25.07.2007

Artikel

Rechsstaat Türkei?

Der türkische Kriegsdienstverweigerers Osman Murat Ülke wird seit Jahren menschenrechtswidrig verfolgt

Obwohl vor eineinhalb Jahren auch der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in einem Urteil feststellte, daß der türkische Staat den Kriegsdienstverweigerer Osman Murat Ülke jahrelang zu Unrecht verfolgte, hat sich seither nicht gebessert. Derzeit besteht Grund zur Sorge, daß Ülke erneut inhaftiert wird. Am 9. Juli wurde er von der Staatsanwaltschaft vorgeladen. Es gehe um eine noch zu verbüßenden Strafe in Höhe von 17 Monaten und 15 Tagen.

Osman Murat Ülke, wurde in 1971 Pforzheim geboren und folgte mit 15 seinen Eltern in die Türkei. Obwohl Kriegsdienstverweigerung in der Türkei nicht vorgesehen ist, verweigerte sich Ülke der Einberufung. Er beteiligte sich an einer öffentlichen Verbrennung der Einberufungspapiere: "Wir wollten den allgegenwärtigen Militarismus mit gewaltfreien Methoden des zivilen Ungehorsams in Frage stellen."

Auf Ülkes Verweigerung reagierten der türkische Staat mit einem schier endlosen Prozeß- und Inhaftierungsmarathon. Insgesamt 701 Tage verbrachte Ülke zwischen 1996 und 1999 bereits in türkischen Militärgefängnissen. Die Anklagepunkte: "Entfremdung des Volkes vom Militär", "Befehlsverweigerung", "Fortgesetzter Ungehorsam" und "Desertion".

Nach einer Klage beim EGMR wurde die Türkei, die offenbar nur pro forma die Europäischen Menschenrechtskonvention unterzeichnet hat, am 24. Januar 2006 unter anderem dazu verurteilt, dem Pazifisten eine Entschädigung über 10.000 Euro zu bezahlen. (Ülke vs. Turkey, 39437/98)

Der EGMR kam in seinem Urteil zum Ergebnis, daß Osman Murat Ülke aufgrund der mehrfachen und weiter drohenden Verurteilungen, die aus seiner Gewissensentscheidung zur Kriegsdienstverweigerung resultieren, einem "zivilen Tod" ausgesetzt sei, was sein Leben im Gesamten beeinträchtige. Darüber hinaus befanden die RichterInnen, daß die summierenden Effekte der Verurteilungen und der ständige Wechsel von Anklagen und Zeiten der Inhaftierung, in Verbindung mit der Möglichkeit einer lebenslangen Strafverfolgung zu unterliegen, im Mißverhältnis zu dem erklärten Ziel stünden, die Ableistung des Militärdienstes zu erzwingen. Die gegen Ülke angewendeten Methoden seien nicht mit den strafrechtlichen Bestimmungen einer demokratischen Gesellschaft zu vereinbaren. Die fortgesetzte Verfolgung des Kriegsdienstverweigerers stelle eine Rechtsverletzung gemäß Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention dar.

Nachdem das Urteil des EGMR rechtskräftig geworden war, erklärte sich das Ministerkomitee des Europarates bereit, dessen Umsetzung zu beobachten. Dazu tagte das Ministerkomitee bisher vier Mal.

Am 5. Dezember 2006 fragte das Ministerkomitee bei der türkischen Regierung an, welche Art der Vorkehrungen sie gegen die weitergehende Rechtsverletzung von Osman Murat Ülke unternommen habe.

Am 14. Februar 2007 beschäftigte sich das Ministerkomitee mit der geforderten Löschung des Strafregistereintrages. Zugleich erging seitens des Komitees eine Rüge an die verantwortlichen Vertreter der Türkei, weil bisher keinerlei Vorkehrungen zur Behebung der Rechtsverletzungen vorgenommen worden waren. Ferner wurde gerügt, da Osman Murat Ülke weiterhin einer fortwährenden Strafverfolgung ausgesetzt ist.

Am 4. April 2007 stellte das Ministerkomitee "mit Bedauern" fest, daß weder Vorkehrungen hinsichtlich des Einzelfalls noch hinsichtlich allgemein zu treffender Maßnahmen unternommen wurden, noch Auskunft diesbezüglich erteilt wurde. Daraufhin nahm das Komitee zu Protokoll, daß in der nächsten Sitzung die Beratung hinsichtlich einer Vorbeugungsmaßnahme besprochen würde.

Zur Sitzung des Ministerkomitees am 6. Juni 2007 erklärte die türkische Regierung, daß nun ein Gesetzentwurf in Vorbereitung sei, der die wiederholte Bestrafung von Kriegsdienstverweigerern aus Gewissensgründen verhindere und daß dieses Gesetz auch "allen mit der Beeinträchtigung des Antragstellers verbundenen negativen Konsequenzen abhelfen" werde.

Bisher deutet jedoch nichts darauf hin, daß diese Zusage eingehalten würde. Lediglich die Entschädigung wurde bislang ausbezahlt. Die Vorladung durch die Staatsanwaltschaft weist allerdings in die entgegengesetzte Richtung. Diese und ähnliche Vorgänge bestätigen die Einschätzung, daß es sich bei der Türkei nach wie vor um eine Militärdiktaur handelt und die Regierung lediglich als demokratische Fassade dient.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Zur Rechtslage:

In Artikel 90 des türkischen Grundgesetzes heißt es:
"Die verfahrensgemäß in Kraft gesetzten völkerrechtlichen Verträge haben Gesetzeskraft. Gegen sie kann das Verfassungsgericht mit der Behauptung der Verfassungswidrigkeit nicht angerufen werden."

Die Türkische Republik trat im Jahre 1954 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) bei. 1987 wurde das individuelle Klagerecht türkischer Staatsbürger bei der Europäischen Menschenrechtskommission und 1989 die Befugnis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zur Rechtsprechung akzeptiert.

Siehe zum Thema Türkei auch unsere Artikel:

      Hasankeyf - Das umweltfeindliche Staudamm-Projekt
      wird fortgesetzt / Ilisu ist eine Schande für Deutschland (27.03.07)

      Schikanen gegen türkischen Kriegsdienstverweigerer (27.05.05)

      Türkisch-kurdischer Kriegsdienstverweigerer erhält Asyl (11.03.04)

      Demonstration von Kriegsdienstverweigerern aus der Türkei
      (10.10.03)

      B-T-C: Baku-Tbilissi-Ceyhan
      Gezerre um das eurasische Pipeline-Netz (7.08.03)

 

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