4.04.2008

Neoliberales EuGH-Urteil

Sprengstoff gegen Mindestlohn

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) verkündete gestern in Luxemburg ein Urteil, wonach öffentliche Institutionen die Auftragsvergabe nicht von der Einhaltung gültiger Tarifverträge oder pauschaler Lohnuntergrenzen abhängig machen dürfen. Das Urteil bestätigt Warnungen von Gewerkschaften, die nach ähnlichen Urteilen dieses neoliberal ausgerichteten Gerichtshofs mit einem entsprechend antisozialen Urteil gerechnet hatten.

Das Urteil, für das keine Revision zugelassen wurde, bezieht sich auf einen niedersächsischen Fall. Das Oberlandesgericht Celle hatte sich an den EuGH gewandt, weil es als Berufungsgericht in einem Rechtsstreit zwischen einem Bauunternehmen und dem Land Niedersachsen zu entscheiden hatte. Das Unternehmen hatte den Zuschlag zum Bau der Justizvollzugsanstalt Göttingen-Rosdorf erhalten und sich gemäß dem Vergabegesetz des Landes verpflichtet, den eingesetzten Bauarbeitern Tariflöhne zu zahlen. Nachdem sich herausgestellt hatte, daß eine von dem Bauunternehmen beauftragte polnische Firma deutlich weniger zahlte, kündigte das Land den Vertrag und verhängte eine Vertragsstrafe. Der EuGH bezeichnete dies als Verstoß gegen den Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs.

Das niedersächsische Vergabegesetz ist nunmehr hinfällig. Konkret hatte es festgelegt, daß Auftragnehmer und alle von ihm beauftragten Sub-Unternehmer mindestens örtliche Tarifstandards einhalten müssen. Betroffen sind auch die Bundesländer Berlin, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein. Dort gibt es ebenfalls - allerdings unterschiedliche - Tariftreuegesetze. Der Versuch einer bundeseinheitlichen Regelung war im Jahr 2002 an der Bundesratsmehrheit gescheitert.

Mehrere Unternehmen versuchten in den vergangenen Jahren, die Tariftreuegesetze zu kippen. Doch das Bundesverfassungsgericht erklärte entsprechende Bestimmungen am Beispiel Berlin vor zwei Jahren für rechtmäßig und verwies dabei auf den notwendigen sozialen Schutz abhängig Beschäftigter. Ermutigt von dem Urteil hat die Berliner Landesregierung ihr Tariftreuegesetz vor wenigen Wochen sogar ausgeweitet. Es sieht außer der Verbindlichkeit örtlicher Tarife nunmehr auch eine absolute Lohnuntergrenze von 7,50 Euro pro Stunde vor. Auch diese Bestimmung ist nach dem EuGH-Urteil nicht mehr anwendbar.

Hintergrund des EuGH-Urteils ist der "Lissabon-Vertrag", der in Bälde vom Deutschen Bundestag ratifiziert werden soll. Bekanntlich wird darin das kapitalistische als einzige zulässiges Wirtschaftssystem festgelegt, während beispielsweise das deutsche Grundgesetz ausdrücklich auch für Vergesellschaftungen oder Verstaatlichungen Spielraum läßt. Auch das im Grundgesetz enthaltene Sozialstaatsprinzip könnte bei der gegenwärtigen Tendenz der europäischen Integration auf dem Schrottplatz der Geschichte landen. In der Diskussion wird jedoch auch von linker Seite darauf hingewiesen, daß es den Praxistest nicht bestand, da bereits die Einführung der Hartz-Gesetze dem Sozialstaatsprinzip eklatant zuwider lief. Auch hätte es nicht die einander widersprechenden Regelungen der verschiedenen Bundesländer geben dürfen, wenn den das Grundgesetz entsprechend eindeutig statt wachsweich formuliert wäre.

Der Arbeitsrechtler Gregor Thüsing, Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit an der Universität Bonn, bezeichnete das EuGH-Urteil als "Sprengstoff für die Mindestlohndebatte", da das Gericht die Möglichkeit offen gelassen habe, Löhne per Gesetz für verbindlich zu erklären. Auch fragten die Richter zu Recht, "warum Arbeitnehmer, die zufällig mit öffentlichen Aufträgen beschäftigt sind, schutzwürdiger sein sollen" als andere.

Nach diesem Urteil dürfte jedoch klar sein, daß ein nationales Mindestlohn-Gesetz von "Scharz-Rot-Gelb-Grün" in Berlin in Zukunft mit dem Verweis auf die europäische Rechtsprechung abgelehnt werden wird. Dies zeigt, daß sich Mindestlöhne heute nur noch durch gewerkschaftlichen Kampf, politischen Streik bis zum Generalstreik durchsetzen lassen werden.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Für einen Mindestlohn
      von 10 Euro (22.08.06)

      Hartz IV - Eine Zwischenbilanz
      Niediglohnsektor ausgeweitet
      Fördern unter den Tisch gefallen (30.07.07)

      Armut trotz Arbeitsplatz -
      "Working poor" auch in Deutschland (15.05.07)

      Mindestlohn, Bezahlung von Putzkräften
      im Bundestag und Heuchelei (12.05.07)

 

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