20.05.2003

Mehdorn,
der "rot-grüne" Terminator

Die planmäßige Demontage der Deutschen Bahn

Fachleute, die nur ihr eng begrenztes Gebiet vor Augen haben, mögen auch nach Jahren immer noch daran festhalten, daß "Rot-Grün" die propagierten Ziele nur nicht konsequent genug verfolge. Die einen glauben an den propagierten Klimaschutz, obwohl die CO2-Emission in Deutschland seit 1999 wieder ansteigen statt zu sinken1, die anderen an eine Agrarwende, obwohl der "grünen" Gentechnik der Weg geebnet und Bio-Bauern der Boden unter den Füßen weggezogen wird2, wieder andere glauben an einen "Atom-Ausstieg" der nur auf dem Papier stattfindet3, Menschenrechts- und Dritte-Welt- Gruppen ignorieren oder verdrängen Telefonabhör-Zahlen4, Asylbewerber-Statistiken5 und einen Entwicklungshilfe-Etat der statt der vor Jahren versprochenen 0,7 Prozent des Bruttosozaialprodukts weniger als die Hälfte ausmacht (, dafür aber den modischen Titel "Entwicklungszusammenarbeit" trägt)...

Der Verein "Bürgerbahn statt Börsenbahn" (ein Zusammenschluß von Verkehrswissenschaftlern und Bahnexperten) fordert ausgerechnet von dieser "rot-grünen" Bundesregierung nun die sofortige Entlassung von Bahnchef Mehdorn, so als sei plötzlich eine neue Situation eingetreten. Hat "Rot-Grün" versehentlich den Bock zum Gärtner gemacht oder wird die Demontage der Deutschen Bahn planmäßig betrieben?

Die Verluste der Bahn im Fernverkehr betragen in den Monaten Januar, Februar und März über 130 Mio. Euro. Gegenüber dem Vorjahreszeitraum gingen die Einnahmen um rund 15 Prozent zurück. Obwohl die Deutsche Bahn in den letzten neun Jahren Zuschüsse von insgesamt 34 Milliarden Euro erhalten hat, verliert sie im europäischen Vergleich immer mehr den Anschluß. Während beispielsweise in den Nachbarstaaten Belgien, Frankreich und der Schweiz die Fahrgastzahlen in den letzten fünf Jahren um über 20 Prozent stiegen, sinken sie hierzulande:

Quelle: Bundesamt für Statistik

Immerhin analysieren die Fachleute von "Bürgerbahn statt Börsenbahn" das Wie, wenn sie auch die Frage nach dem Warum vergessen:

Mit der in den letzten Jahren scheibchenweise und daher ohne großen öffentlichen Protest vollzogenen Stillegung der Interregioverbindungen wurde die Zahl der Fernreisenden dezimiert. Die statt dessen ausgebauten IC- und ICE-Verbindungen haben wesentlich weniger Halte-Bahnhöfe in kleineren und mittleren Städten aufzuweisen und sind zudem deutlich teurer. Statt in flächendeckende schnelle Verbindungen zu investieren, hat die Bahn Milliarden in wenige Hochgeschwindigkeitstrassen gesteckt. Nur als Tropfen, der das Faß zum überlaufen brachte, ist das neue Fahrpreissystem anzusehen. Es ist nicht nur erheblich unübersichtlicher als das alte, sondern zudem für den Großteil der Kunden mit beträchtlichen Preiserhöhungen verbunden. Ausführliche Untersuchungen hierzu wurden in den letzten Wochen von 'stern' und 'VCD' veröffentlicht.

Als Beispiel für ein zukunftsträchtiges, kundenorientiertes und ökonomisch erfolgreiches Konzept verweisen die Fachleute von "Bürgerbahn statt Börsenbahn" auf die Schweizer Bundesbahnen (SBB). Interregioverbindungen im Stundentakt sind dort ebenso selbstverständlich wie ein einheitliches Rabattsystem für alle Strecken und klar gegliederte Verbundsysteme. Zugservice und Pünktlichkeit werden in der Schweiz permanent verbessert. Das Ergebnis: Auf die Einwohnerzahl bezogen fahren die Schweizer sechmal häufiger als Deutsche mit der Bahn und zehnmal mehr Schweizer besitzen eine Bahncard. Im Schnitt zahlen sie, bezogen auf das Durchschnittseinkommen, pro Fahrtkilometer nur ein Drittel des deutschen Fahrpreises.

Um zu belegen, daß es sich bei der von Mehdorn und seinen Vorgängern ausgeführten Arbeit nicht um jahrelanges Versehen handelt, sondern daß es auch in Deutschland anders geht, seien hier noch einige Beispiele angeführt:

Einige reaktivierte und modernisierte Bahnlinien verzeichnen bemerkenswerte Fahrgastzuwächse:

  • die 'Frankenbahn' (Stuttgart - Heilbronn):
    Anstieg um 36 % von 1995 bis 1999 6

  • die 'Kraichgaubahn' (Heilbronn - Eppingen):
    Anstieg um 122 % von 1995 bis 1999 6

  • die 'Filstalbahn' (Stuttgart - Ulm):
    Anstieg um 65 % von 1995 bis 1999 6

  • die 'Zollernalbbahn' (Tübingen - Albstadt-Ehingen):
    Anstieg um 76 % von 1995 bis 1999 6

  • die 'Hochrheinbahn' (Basel - Singen):
    Anstieg um 65 % von 1995 bis 1999 6

  • die 'Wieslauftalbahn' (Schorndorf - Rudersberg):
    Übernahme der Strecke 1993 durch den Zweckverband Verkehrsverband Wieslauftalbahn, nachdem die Deutsche Bundesbahn die Strecke stilllegen wollte. Betrieb durch WEG (Connex-Gruppe). Schon wenige Wochen nach der Übernahme wurden die Prognosen der Verkehrsplaner (2.500 Fahrgäste pro Tag) weit übertroffen: 1995 wurden bis zu 4.000 pro Tag in den Zügen gezählt. Zu Bundesbahn-Zeiten waren es nur 1.300 pro Tag. Im Januar 1999 benutzten durchschnittlich 4.524 Fahrgäste an Werktagen die Triebzüge. Maßnahmen: Streckenertüchtigung und Anhebung der Streckengeschwindigkeit von 60 km/h auf 80 km/h, drei neue Haltepunkte, Sanierung der vorhanden Haltepunkte, Ausrichtung der Buslinien auf die Bahn, Einführung des 30-min-Taktes, Integration in den Tarifverbund Stuttgart (VVS), Verlängerung der Strecke um 700 m zu einem Schulzentrum. 7

Nochmals zurück zur Frage: Wird die Demontage der Deutschen Bahn planmäßig betrieben ?

Zum 1.Januar 1994 wurden Bundesbahn und Reichsbahn zur (noch bundeseigenen) Deutschen Bahn AG zusammengefaßt. Diese erste Stufe der Privatisierung sollte die Bahn "unternehmerisch flexibler" machen und verlorene Marktanteile zurückgewinnen. Die Bilanz ist ernüchternd. Bereits 1997 machte der Bundesrechnungshof darauf aufmerksam, daß das Betriebsergebnis eine deutliche Verschlechterung gegenüber dem Jahr vor der Bahnreform aufweise. Danach durfte er die Bilanzen der Bahn nicht mehr kontrollieren.

Wie anderswo bedeutete auch bei der Bahn die Privatisierung zunächst einmal höhere Managergehälter bei gleichzeitiger Verringerung der Sozialleistungen für neu eingestellten EisenbahnerInnen. Erfahrene und technisch versierte EisenbahnerInnen werden von JuristInnen, BetriebswirtschaftlerInnen und UnternehmensberaterInnen verdrängt. Die Beschäftigten im Betriebsdienst schieben immer größere Überstundenberge vor sich her. Die Aufgliederung des DBAG-Konzerns in verschiedene Unternehmenssparten - insgesamt 186 "Töchter" - hat nicht weniger, sondern mehr Bürokratie und Koordinierungsmängel gebracht.

Da waren die "Propheten", die den EisenbahnerInnen die DBKom (ehemaliges Bahn-Fernsprechnetz) als die zukünftige Geldquelle anpriesen. Aus der DBKom wurde ARCOR. Die Bahn verkaufte ihre Anteile bis auf eine Kleinigkeit an Mannesmann. Jetzt fließen die Gelder in andere Taschen. ARCOR hat einträgliche langfristige Verträge mit der Deutschen Bahn abgeschlossen und sahnt für die betriebsinternen Telekommunikationsdienste nun zu weitaus überhöhten Preisen ab.

Doch die von Mehdorn ausgeführte Demontage der Bahn ist nur der eine Teil des Plans.

Maßgeblich für die jährlichen Milliardenverluste ist ebenso die seit Jahrzehnten exekutierte Benachteiligung der Bahn durch eine Verkehrspolitik, die auch unter der "rot-grünen" Bundesregierung weiterhin Auto- und Flugverkehr protegiert. Kaum ein Mensch redet über die gesamtgesellschaftlichen Kosten (nach einer Studie des Schweizer Infras-Instituts und der Universität Karlsruhe: 80 Milliarden Euro), die der Straßenverkehr alljährlich in der Bundesrepublik verursacht und auf die Allgemeinheit abwälzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden deutschlandweit rund 200.000 km neue Straßen gebaut. Gleichzeitig wurden 15.000 km Schienennetz abgebaut.

Die Bahn wurde nach dem Regierungswechsel 1998 nicht - wie versprochen - von der Mineralölsteuer befreit, sondern noch zusätzlich mit der "Ökosteuer"8 belastet. Demgegenüber zahlen Flugverkehr und Binnenschifffahrt keine Mineralöl- oder Kerosinsteuer.

Manche reden immer noch vom Vorbild England oder Amerika bei der Privatisierung der Bahn. Dabei wurde in der USA unter dem Druck der Auto-Konzerne schon vor Jahrzehnten die Bahn als flächendeckendes Verkehrssystem zerstört. In England herrscht nach der Privatisierung der British Rail Chaos auf den Schienen und es wurde erst nach den schweren Zugunglücken der letzten Jahre öffentlich und breit darüber diskutiert, daß die Privatisierung ein schwerer Fehler war.

Auch die Bahn-Gewerkschaften spielten mit

Als eine "Spätzle-Connection" aus Bahnchef Dürr, Minister Wissmann und dem damaligen GdED-Vorsitzenden Rudi Schäfer Anfang der 90er Jahre die Privatisierung der Deutschen Staatsbahnen einleitete und mit einer "Besitzstandswahrung" für die bisherigen Beschäftigten die Belegschaft beruhigte, hatten vereinzelte Privatisierungs-KritikerInnen und VerfechterInnen einer kämpferischen Gewerkschaftspolitik auch in der GdED/Transnet einen schweren Stand. Gleichzeitig mit der Zerschlagung der Deutschen Bahn betrieb das Management von Anfang an die Zerstörung des Flächentarifs. Es gelang, die Bahn-Gewerkschaften einzubinden. So unterzeichneten am 07. Juni 2000 Bahn-Management und Gewerkschaftsspitzen nach den Verhandlungen über "Zukunftssicherung und Beschäftigung" ein Papier, das die Anpassung der Tarifverträge an Branchen und "regionale Gegebenheiten" anerkennt. In einem Gespräch mit Betriebsräten wies Mehdorn darauf hin, daß die Gewerkschaften bereits mit vielen nicht-bundeseigenen Nebenbahnen wie der 'Hohenzollerischen Landesbahn' schlechtere Tarifverträge abgeschlossen hätten. Eine zunehmende Atomisierung der Bahn-Belegschaft steht zu befürchten. So gibt es im DB-Konzern bereits u.a.:

  • Beamte (nach der Privatisierung ein "Auslaufmodell")

  • Tarifkräfte aus der Zeit vor 1994

  • Tarifkräfte nach dem 1.1. 1994 zu schlechteren Bedingungen

  • Beschäftigte zum Ost-Tarif (ohne Aussicht auf volles Westniveau)

  • Beschäftigte in von Stillegung bedrohten Werken oder Teilbetrieben wie Mitropa, der erst kürrzlich "abgewickelt" wurde.

  • die "DB Arbeit GmbH": Wer an seinem bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr gebraucht wird und der "DB Arbeit" (eine Art bahninternes Arbeitsamt) zugewiesenen wurde, sieht jetzt einer ungewissen Zukunft entgegen. So vereinbarten die Tarifpartner am 7. Juni 2000, die tariflichen Bestimmungen der DB Arbeit GmbH sollten einen "Anreiz zur Arbeitsaufnahme im Kerngeschäft oder bei Dritten" bringen.

Das Motto, das dieses Vorgehen bestimmte, ist uralt: dividere et impera - teile und herrsche.

Ist die Zerstörung der Deutschen Bahn verwunderlich bei einem "rot-grünen" Regierungschef, der sich als Auto-Kanzler feiern läßt, sich der persönlichen Freundschaft zu VW-Manager Piëch (bereits aus seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident) rühmt und den VW-Personalschef Hartz als Propagandist seiner Pläne zum "Umbau" des Sozialstaats bemühte? Cui bono - wem nutzt dies alles? - ist auch hier die entscheidende Frage. Mehdorn führt nur den ihm gestellten Auftrag aus - ebenso wie Bundeskanzler Schröder.

 

Klaus Schramm

 

Anmerkungen:
1Siehe beispielsweise Artikel 'Umweltpolitische Geisterfahrer'
2Siehe beispielsweise Artikel zu Gen-Food
3Siehe beispielsweise Artikel
'"Rot-Grün" forciert Atom-Politik...'
4Siehe beispielsweise Artikel
'"Rot-Grün" im Überwachungswahn'
5Siehe beispielsweise Artikel
'Sind Sie darauf stolz, Herr Schily?'
6Quelle: NVBW
7 Quelle: Regionaler Schienen-Personennahverkehr, Herausgeber VDV, Alba Fachverlag 1998
8 Siehe Artikel
'Ökosteuer - viel Lärm um nichts'

 

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