15.03.2008

Sozialabbau
im internationalen Vergleich

"Aktivierungsmaßnahmen" dienen vor allem der Repression
Auch die FDP bemerkt nun die Fälschung der Arbeitslosenstatistik

Die ebenso wie die übrigen vier etablierten Parteien neoliberal ausgerichtete FDP mißgönnt offenbar der "schwarz-roten" Regierung die jüngst präsentierte Erfolgsbilanz bei der Arbeitslosenzahl und den vermeintlichen Erfolg der Hartz-Gesetze. So befaßte sich die FDP nun mit dem offiziellen Zahlenwerk und stellte - wie viele Linke zuvor1 - fest, daß rund 3,2 Millionen Erwerbslose in der Bundesstatistik von 2007 nicht mehr auftauchten. Die FDP sprach daher von einer "geschönten Erwerbslosenstatistik" und dem "Selbstbetrug" der Koalition.

Nach einer Kleinen Anfrage beim Bundesarbeitsministerium bemerkte der FDP-Abgeordneter Christian Ahrendt zunächst: "Die Arbeitslosenstatistik für 2007 gab offiziell nur 3,77 Mio. Arbeitslose, aber 6,34 Mio. Leistungsbezieher an." Weiter fällt auf, daß in der Statistik rund 225.000 EmpfängerInnen von Arbeitslosengeld I (ALG I) in der "58-er-Regelung" nicht mitgezählt werden. Die über 58-Jährigen verzichteten auf Vermittlungsangebote der Nürnberger Agentur bis zum Eintritt in das Rentenalter. Von 5,329 Millionen Personen, die das Arbeitslosengeld II (ALG II) bezogen, führte die offizielle Statistik in 2007 ganze 54 Prozent, gut 2,85 Millionen, als nicht arbeitslos. Ausgeblendet wurden die erwerbstätigen "Aufstocker", die TeilnehmerInnen an Maßnahmen der Arbeitsförderung sowie Erwerbslose, die aus anderen Gründen nicht arbeiten konnten, etwa weil sie Angehörige betreuten.

Die FDP ergriff die Gelegenheit zum Angriff punktgenau zur parlamentarischen Aussprache zum Start der "Agenda 2010" vor fünf Jahren. Leicht vorauszusehen war, daß Merkel und Beck "arbeitsmarktpolitische Erfolge" zu feiern beabsichtigten. Doch ebenso wenig wie "Grün", "Schwarz" oder "Rot" geht es der "gelben" Partei um eine soziale Politik. Vielmehr propagiert sie eine weitere Senkung der Ausgaben beim ALG. Diese seien noch immer zu hoch. Die FDP bietet sich - wem wohl? - als die wahre Partei des "Wandels im Sozialsystem" an. An die Stelle der "Grundsicherung" - wie die in seit 2005 jährlich gekürzten Hartz-IV-Zahlungen (ALG I, ALG II, Wohngeld) euphemistisch bezeichnet werden - soll ein limitiertes "Bürgergeld" treten. Dieses könne dann durch Erwerbsverdienste aufgestockt werden. Ein Höchstsatz von 600 Euro wird genannt. In einem Antrag der "Gelben" vom 28. März 2007 heißt es dazu in aller Offenheit: "Durch das Bürgergeld wird die Nachfrage Arbeitsloser und das Angebot der Unternehmen an Arbeitsplätzen im Niedriglohnbereich gesteigert."

Die Ein-Euro-Jobs blendete die "Gelb"-Partei bei ihrem jüngsten Vorstoß aus. Doch diese verdienten eine genauere Analyse, denn mit ihrer Hilfe wird die Statistik gleich zweimal geschönt. Erwerbslose, die diese "Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung" annehmen, fallen aus der Arbeitslosenstatistik heraus. Und die zu besetzenden Ein-Euro-Jobs bei den Trägern werden als offene Arbeitsstellen geführt. So gab die Bundesagentur für Arbeit beim proklamierten Aufschwung im Februar 2008 999.000 freie Stellen bekannt - doch 19 Prozent davon waren keine Stellen auf dem ersten Arbeitsmarkt.

Längst hat sich zudem herausgestellt, daß Ein-Euro-Jobs den vorgeblichen arbeitsmarktpolitischen Zweck auch nicht ansatzweise erfüllen. Die bestätigt sogar ein Bericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das der Agentur für Arbeit angegliedert ist, in diesem Jahr: "Die Teilnahme trägt innerhalb der Beobachtungszeit von zwei Jahren nach Maßnahmebeginn nicht zur Beendigung der Hilfebedürftigkeit bei."

Die geschönte Statistik hat auch der Frankfurter Sozialforscher Harald Rein aufs Korn genommen. Er ist zugleich Kritiker der "kommunalen Arbeitsdienste". Der Autor des Buches 'Arbeitsdienste - wieder salonfähig' (1997) forschte mit Förderung der 'Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt' zur arbeitsmarktpolitischen Tätigkeit der Nürnberger Agentur. Neue Ergebnisse, die später veröffentlicht werden, präsentierte er im Rahmen der sozialpolitischen Vortragsreihe des 'Arbeitskreises Marginalisierte' in Berlin im Februar 2008.

Nach Reins Analyse habe man 363.276 Ein-Euro-JobberInnen und ABM-TeilnehmerInnen im August 2007 aus der Erwerbslosenstatistik ausgeblendet. Auch wer an Qualifizierungsmaßnahmen wie Weiterbildungen und Training teilnahm, galt nicht als erwerbslos: 188.527 Personen im vorigen August. Zweck geschönter Statistik sei, so Rein, der Anschein, daß "von staatlicher Seite aus etwas getan wird für Erwerbslose: Die Zahlen sinken, im Zweifelsfall liegt es an den Erwerbslosen selbst, wenn sie keine Arbeitsstelle finden."

Die Integrationsquote der Ein-Euro-Jobber in Beschäftigung läßt keine Illusionen zu. Der Forschungsbericht des IAB über Soziale Arbeitsgelegenheiten (2007) macht deutlich: "Nur bei 2 Prozent aller geeigneten Zusatzjobber wird beabsichtigt, diese in die Belegschaft zu übernehmen, bei weiteren 5 Prozent denken die Betriebe darüber nach."

Für Harald Rein dienen die Ein-Euro-Jobs als "disziplinierende Arbeitsmarktinstrumente" vor dem Hintergrund des "Wandels innerhalb der Erwerbsarbeitsgesellschaft" mit Leiharbeit und Niedriglohn. Die staatliche Erwerbslosenverwaltung erstrebe, daß Erwerbslose auch im prekären Sektor jedwede Arbeit annehmen. Die Agenda 2010 steuere hin auf einen "autoritären Sozialstaat, in dem jede Unterstützungsleistung von der Verrichtung irgendwelcher Arbeit abhängig zu machen ist".

Das könnte erklären, weshalb die FDP über die Ein-Euro-Jobs und ihre Vermittlungs-Mißerfolge kein Wort verliert: Mit dem administrativen Druck der Ein-Euro-Jobs werden Menschen zunehmend gedrängt, prekäre Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt anzunehmen. Übrigens entlasten die Maßnahmen kommunale Arbeitgeber. Merkbar verdrängen die MAE ( Mehraufwandsentschädigung) reguläre Stellen und sind in öffentliche Verwaltung eingebunden. Rein verweist darauf, daß in Jahr 2005 in Frankfurt am Main im öffentlichen Aufgabenbereich, in Grünflächenamt, Museen, Schulämtern 228 Ein-Euro-Jobs geschaffen wurden. Nur in Einzelfällen wären es "zusätzliche" Arbeitsgelegenheiten gewesen - wie es gesetzlich zwingend vorgeschrieben ist. Im Land Berlin kritisierte der Hauptpersonalrat der öffentlich Beschäftigten schon 2006, daß mit Ein-Euro-Jobs zahlreiche reguläre Stellen verdrängt würden.

Doch die Agentur setzt die Praxis der Pflicht-Arbeitsdienste als Gegenleistung für die "Grundsicherung" fort. Heute sind bundesweit 750.000 MAE-Jobber tätig. Die Stellen belasten den Agentur-Haushalt beträchtlich. Bis zu 500 Euro erhalten die Beschäftigungsträger pro Jobber für ihre "Qualifizierungsmaßnahmen". Wenn das in der Kostenkritik der FDP keine Rücksicht findet, wird deutlich, daß das Druckmittel Ein-Euro-Job im Sinne dieser Partei ist.

 

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Anmerkung

Siehe auch unsere Artikel:

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      Staat subventioniert Straßenverkehr und fördert Klimakatastrophe
      (8.05.07)

      Freie Fahrt für Fahrräder
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      Car-Sharing - Die umweltfreundliche
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      Verkehrswende zu weniger Autoverkehr
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