26.10.2006

Fall Kurnaz:
Bundesregierung war bereits
2001 informiert

Wie lange kann sich Steinmeier noch halten?

In immer kürzeren Abständen kommen neue Informationen ans Licht: Bereits am 29. Dezember 2001 hat der deutsche Verbindungsoffizier beim US-Einsatzführungskommando Centcom in Florida der vorgesetzten Stelle in Berlin über einen "deutschen Gefangenen im südafghanischen Kandahar" - Murat Kurnaz1 - berichtet. Diese Information drang aus dem geheim tagenden Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages nach außen. Bislang hatte es geheißen, deutsche Soldaten hätten erstmals am 3. Januar 2002 das Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam informiert. Und - zentraler Punkt - das Bundeskanzleramt mit seinem damaligen Chef, dem heutigen Außenminister Frank-Walter Steinmeier, habe davon nichts erfahren. Diese Darstellung wird mit den neuen Informationen vollends obsolet.

Die 'Berliner Zeitung' meldet zudem, daß aus "Verteidigungskreisen in Berlin" verlaute, auch die deutsche Botschaft in Washington habe am 4. Januar 2002 "Hinweise auf einen inhaftierten Deutschen im Gefangenenlager Kandahar" nach Berlin gemeldet. Offenbar lag "Rot-Grün" am Schicksal eines türkischstämmigen Bremers ebenso wenig wie am Leben serbischer Zivilisten 1999 in Varvarin.2 Nach wie vor steht der Verdacht im Raum, daß die "rot-grüne" Bundesregierung nicht nur über die Inhaftierung und Mißhandlung von Murat Kurnaz informiert war, sondern darüber hinaus ein Angebot der US-Regierung, Kurnaz im November 2002 nach Deutschland abzuschieben, ausgeschlagen hat. Der offenbar auch aus Sicht des US-Militärs unschuldige Bremer mußte daraufhin insgesamt mehr als viereinhalb Jahre in Guantánamo zubringen.

Murat Kurnaz wurde am 1. Dezember 2001 vermutlich von Kopfgeldjägern in Pakistan entführt und danach in einem US-Lager in Kandahar unter anderem von Soldaten der deutschen Spezialeinheit KSK mißhandelt. Außenminister Frank-Walter Steinmeier vermeidet bis heute konkrete Antworten und das Außenamt verweigert jegliche Stellungnahme zu den neuesten Enthüllungen.

Derweil versucht die "schwarz-rote" Bundesregierung die Öffentlichkeit zu beschwichtigen, indem sie darauf verweist, daß der BND-Untersuchungsausschuß sich "noch intensiver" mit dem Fall Kurnaz auseinandersetzen werde. Ein entsprechender Beschluß zur Erweiterung des Untersuchungsauftrags soll am Freitag im Bundestag verabschiedet werden. Auch Außenminister Steinmeier soll dann - allerdings erst im Dezember - befragt werden. Dabei sollen zudem Fragen zum Fall al Masri von Steinmeier beantwortet werden.

Insgesamt 164 Oppositionsabgeordnete hatten einen Antrag eingebracht, wonach der Untersuchungsauftrag unter anderem um weitere Einzelfragen im Fall Kurnaz sowie um die Aufklärung von US-Geheimgefängnissen in Europa erweitert werden soll. Dies ist nach Angaben aus Koalitionskreisen auch in den Fraktionen von SPD und CDU unstrittig. Die Opposition beantragte zudem, auch die Journalisten-Bespitzelung durch den Bundesnachrichtendienst (BND) zum Thema im Ausschuß zu machen. Der ehemalige Bundesrichter Gerhard Schäfer hatte im Mai in einem Gutachten festgestellt, daß die Bespitzelung von Journalisten durch den BND "ganz überwiegend rechtswidrig" war.

 

Adriana Ascoli

 

Anmerkungen

1 Siehe auch unsere Dokumentation:

      "Sie sagten, du bist von al Qaida,
      und wenn ich nein sagte, schlugen sie zu"
      Interview mit Murat Kurnaz im 'stern' 41/06 (5.10.06)

2 Siehe auch unsere Artikel:

      'Muß "Rot-Grün" für die Getöteten zahlen ?' (15.10.03)

      'Deutsches Justiz läßt Frage offen:
      Sind Schröder und Fischer Mörder?' (11.12.03)

 

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