger werden können. Verantwortung zu übernehmen, ist eine bewußte Entscheidung und diese ist nicht von körperlichen Gegebenheiten abhängig. In Urzeiten mag es so gewesen sein, daß eine Frau, die schwanger wurde, ihr Kind "annahm", ohne sich bewußt dafür oder dagegen zu entscheiden. Da der Akt der Zeugung zweier Menschen bedarf, obliegt es daher auch zwei Menschen, sich - möglichst einvernehmlich - für oder gegen Nachwuchs und die damit verbundenen Pflichten, die "Sorge", zu entscheiden. Daß Männer sich dieser Entscheidung - nach wie vor - seltener als Frauen stellen, hat gesellschaftliche Ursachen und keine biologischen.

Ein weiteres unsinniges Argument, das die Diskussion erschwert, lautet etwa wie folgt: Die elterliche "Sorge" auch im Falle unverheirateter Eltern automatisch sowohl an Mutter wie auch Väter zu übertragen, sei deshalb falsch, weil es Väter gebe, die gar kein Interesse an ihrem Nachwuchs haben oder die diesen nur durch Zufall zeugten. Beides ist jedoch ebenso in einer Ehe möglich und dort nicht unbedingt seltener. Dasselbe Argument würde also gegen die seit 1998 geltende Gesetzesregelung sprechen. Im übrigen gibt es auch Frauen oder Mädchen, die ohne Verantwortungsbewußtsein oder ohne bewußte Entscheidung schwanger werden. Daß diese Zahlen gesellschaftlich bedingt nicht eben 50 zu 50 liegen, kann keine Begründung für eine generell einseitige Lösung liefern. Zu erinnern sei in diesem Zusammenhang auch an die von Männern in Diskussionen nicht selten ins Feld geführten Fälle, in denen sich Frauen lediglich aus Interesse an einer gesicherten Existenz - sei es durch Kindesunterhalt oder reichen Ehemann - um eine Schwangerschaft bemühen würden. Auch hierüber gibt es verständlicherweise keine gesicherten statistischen Zahlen. Da aber nicht abzustreiten ist, daß es auch verantwortungslose Frauen gibt, muß dieses Argument zumindest insoweit gewertet werden, als daß es eine generelle Zweiteilung in verantwortungsbewußte Frauen hier und verantwortungslose Männer da widerlegt.

Das aktuelle Verfassungsgerichtsurteil wird nur einen äußerst geringen Einfluß auf die Emanzipation von Frau und Mann haben. Traditionelle Rollenfestschreibungen erhalten sich nicht allein in den Köpfen der Menschen, sondern auch in den materiellen Lebensbedingungen. Daher ist ein wesentliches Kennzeichen für die seit einigen Jahrzehnten festgefahrende Situation, daß sich an den unterschiedlichen Job- und Verdienstmöglichkeiten von Männern und Frauen nichts verbessert. Ein Hebel, die Emanzipation voranzubringen, liegt daher im Kampf um eine Veränderung dieser materiellen Bedingungen. Wenn durchgesetzt werden kann, daß Frauen in vergleichbaren Stellen ebensoviel verdienen wie Männer - und nicht durchschnittlich 30 Prozent weniger - ist ein Elterngeld weitgehend überflüssig.

Dennoch dürfen wir uns zur Zeit auch am aktuellen Urteil des Bundesverfassungsgerichts als "kleinem Tropfen auf den heißen Stein" erfreuen.

 

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