15.05.2019

Festung Europa:
Lebensretter verurteilt

Lifeline mit geretteten Menschen an Bord, 21. Juni 2018, Foto: Hermine Poschmann / MISSION LIFELINE - Creative-Commons-Lizenz Namensnennung Nicht-Kommerziell 3.0
Valletta (LiZ). Der Lebensretter Claus-Peter Reisch wurde von der maltesischen Justiz im Dienste des europäischen Flüchtlings-Mordens mit einer fadenscheinigen Begründung zu 10.000 Euro Strafe verurteilt. Reisch wurde mit seinem Schiff 'Lifeline' schon im Juni 2018 von den maltesischen Behörden festgesetzt, damit er nicht länger Flüchtlinge im Mittelmeer vor dem Ertrinken retten kann.

Reisch, gelernter KfZ-Mechatroniker und als Skipper Inhaber eines Sportseeschifferscheins, hat bereits hunderte Flüchtlinge im Mittelmeer vor dem Ertrinken gerettet. Während FluchthelferInnen zu Zeiten der Zweiteilung Deutschlands als Helden gefeiert wurden, versuchen maltesische, italienische und andere Helfeshelfer der mörderischen EU-Abschottungs-Politik, LebensretterInnen heute zu kriminalisieren.

Im Juni 2018 war die 'Lifeline' mit 234 geretteten Flüchtlingen an Bord tagelang übers Mittelmeer geirrt, weil die rechtsextreme italienische Regierung die Menschen abwies. Am 25. Juni verweigerte auch die als links firmierende spanische Regierung der 'Lifeline', in einen Hafen des Landes einzufahren. Malta ließ das Anlaufen eines maltesischen Hafens erst zu, nachdem mehrere EU-Staaten zugesagt hatten, die Flüchtlinge aufzunehmen. Am 28. Juni 2018 wurde Reisch nach der Ankunft auf Malta verhaftet und das Schiff festgesetzt. Reisch bezeichnete das Blockieren seines Schiffes als Versuch, einen "Vorhang vor dieses Drama, was im Mittelmeer passiert", zu ziehen.

Die Verurteilung durch ein maltesisches Gericht erfolgte unter dem Vorwand, die 'Lifeline' sei "nicht ordnungsgemäß registriert". Reisch erklärte nach der Verhandlung am gestrigen Dienstag: "Daß wir ein Registrierungspapier haben, das circa 25.000 andere Schiffe, die in den Niederlanden registriert sind, ebenso besitzen, und ausgerechnet unseres nicht gelten sollte", sei ein Unding. Ein Sprecher der Dresdener Menschenrechts-Organisation 'Mission Lifeline' kündigte Berufung an - das Urteil sei "hanebüchen". Es sei offensichtlich, "daß das ein politisches Urteil ist. Es hat nichts mit Recht zu tun."

Zudem ist es eine Schande für Deutschland, daß ein Schiff in humanitärer Mission keine deutsche Registrierung erhält. So hatte beispielsweise die 'Cap Anamur', die zwischen 1979 und 1987 vietnamesische Flüchtlinge im chinesischen Meer rettete, eine deutsche Registrierung mit der Registriernummer "IMO 7611717". Stattdessen haben mittlerweile die Niederlande, Panama, Gibraltar und Deutschland den Rettungsschiffen die Registrierung entzogen oder verweigern diese.

Der Satiriker Jan Böhmermann sammelte in den vergangenen Monaten mit Hilfe einer Spendenkampagne für die Besatzung der 'Lifeline' knapp 200.000 Euro. Diese sollen unter anderem der Deckung der Prozeß- und Gutachten-Kosten dienen. Eine von Klaas Heufer-Umlauf gestartete Spendenkampagne brachte weitere 150.000 Euro ein. Jeder Tag, den die 'Lifeline' in Malta festsitzt, kostet rund 500 Euro. Mit den Spendengeldern konnte sich Menschenrechts-Organisation 'Mission Lifeline' vor zwei Wochen ein neues Schiff kaufen, mit dem sie ab Juni wieder im Mittelmeer auf Patrouille unterwegs sein wird.

Am 22. Juli 2018 sprach Reisch auf der Demo gegen flüchtlingsfeindliche Hetze vor über 50.000 Menschen in München. Er forderte die Wiederaufnahme der Rettungsmission im Mittelmeer (Siehe unseren Artikel v. 22.07.18). Im Dezember 2018 wurde Reisch der Menschenrechtspreis der 'Österreichischen Liga für Menschenrechte' verliehen. Zusammen mit 'Mission Lifeline' erhielt Reisch im vergangenen Monat den Lew-Kopelew-Preis.

Die von Rechtsextremen propagandistisch als "flüchtlingsfreundlich" gebrandmarkte Bundeskanzlerin Angela Merkel rührt keinen Finger, um das Sterben der Flüchtlinge im Mittelmeer zu stoppen. Auch zwischen 1961 und 1989 waren es keineswegs humanitäre Motive, wenn deutsche FluchthelferInnen von rechter Seite als Helden gefeiert wurden. Ausschlaggebend waren damals drei Gründe: Erstens waren die weitaus überwiegend gut ausgebildeten Fachkräfte, die aus der "Ostzone" in den "freien Westen" flüchteten, ökonomisch nützlich. Zweitens war der so für den Ostblock entstehende wirtschaftliche Schaden in den Zeiten des Kalten Krieges höchst willkommen. Und Drittens diente die Flucht aus dem Ostblock dazu, den vermeintlichen Sozialismus im Osten propagandistisch als inhuman darstellen zu können. Damals wie heute sind also nicht humanitäre "Werte", sondern Profite die maßgeblichen Triebkräfte für ein politisches Verhalten, das nur vordergründig als widersprüchlich erscheint.

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      50.000 auf Demo in München
      gegen flüchtlingsfeindliche Hetze (22.07.18)

      Flüchtlinge aus Myanmar
      Amnesty International klagt an (26.06.18)

      Silvesternacht 2015/2016 - Köln - Domplatz
      Versuch einer Bilanz (2.01.18)

      Schulz rückt "S"PD nach rechts
      Warnung vor "hohen Flüchtlingszahlen" (25.07.17)

      65,6 Millionen Menschen auf der Flucht
      Höchste Zahl seit Menschengedenken (19.06.17)

      Festung Europa: Weiterhin sterben
      Flüchtlinge im Mittelmeer (2.05.17)

      "Schluß mit Ausreden!"
      "Öffnet die Grenzen!"
      300.000 demonstrieren in Barcelona für humane
      Flüchtlings-Politik (18.02.17)

      "Schnellere Abschiebungen!"
      Strobl macht Propaganda für AfD (28.11.16)

      Innenminister de Maizière rudert zurück
      70 Prozent aus dem Zauber-Zylinder (18.06.16)

      Flüchtlingszahlen weiter abgesenkt
      UN: 700 Flüchtlinge blieben im Mittelmeer (30.05.16)

      Nach Brandanschlag auf Flüchtlings-Unterkunft
      Verurteilung wegen versuchten Mordes (17.03.16)

      Flüchtlinge als Geheimdienst-Spitzel?
      Kuhhandel aufgedeckt (30.01.16)

      Österreich: Obergrenze für Flüchtlinge
      Bundeskanzler Faymann färbt "S"PÖ braun (20.01.16)

      Wagenknecht auf den Spuren Lafontaines
      Flüchtlings-Obergrenze sei schon "fast erreicht" (13.01.16)

      Ja zu Bundeswehr-Einsatz im Syrien-Krieg
      Sternstunde des Parlamentarismus (4.12.15)

      Gerüchte gegen Flüchtlinge...
      verbreitet und geglaubt (19.11.15)

      BKA: Kriminalität bei Flüchtlingen
      nicht höher als bei Deutschen (13.11.15)

      De Maizière contra Merkel?
      Polit-Kaspeletheater von Berlin (9.11.15)

      Asylheime brennen
      in BaWü und MecPomm (20.09.15)

      "Kriegs-und Ausbeutungspolitik"
      Offener Brief von Jürgen Todenhöfer (26.08.15)

      Antirassistische Plakat-Aktion
      in Freital (25.07.15)

      Europa mordet
      Heute: 700 im Mittelmeer
      und Zehntausende in Afrika (19.04.15)

      Europa mordet
      Verhungern in Afrika
      Ertrinken im Mittelmeer (15.04.15)

      Fakten gegen Vorurteile
      Mediendienst Integration regt zu Diskussion an (5.01.15)

      Aktion gegen Festung Europa
      Mit dem Bolzenschneider zur EU-Mauer (3.11.14)

      NRW: Mißhandlungen von Asylsuchenden
      Polizeigewerkschaft beklagt Staatsversagen (29.09.14)

      Festung Europa
      Massenmord im Mittelmeer (15.09.14)

      Festung Europa
      Flüchtlinge aus Niger in Sahara verdurstet (31.10.13)

      Mord an Flüchtlingen
      Barroso auf Lampedusa ausgebuht (9.10.13)

      Festung Europa
      Über 60 Flüchtlinge ermordet (3.10.13)

      Festung Europa
      Tödliche Mauer am Bosporus (11.12.12)

      Hunger und Kapitalismus
      "Der Süden finanziert den Norden" (17.10.12)

      Festung Europa
      Die NATO und der Tod von 63 Bootsflüchtlingen (5.04.12)

      Statistik widerlegt Sarrazin-Thesen
      Lohnt die Auseinandersetzung? (12.01.11)

      Festung Europa
      Bollwerk am Bosporus geplant (1.01.11)

      Festung Europa
      Grenzregime am Bosporus verstärkt (2.11.10)

      Festung Europa
      Libyen als EU-Grenzposten (29.06.09)

      Berlusconi: Besser in Afrika verhungern
      als in Italien interniert (20.05.09)

      Verfahren gegen Lebensretter in Italien
      Stefan Schmidt und Elias Bierdel von 'Cap Anamur' vor Gericht
      (17.05.09)

      Italien schiebt afrikanische MigrantInnen ab
      Proteste zum Teil scheinheilig (9.05.09)

      Festung Europa: Mehr als 300 Flüchtlinge
      im Mittelmeer ertrunken (31.03.09)

      Ausbeutung durch die Industrie-Nationen
      Eine Nahaufnahme aus Burkina Faso (11.03.09)

      Weitere Proteste auf Lampedusa
      Italiens Asylpolitik unverändert unmenschlich (18.02.09)

      Weiter Demonstrationen auf Lampedusa
      gegen europäische Abschottungs-Politik (28.01.09)

      Protest gegen Festung Europa
      MigrantInnen auf Lampedusa demonstrieren
      gegen Lager-Bedingungen (24.01.09)

      Positive Wende in Australien:
      Ende der menschenverachtenden Asylpolitik (28.07.08)

      Festung Europa
      Menschenverachtende Politik gegen Flüchtlinge (20.06.08)

      Flüchtlingselend und Artenschwund in Nordafrika
      Führt Tierschutz zu mehr Menschenschutz? (22.01.08)

      Frontex und die toten Flüchtlinge
      Immer mehr Leichen im Mittelmeer (25.12.07)

      Europa, schäme dich!
      Flüchtlingselend im Mittelmeer (28.05.07)

      "Konzerne eignen sich die Welt an"
      Interview mit Jean Ziegler (5.01.06)

      Eine mörderische Weltordnung
      Ceuta und Melilla (21.10.05)

      ai: "deutsche Asylpolitik verantwortungslos" (25.05.05)

      Festung Europa fordert Tote
      Mehr Leichen als Krabben in den Netzen (26.03.05)

      Tag des Flüchtlings 2004:
      Europa macht dicht! (30.09.04)

      Menschenverachtender Umgang
      mit Flüchtlingen beim FdAaF-Bundesamt (3.06.04)

      Zuwanderungsgesetz
      oder Abschottungsgesetz? (27.05.04)

      Nach wie vor werden in Deutschland
      Kinderrechte mit Füßen getreten (16.01.04)

      60 Tote infolge europäischer Unchristlichkeit (22.12.03)

      Sind Sie darauf stolz, Herr Schily? (13.01.03)

      Europa hat eine Verantwortung (11.10.00)

 

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