13.06.2005

Grohe
Fallen die Heuschrecken
jetzt auch über Lahr her?

Grohe war einer der weltweit führenden Produzenten von Badezimmer-Armaturen. Aktuell droht der Verlust von 3000 der 4500 Stellen in Deutschland. Auch in dem Werk in Lahr im Schwarzwald sollen einige Hundert Arbeitsplätze liquidiert werden.

Das Traditionsunternehmen mit Hauptsitz im sauerländischen Hemer wurde im vergangenen Jahr von US-Investoren gekauft: Die Texas Pacific Group (TPG) und die Credit Suisse First Boston (CSFB) Private Equity hatten den Sanitär-Exporteur im Vorjahr von BC Partners übernommen. TPG will einen Teil der Produktion in Billiglohnländer verlagern und so bis 2006 bundesweit 3000 Arbeitsplätze "abbauen".

Erst vor wenigen Wochen hat SPD-Chef Franz Müntefering 1 in die Kapitalismus-Debatte eingegriffen und sie mit für ihn ungewohnt scharfen Formulierungen aufgeheizt. So verglich er Finanzinvestoren mit Heuschrecken, die in Schwärmen über deutsche Unternehmen herfielen und diese aussaugten, um danach neue Opfer zu suchen. Er sprach von der "totale Ökonomisierung eines kurzatmigen Profit-Handelns" und seitdem ist immer häufiger von "Heuschrecken-Kapitalismus" oder "Raubtierkapitalismus" die Rede - so als habe in Deutschland noch bis vor kurzem eine gezähmte Form des Kapitalismus geherrscht.

Die Situation in Deutschland in den 50er und 60er Jahren war nur in so weit eine andere, als damals ein ungefähres Kräftegleichgewicht zwischen Arbeit und Kapital bestand. Auch damals konkurrierten die Unternehmen gegeneinander und die Großen fraßen die Kleinen. Auf der einen Seite hat sich der Konzentrationsprozeß auf internationaler und globaler Ebene beschleunigt - auf der anderen Seite wurden durch die Steigerung der Produktivität immer weniger Arbeitskräfte benötigt. Die Zahl der Arbeitslosen überstieg in der 70er Jahren die Ein-Millionen-Grenze, in den 80er Jahren die Zwei-Millionen-Grenze, stieg weiter auf drei, vier, fünf Millionen und liegt inzwischen real bei über 7,5 Millionen.2 Zugleich sank die Zahl der Gewerkschafts-Mitglieder im selben Tempo und hat zum Jahreswechsel erstmals 7 Millionen unterschritten. Die Gewerkschaften sind zudem nicht in der Lage, sich in effektiver Weise über nationale Beschränkungen hinwegzusetzen und schlagkräftig auf europäischer oder gar globaler Ebene zusammen zu arbeiten. Das Kräfteparallelogramm hat sich verschoben - am Kapitalismus hat sich dabei nichts wesentliches geändert.

Am 11. Juni demonstrierten mehr als 3000 Menschen in Lahr gegen den drohenden Verlust der Grohe-Arbeitsplätze. Viele Grohe-Beschäftigte hatten die gesamte Familie mitgebracht. Es war die größte Demo in der Geschichte Lahrs. Auch IG Metall und andere Gewerkschaften waren stark vertreten, doch sichtlich waren sie von der starken Resonanz bei den Demo-Aufruf überrascht. Dabei war zu diesem Zeitpunkt eigentlich bereits alles gelaufen. Der Grohe-Betriebsrat hatte längst nach "zähen Verhandlungen" dem "Abbau von Arbeitsplätzen" zugestimmt. Vereinzelt wurde ihm deshalb aus den Reihen der DemonstrantInnen "Verrat" vorgeworfen. Viel nutzte es da nicht, als der Offenburger IG-Metall-Chef Gustl Stockmeier in seinem Redebeitrag das Publikum mit der Allerweltsweisheit abzuwiegeln versuchte: "Es wird nie einen sozialverträglichen Arbeitsplatzabbau geben!" Immerhin habe der Betriebsrat eine "Standortgarantie" bis 2008 herausgehandelt.

Der Fall Grohe scheint eine Bestätigung für die plakativen Thesen Münteferings zu liefern. Zumindest das "Wirken" der Finanz-Investoren und Private Equity Fonds scheint das Bild von den Heuschrecken zu rechtfertigen. Mit einem verwalteten Eigenkapital von umgerechnet 15 Milliarden Euro ist der US-Finanzinvestor TPG einer der größten Private Equity Fonds weltweit. Erst kürzlich kaufte TPG rund 27 Prozent der Aktien vom Mobilfunkdienstleister Mobilcom. Zu seinen anderen "Engagements" in Europa zählen Isola, Ducati, Debenhams, Eutelsat und eben Grohe.

TPG und CSFB Private setzen bei Grohe ganz extrem auf die Reduzierung von Kosten. Von vier Vorständen wurden drei entlassen. Und dies ist heute immer noch ungewöhnlich, wenn am oberen Ende auch gekürzt wird. Bis 2007 sollen rund 150 Millionen Euro eingespart werden, danach noch mehr. Die Zahl der Zulieferer soll von 6000 auf maximal 1500 reduziert und die Zahl der 18.000 Produktvarianten auf ein Drittel beschränkt werden, heißt es unter anderem in Berichten der 'Welt' und der 'Süddeutschen Zeitung'. Vor allem will TPG die Produktion zu einem Großteil in Billiglohnländer verlagern. Derzeit werden noch 80 Prozent der Grohe-Produkte in Deutschland produziert, aber nur 20 Prozent auch im Inland abgesetzt.

Vielfach wird es so dargestellt, als habe Grohe durch Managementfehler den Anschluß im Wettrennen verloren und "falsche strategische Entscheidungen" seien Schuld daran, daß Grohe seit 2003 - als noch Rekord-Gewinne eingefahren wurden - inzwischen zum "Sanierungsfall" geworden sei. Tatsächlich hatte Grohe als Nummer drei im Weltmarkt von Badezimmer-Armaturen 2003 noch 885 Millionen Euro umgesetzt. Der Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (Ebita) lag bei ansehnlichen 185 Millionen Euro.

Eher schon plausibel für den darauf folgenden Umsatzeinbruch sind folgende Faktoren: Der schwache Dollar machte insbesondere exportorientierten europäischen Konzernen zu schaffen, zugleich gab es einen Preisschub bei den für Grohe relevanten Rohstoffen und die globalen Konkurrenten jagten Grohe Marktanteile ab. Im Vorstand gab es Pläne, Grohe zurück an die Börse bringen, um über die Emission von Aktien neues Kapital zu bekommen. Die Investor-Gesellschaft BC Partners, die Grohe 1999 für rund 900 Millionen Euro gekauft hatte, entschied sich aber dagegen. So wechselte Grohe Mitte 2004 für rund 1,8 Milliarden Euro (Handelsblatt, 28.06.04) in den Besitz der nächsten Finanzinvestoren: TPG.

Die Kosten für den Kauf durch TPG müssen durch Grohe aufgebracht werden. Liquidationsprobleme waren bereits die Folge des Kaufs durch BC Partners 1999. Warum? Der Kauf von Konzernen wie Grohe wird überwiegend auf Pump finanziert. Für die Kreditkosten muß der eingekaufte Konzern bluten. Da ist es klar, daß innerhalb minimaler Zeit maximaler Profit aus dem "Opfer" herausgepreßt wird. 28 Prozent Rendite statt 20 Prozent ist nun die Marge. Daß dies nicht selten an die Substanz des Konzerns geht, darf nicht verwundern. Die Schulden von Grohe sollen inzwischen über eine Milliarde Euro betragen.

Ein Teil der Extra-Profite stammt zudem aus öffentlichen Mitteln: Den Gemeinden Lahr, Herzberg (Brandenburg) und Hemer und Porta Westfalica (beide NRW), wo Grohe ebenfalls produziert, drohen Gewerbesteuer-Rückgänge in Millionenhöhe. Der kreditfinanzierte Kauf durch TPG belastet durch Zinsabschreibungen die Bilanz von Grohe und läßt so die Steuerschuld sinken. "Für uns ist das der kulturelle Todesstoß", sagte Bürgermeister Michael Oecknigk im brandenburgischen Herzberg. Durch den Verkauf des größten Arbeitgebers und Steuerzahlers der 11.000-Einwohner-Stadt sinken die Steuereinnahmen um 500.000 Euro. Für freiwillige Ausgaben wie Bibliothek, Schwimmbad oder den Tierpark sei jetzt nicht mehr ein einziger Euro übrig. Auch der Oberbürgermeister von Lahr, Wolfgang Müller, rechnet mit einem "sehr deutlichen" Gewerbesteuerrückgang.

Die Schulden aus dem kreditfinanzierten Kauf muß Grohe dennoch abstottern und zugleich die erhöhten Profitanforderungen des neuen Eigentümers TPG erfüllen. Der vielzitierte Sanierungsplan aus der Feder der berüchtigten Beratungsfirma McKinsey soll dies gewährleisten. Neben drei von vier Vorständen hat auch der renommierte Design-Chef den Konzern verlassen müssen - für Grohe mit seinem Angebot im Hochpreis-Segment ein kritischer Verlust. Branchenkenner fürchten um den guten Ruf der Marke Grohe. Sie bezweifeln vor allem, daß Käufer für Grohe-Produkte "Made in China" noch bereit sein werden, hohe Preise zu zahlen.

Der neue Vorstandschef David Haines erklärte zwar inzwischen öffentlich die Treue zum Standort Deutschland. Doch längst ist bekannt, daß solche Erklärungen die Mindesthaltbarkeitsdauer von Politikerversprechen nicht übertreffen. Haines definierte die "Treue" denn bereits prozentual: Der Anteil von 80 Prozent, zu dem Grohe-Produkte bislang in Deutschland produziert werden, soll "nur" auf 20 Prozent zurückgeschrauben werden. Die angepeilte Reduktion von 3000 Arbeitsplätzen weist exakt in diese Richtung.

Die Beratungsfirma McKinsey empfiehlt laut 'Financial Times Deutschland' (24.05.05) eine Verlagerung der Stellen nach China: Die Unternehmensleitung habe die Zahl 3000 bestätigt, sehe aber "akut nur 1500 Arbeitsplätze gefährdet". Die Angst der IG Metall, Grohe könne zum "Opfer von Finanzhaien" werden, sei unbegründet, zitiert 'FTD' den Grohe-Vorstand. Die Verlagerung in Niedriglohnländer sei im internationalen Wettbewerb dringend erforderlich. Die Gewerkschaft bezweifele jedoch, daß es TPG um eine langfristige Sicherung von Grohe geht. TPG hätte das Ziel, das Unternehmen zu auszuweiden und sich nach drei Jahren wieder zurückzuziehen.

Doch um etwas grundlegend Neues handelt es sich dabei nicht. Ob ein "gesundes" Unternehmen im Konkurrenzkampf bankrott geht, weil es im Konzentrationsprozeß Stärkeren unterliegt oder ob es abgewrackt wird, weil dies höhere Profite verspricht - in beiden Fällen ist dies die logische und unerbittliche Konsequenz des Profit-Prinzips. Es wäre ein fataler Irrtum, hier auf eine Unterscheidung zwischen produzierendem und Finanz-Kapital, zwischen "schaffendem" und "raffendem" Kapital zu verfallen. Produzierende Konzerne sind global gesehen nur scheinbar in einer unterlegenen Position. Die Flexibilität zur Standortverlegung hat als ein bestimmender Trend der Globalisierung deutlich zugenommen. In China boomt die Produktion - und die Umweltzerstörung. Beide Seiten des Kapitals sind unlösbar miteinander verwoben und von ein und demselben Movens bestimmt: der Maximierung des Profits.

 

Klaus Schramm

 

Anmerkungen

1 Siehe auch

      Erklärung zum 1. Mai
      in der wir unter anderem auf die Thesen
      von Franz Müntefering eingehen. (1.05.05)

2 Siehe auch

      Gewerkschaften unter 7 Millionen
      - Arbeitslose über 7 Millionen (31.01.05)

 

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