20.01.2006

Kommentar

Ein weiterer Irrer
outet sich

Chirac droht dem Iran mit der Atombombe

Wem es bisher noch nicht klar war, daß es sich bei PolitikerInnen, die von der Atombombe nicht lassen wollen oder nach deren Besitz gieren, schlicht um Irre handelt, dürfte sich dessen vielleicht durch die ungewöhnlich offenen Äußerungen des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad1 und die gestrigen Äußerungen des französischen Präsidenten Chirac bewußt geworden sein. All zu viele werden diese Erkenntnis aber schnellstens wieder verdrängen, da sich der Horror dieser Realität nur schwer ertragen läßt.

"Die führenden Politiker der Kernwaffenstaaten laufen heute Gefahr, von künftigen Historikern als ihres Zeitalters unwürdig beurteilt zu werden, weil sie die Chancen, die unter großen Opfern und Kosten eröffnet wurden, nicht genutzt haben, weil sie das nukleare Wettrüsten auf der Erde wieder in Gang gesetzt haben, weil sie die Menschheit dazu verdammen, unter dem ständigen Damoklesschwert der Angst zu leben. Das ist kein der Menschheit würdiges Erbe. Das ist nicht die Welt, die ich meinen Kindern und Enkeln hinterlassen will. Das ist einfach untragbar." Lee Butler, der dies 1999 in einer Rede2 sagte, war General der US Air Force und bis zu seiner Pensionierung 1994 militärischer Oberbefehlshaber der US-amerikanischen Nuklearstreitkräfte. In dieser Rede sagte er auch: "... daß nämlich, genau besehen, Kernwaffen der Feind der Menschheit sind. Ja, sie sind eigentlich gar keine Waffen. Sie sind eine Art biologischer Zeitbomben, deren Wirkungen Zeit und Raum überschreiten und die Erde wie auch ihre Bewohner auf Generationen hinaus vergiften."

Robert Jungk schrieb bereits 1985: "Die »Bombe« - und das ist wohl ihre tiefste Wirkung - hat die Menschen so sehr verunsichert wie nichts zuvor. Die Zukunft - seit jeher als Zeit der Hoffnung empfunden - ist nun mit Furcht und Schrecken besetzt. Diese dunkle Wolke am Horizont einer jeden bewußten Existenz kann, ja muß immer wieder zeitweilig vergessen werden."3

Doch wir müssen diesen Verdrängungs-Mechanismus durchbrechen, sonst führen uns die Irren in den Untergang!

Chirac war auch daran beteiligt, als Frankreich die Atomtests - wie Lee Butler in seiner erwähnten Rede beklagt - wieder aufnahm. Daß es dabei nicht um Verteidigung geht und gehen kann, ist selbst einem Chirac bewußt. Kaum verhüllt rechtfertigt er den Einsatz von Atomwaffen mit dem Zweck, die Sicherung der Ölversorgung zu gewährleisten: Chirac sprach von einer "Garantie unserer strategischen Versorgung". Müßig zu erwähnen, daß ein Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofes von 1996 besagt, die Androhung eines Einsatzes von Atomwaffen sei grundsätzlich völkerrechtswidrig.

Ähnlich wie die US-Regierung mit der Entwicklung von "Mini-Nukes" setzt auch Chirac mit der "Flexibilisierung" der Atomraketen die Hemmschwelle zum Einsatz von Atomwaffen bewußt herab. Für die iranische Opposition wird damit die Argumentation nicht leichter: Warum soll der Iran auf Atomwaffen verzichten, wenn "der Westen" entgegen früheren Beteuerungen diese Waffen nicht abzuschaffen gedenkt?

IPPNW, die internationale ÄrztInnen-Organisation zur Verhütung des Atomkrieges weist zudem darauf hin, daß Chiracs "Säbelrasseln" in der gegenwärtigen Krise um das Atomkraft-/Atomwaffen-Programm des Iran das "grundsätzlich falsche Signal" sei. "Chirac dreht an der Eskalationsschraube", so die Abrüstungsreferentin der IPPNW, Xanthe Hall. "Gefordert sind jetzt vor allem Ruhe und geschickte Diplomatie, um einen drohenden Krieg zu verhindern. Noch mehr Drohungen sind wenig hilfreich." Doch an wen richtet sich dieser gutgemeinte Appell? An PolitikerInnen, die trotz jahrzehntelanger Appelle nicht von der atomaren Rüstung lassen konnten? Ist es nicht ein wenig naiv, ausgerechnet den Bock zum Gärtner machen zu wollen?

"60 Jahre nach Hiroshima rückt die Welt wieder näher an den nuklearen Holocaust", konstatiert Xanthe Hall leider völlig zu recht. Doch nur eine mächtige internationale Friedensbewegung wird eine Wende herbeiführen können. Und den nötigen Druck wird sie nur entfalten können, wenn sie sich - wie es ansatzweise bereits in den USA sichtbar geworden ist4 mit der Umwelt- und Anti-AKW-Bewegung verbindet.

Und an eines muß in Anlehnung an Karl Liebknecht immer wieder erinnert werden: Der Feind steht auch im eigenen Land. Gleichgültig, ob Regierungen als "rot-grün" oder "schwarz-rot" firmieren - solange sie Atomwaffen auf deutschen Territorium dulden5, schlimmer noch - solange sie mit dem Atomreaktor FRM 2 in Garching die Entwicklung einer deutschen Atombombe fördern6, zählen solche Regierungen zu unseren Todfeinden, zu Feinden, die unser Leben und das unserer Kinder und Kindeskinder auf eine schreckliche und äußerst riskante Weise bedrohen.

So deutlich dies gesagt sein muß, so deutlich muß von Seiten aller Friedensliebenden auch gesagt werden: »feind sein« ist keine symmetrische Beziehung. Wir sind weder Feindinnen oder Feinde gegen Chirac noch gegen Ahmadinedschad. Wir wissen, daß Mittel und Zweck, Weg und Ziel eins sein müssen. Frieden kann nicht mit unfriedlichen Mitteln erkämpft werden.

 

Adriana Ascoli

 

Anmerkungen

1 "Israel von der Landkarte tilgen!"
      Irans Präsident outet sich als fanatischer Irrer (26.10.05)

2 'Sind Kernwaffen notwendig?'
      Rede von Lee Butler (1999)

3 Gedanken zu Hiroshima
      von Robert Jungk (1985)

4 'Friedensdemos in den USA' (26.09.05)

5 Atomwaffen raus aus Deutschland! (25.02.05)

      Atombomben in Deutschland (12.03.01)

6 "Rot-Grün" forciert Atom-Politik... (15.05.03)

      'Teuerstes Spielzeug der Welt
      in Garching' (10.06.04)

 

neuronales Netzwerk