19.06.2011

"Democracia real ya!"
Protest sucht neue Widerstandsformen

Democracia real ya! Seit über einem Monat halten die Proteste auf den Plätzen vieler spanischer Städte an. Doch es zeigt sich immer deutlicher, daß "PSOE-PP" die Proteste verbal zu vereinnahmen sucht und zugleich die verhaßte Politik unverändert fortsetzt. Intensiv wird auf den Plätzen über neue Widerstandsformen diskutiert.

Seit dem 15. Mai demonstrieren Hunderttausende in Spanien auf den zentralen Plätzen in über 80 Städten. Die "Empörten" setzen sich aus Menschen verschiedenen Alters und fast aller sozialen Schichten zusammen. Neben Jugendlichen und StudentInnen sind RentnerInnen, Erwerbslose, EinwanderInnen, Linke und Konservative auf Spaniens Straßen und Plätzen zu sehen, die gemeinsam gegen die "politische Klasse" aufbegehren und die das Manifest "Democracia real ya!" (Reale Demokratie jetzt!) als Ausdruck ihres gemeinsamen Willens verstehen. In vielen europäischen Ländern, in den USA und auch in Südamerika kam es zu Solidaritäts-Demonstrationen.

Während das Zweiparteien-System aus pseudo-sozialistischer PSOE und pseudo-konservativer PP den Protest mit der bereits in anderen europäischen Ländern bekannten Formulierung "Wir haben verstanden!" zu vereinnahmen sucht, werden auf der anderen Seite gewalttätige Ausschreitungen der vergangenen Woche als Vorwand benutzt, um die anhaltenden Demonstrationen und Versammlungen durch gigantische Polizei-Aufgebote einzuschüchtern. Und zugleich wird die neoliberale Politik der Kürzungen und Steuererhöhungen im Auftrag des internationalen Finanzkapitals als "alternativlos" fortgesetzt.

Immer deutlicher wird, daß sich die SpanierInnen nicht mit Beschwichtigungen abspeisen lassen. Die anhaltende Besetzung zentraler Plätze nach dem Vorbild der Aufstände in den nordafrikanischen Staaten Tunesien, Libyen und Ägypten sowie die zentrale Forderung "Democracia real ya!" deuten darauf hin, daß sich nun auch die Menschen in Europa nicht mit weniger als einem Regimesturz zufrieden geben werden.

Die weit verbreitete Parole "Eure Krise bezahlen wir nicht!" ist keine Forderung - wie es mache linken Kleinparteien gerne interpretieren - sondern eine Weigerung, die enorme Sprengkraft in sich birgt. Es war die am häufigsten zu hörende Parole bei einem Sternmarsch am heutigen Sonntag in Madrid, bei dem sich am Mittag am Südtor der Madrider Altstadt, der Puerta de Toledo, zwei von insgesamt sechs Zügen des Sternmarsches trafen. Viele hatten bereits dutzende von Kilometern zurückgelegt und kamen nicht selten auch aus umliegenden Vorstädten. Bezeichnender Weise waren kaum Parteifahnen oder -Embleme zu sehen. Nach verschiedenen Umfragen identifizieren sich 60 bis 80 Prozent der SpanierInnen mit der Bewegung "Democracia real ya!" Allein beim Sternmarsch in Madrid nahmen mehr als 35.000 Menschen teil.

Immer häufiger wird nun auch den Plätzen Spaniens darüber diskutiert, wie sich die Menschen den Kürzungen und Steuererhöhungen effektiv widersetzen könnten. Am Beispiel der nordafrikanischen Demokratie-Bewegungen ist zu erkennen, daß sich allein durch monatelang fortgesetzte Demonstrationen nichts wirklich verändert. Mehr und mehr Menschen gewinnen bei den Diskussionen unter freiem Himmel die Erkenntnis, daß die Weigerung "Eure Krise bezahlen wir nicht!" ohne einen gewaltsamen Sturz der Regierung letztlich nur bei einem Verzicht auf Geld in den alltäglichen wirtschaftlichen Beziehungen möglich ist - denn der größte Teil der staatlichen Einnahmen wird durch indirekte Steuern erzielt. Doch vorerst trafen die Menschen des Sternmarsches in Madrid am Ende beim Parlament ein, so als wollten sie weiterhin ihre "Forderung nach Reformen" an ihre RepräsentantInnen richten.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      "Democracia real ya!"
      Proteste gehen nach der Wahl weiter (29.05.11)

      "Democracia real ya!"
      SpanierInnen setzen sich über Demo-Verbot hinweg (21.05.11)

      Spanien: "Democracia real ya!"
      Puerta del Sol von Polizei geräumt (18.05.11)

      Massenproteste in Spanien
      "Democracia real ya!" (16.05.11)

      Die Dreckschleudern der Nation
      PolitikerInnen und ihre Dienstlimousinen (18.04.11)

      ...völlig desillusioniert
      von Wahlen (12.09.09)

      AKW-Laufzeitverlängerung in Spanien
      "Sozialistischer" Regierungs-Chef Zapatero
      bricht Wahl-Versprechen (3.07.09)

      AKW-Unfall in Spanien
      Greenpeace ortet Radioaktivität bei Tarragona (8.04.08)

      Parlamentarismus überzeugt
      immer weniger (30.12.06)

      Löst Spanien
      den europäischen Wirtschafts-Crash aus? (3.07.04)

 

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