9.09.2008

Heute vor 20 Jahren
wurde das AKW Mülheim-Kärlich
abgeschaltet

Ein Rentner besiegte den Goliath RWE

Es war nicht das erste und auch nicht das letzte Mal, daß die Atom-Branche ein AKW auf einem erdbebenträchtigen Areal baute. 1975 erteilte das Land Rheinland-Pfalz die erste von acht Teilgenehmigungen für den Bau des Atomkraftwerks Mülheim-Kärlich bei Koblenz.

Zu Unrecht wie sich später herausstellte. Sicherheitskonzepte und Baupläne waren zwischenzeitlich verändert worden. Es hätte ein neues, langwieriges Genehmigungsverfahren in Gang gesetzt werden müssen. Nicht die Unsicherheit des AKW bei einem Erdbeben, sondern diese verfahrensrechtliche Spitzfindigkeit, sorgte letztendlich dafür, daß der Strom-Konzern RWE unterlag und der Rentner Walter Thal obsiegte.

Auf Druck des damaligen rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Helmut Kohl machte die Mainzer Genehmigungsbehörde den entscheidenden Fehler. Dafür hatte das oberste deutsche Verwaltungsgericht kein Verständnis und verweigerte den Reaktorbetrieb. RWE verlangte daraufhin vom Land Rheinland-Pfalz sieben Milliarden Mark Schadensersatz. Und da die Behörden nicht überwacht, sondern nur genehmigt hatten, mußte das Land teilweise Schadenersatz leisten. SteuerzahlerInnen mußten Milliarden aufbringen, weil eine Behörde auf Druck des Atomenergie-Fans Kohl Recht gebeugt hatte. Immerhin wurde das AKW Mülheim-Kärlich prompt am 9. September 1988 abgeschaltet. Das AKW hatte nur 13 Monate Strom geliefert - und zwar 11,3 TWh. Doch sowohl RWE als auch der damals in Mainz regierende Helmut Kohl glaubten zunächst an eine kurze Episode des Stillstands.

Als der Energie-Konzern RWE 1972 den Bau des AKW Mülheim-Kärlich beantragt hatte, war Helmut Kohl Feuer und Flamme. Es sollte das erste Atomkraftwerk in Rheinland-Pfalz werden. Atomenergie wurde - auch von den "Achtundsechzigern" - in einem breiten gesellschaftlichen Konsens als fortschrittlich angesehen und galt als passende Antwort auf die damalige Ölkrise. Kritiker wie Holger Strohm, der 1972 den späteren Bestseller "Friedlich in die Katastrophe" verfasste, galten gemeinhin als "Spinner".

Die Atom-Euphorie trug dazu bei, daß dem Standort des ersten rheinland-pfälzischen Atomkraftwerks auf einem "erloschenen" Vulkan kaum Beachtung geschenkt wurde. 1971 wies zwar ein erstes Gutachten auf das Erdbeben-Risiko hin, doch das Gutachten wurde in Mainz unter Verschluß gehalten. Der Rentner Walter Thal aus Lahnstein kämpfte zäh vor Gericht gegen das AKW Mülheim-Kärlich und besiegte schließlich den Goliath RWE.

Als die rheinland-pfälzischen Behörden am 9. Januar 1975 die erste Teilgenehmigung erteilten, hatte RWE die ursprünglichen Pläne längst geändert. Der Untergrund an der geologischen Bruchstelle war so ungeeignet, daß das schwere Reaktorgebäude bereits infolge bloßer Setzungen der Erde in Schieflage hätte geraten können. RWE und die darüber durchaus informierte Landesregierung beschlossen, den geplanten Betonklotz entgegen dem genehmigten Plan um 70 Meter zu "verschieben". Dadurch kamen auch andere Planungen durcheinander: so sollte das Maschinenhaus nun 14 Meter vom Reaktor entfernt gebaut werden. Die Sicherheit dieser Konstruktion wurde nicht erneut geprüft.

Dies und nicht die weitaus größere Gefahr eines Erdbebens war schließlich für die Verwaltungsrichter der Dreh- und Angelpunkt. Das Atomkraftwerk hatte rechtlich des Status eines "Schwarzbaus". Doch zunächst war Walter Thal ein Einzelkämpfer. Erst als es 1979 im US-amerikanische AKW Three Mile Island bei Harrisburg zu einer Kernschmelze kommt und ein "Super-GAU" nur mit viel Glück knapp vermieden wird, erhält die Anti-Atom-Bewegung in Deutschland massenweise Zulauf und in Umfragen spricht sich erstmals eine Mehrheit gegen Atomenergie aus.

Der Bautyp des AKW Mülheim-Kärlich ähnelt stark dem des Harrisburg-Reaktors und so waren die Behörden gezwungen, das Konzept zu überprüfen. Als Folge hiervon verzögert sich der Bau immer weiter. Erst 1986 geht der Reaktor in Probebetrieb. Dann muß er wegen einer fehlenden Genehmigung des Kühlturms abgeschaltet werden. Am 18. August 1987 darf er wieder ans Netz.

Aber Prozesse, Pannen, und vor allem die Katastrophe von Tschernobyl am 26. April 1986 haben auch die Mehrheitsverhältnisse im Raum Koblenz verändert. Der sich zäh durch alle Instanzen klagende Rentner Walter Thal gilt nun nicht mehr als "Spinner" und schließlich bringt er als kleiner David den Goliath zu Fall. Die Sensation ist perfekt, als der 79-Jährige, der - zeitweise wegen Prozeß-Kosten gepfändet - mit 550 Mark im Monat auskommen mußte, am 9. September 1988 vor den Bundesverwaltungsgericht Recht bekommt: Die erste Teilgenehmigung von 1975 wird als rechtswidrig aufgehoben.

Noch am selben Tag kommt die Anweisung, den Reaktor herunterzufahren beim Leiter des AKW Mülheim-Kärlich an. Daß der Meiler damit endgültig vom Netz geht, ist zu diesem Zeitpunkt sowohl bei RWE als auch bei Helmut Kohl undenkbar. Auch der damalige Mainzer "Umwelt"-Minister Hans-Otto Wilhelm hofft darauf, daß der "Verfahrensfehler" schnell zu korrigieren sei.

Daß die Rechtslage viel kniffliger ist, stellt Wilhelms ebenfalls "schwarzer" Nachfolger Alfred Beth fest, der im Juli 1990 die erste Teilgenehmigung neu erteilt. Ein "Sofortvollzug" ist nicht durchsetzbar, zumal der "gelbe" Wirtschaftsminister der CDU-FDP-Koalitions- regierung in Mainz nicht bescheinigen kann, daß die Energie- versorgung ohne Strom aus dem AKW Mülheim-Kärlich "gefährdet" wäre.

Es kommt zu weiteren gerichtlichen Auseinandersetzungen, in die sich nun auch die SPD auf Seiten der Atomkraft-GegnerInnen engagiert. Die neue "erste Teilgenehmigung" aus dem Jahr 1990 scheitert im Januar 1998 vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die neue "Umwelt"-Ministerin Klaudia Martini der ab Mai 1991 in Mainz regierenden SPD unter Rudolf Scharping kämpft weiter verbal gegen das AKW Mülheim-Kärlich, muß sich aber - angeblich wegen der Schadenersatzforderung in Milliardenhöhe - für die Wiederinbetriebnahme des mittlerweile seit Jahre eingemotteten Atomkraftwerks einsetzen. Das Gerangel zieht sich jahrelang hin.

RWE setzt sich letztlich mit seinen finanziellen Interessen durch. Bundes-"Umwelt"-Minister Jürgen Trittin versüßt mit dem "Atom-Ausstieg" im Jahr 2000 RWE die Niederlage beim AKW Mülheim-Kärlich mit 107,25 TWh virtuellem Strom. Diese Strommenge darf von RWE ganz real auf die Rest-Strommenge anderer Atomkraftwerke angerechnet werden. Sie entspricht dem in einem durchschnittlichen AKW in 13 Jahren produzierten Strom und somit einem Reingewinn von rund 4 Milliarden Euro.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch:

      Der deutsche "Atom-Ausstieg"
      Folge 2 der Info-Serie Atomenergie

 

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