24.04.2004

Neue Atommacht EU?

Die militärische Dimension des EURATOM-Vertrags

Trotz vielfacher Anstrengungen der Anti-Atomkraft-Bewegung konnte der alte EURATOM-Vertrag von 1957 im Laufe der öffentlichen Diskussion um die Europäische Verfassung kaum thematisiert oder gar gekippt werden.1

Alle europäischen Regierungen und fast alle EU-ParlamentarierInnen üben sich in Schweigen. Selbst die Regierung des Staates, der immerhin seit 1999 ein "Bundesverfassungsgesetz für ein atomfreies Österreich" vorweisen kann, unternahm auf Druck der österreichischen Atomkraft-GegnerInnen nur Alibi-Verhandlungen auf EU-Ebene. Auch der Außenminister des Staates, der angeblich von einer rot-grünen Koalition regiert wird und einen Atom-Ausstieg beschlossen haben soll, Joseph Fischer, windet sich wie ein Aal. Am 11.06.2003 hieß es, Fischer habe auf "erheblichen Druck" und "in letzter Minute" die Aufnahme des EURATOM-Vertrages in die neue europäische Verfassung abgelehnt. Vierzehn Tage später wurde dann bekannt, daß Fischer sich zwar dafür eingesetzt habe, daß der EURATOM-Vertrag eine eigene Rechtspersönlichkeit erhält und damit nicht in die Verfassung als solche integriert wird, daß er dafür aber unverändert in ein neues gesamt-europäisches Vertragswerk überführt wird. Der EURATOM-Vertrag gilt weiterhin unbefristet und bleibt damit für alle EU-Mitgliedsstaaten verbindlich.

EURATOM - Grundlage für die europäische Atom-Streitmacht

Daß am EURATOM-Vertrag so zäh und öffentlichkeitsscheu festgehalten wird, liegt nun aber keineswegs an nostalgischen Gefühlen, nicht einmal vorrangig an unverbrüchlicher Treue zur Atomkraft, sondern an der damit verbundenen Option zur Teilhabe an einer europäischen Atomstreitmacht. So meinte bereits 1992 der ehemalige französische Außenminister Jean François-Poncet: "Am Ende des Weges zur europäischen Solidarität wird klarerweise auch eine nukleare Solidarität stehen."

Die Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft war 1957 untrennbar mit dem französischen Atomwaffen-Projekt verknüpft. Auch von der damaligen Bundeshauptstadt Bonn wurde EURATOM in erster Linie als Entwicklungsvoraussetzung für eine europäische - also deutsche - Atombombe betrachtet. Dem Protokoll einer Kabinettssitzung zufolge hatte Adenauer 1956 vor dem Bundeskabinett erklärt, er "möchte über EURATOM auf schnellstem Weg die Möglichkeit erhalten, selbst nukleare Waffen herzustellen." Und am Ende des Jahres 1957 hatte sogar der französische Verteidigungsminister Chaban-Delmas Westdeutschland und Italien den Vorschlag einer gemeinsamen Atomwaffenproduktion unterbreitet.

Zusammenbruch des Ostblocks - Chance zu atomarer Abrüstung?

Nach dem Zusammenbruch der Ostblock-Staaten eröffnete sich kurzfristig eine Chance zu weltweiter atomarer Abrüstung2. Frankreich und Großbritannien als die beiden europäischen Atommächte standen vor einer entscheidenden Weichenstellung. Variante A hätte geheißen, auf Abrüstung zu setzen und die britischen und französischen Atomwaffen schrittweise in den mit SALT begonnenen Abrüstungsprozeß einzubeziehen wie es der Atomwaffensperrvertrag vorschreibt. Damit wären die Pläne des damaligen deutschen Militärministers Volker Rühe durchkreuzt worden und es hätte die Chance bestanden, daß Deutschland eine Nicht-Atommacht bleibt. Variante B hieß, Frankreich und Großbritannien setzen auf Aufrüstung und Modernisierung ihrer Atomwaffen, um mit den USA in globale Konkurrenz zu treten. Diese Variante bedeutete zugleich eine Einladung an Deutschland, sich in die europäische Atomwaffenpolitik einmischen. So hieß es beispielsweise in 'Le Figaro' vom 4. September 1992 von General Fennebresque: "Europa ist dichter bevölkert und reicher als die USA. Um eine Rolle in der Weltpolitik zu spielen, muß es über eine militärische Kapazität gleicher Größe verfügen."

Welche Entscheidung getroffen wurde, ist heute offensichtlich und auch unter "Rot-Grün" versucht Deutschland seine Einmischung über die europäische nukleare Planungsgruppe und über eine gemeinsame Entscheidungsstruktur auszuweiten. Auch das - nur als Zwischenstadium akzeptierte - Veto für Frankreich und Großbritannien wird zu verändern versucht.

Atomare Teilhabe

Diese Entwicklung seit 1990 bedeutet für die Mehrheit der EU-Staaten, die nicht über die A-Bombe verfügen und mehr noch für jene, die kein ziviles Atomprogramm haben oder aus diesem ausgestiegen sind (Österreich 1978, Italien 1987) ein Zuwachs an Verantwortung. Und zur Verantwortung kommt eine erhebliche Bürde in Form finanzieller Verpflichtungen hinzu. So mußte beispielsweise Österreich seit dem EU-Beitritt am 1. Januar 1995 jedes Jahr durchschnittlich rund 14 Millionen Euro für die Förderung der Atomenergie in Europa überweisen. Eine Mitverantwortung besteht auch für die Bedingungen des Uranbergbaus in Staaten der "Dritten Welt" und die damit verbundenen katastrophalen Umweltschäden. Und ebenso besteht auch eine Mitverantwortung für die Entwicklung neuer und kleinerer Atomwaffen.

Es stellt sich die Frage, ob das Schweigen zu diesem Thema und die zur Schau gestellte Ignoranz daher rühren, daß die betroffenen EU-Staaten nicht gegen die Atommächte Großbritannien und Frankreich aufzustehen wagen oder vielmehr darin begründet liegen, daß sie sich eine Supermacht Europa herbeiwünschen, die mit den USA rivalisieren kann, daß sie sich Europa gar nicht anders vorstellen können, denn als Atommacht mit entsprechender Infrastruktur in Wissenschaft, Industrie und Militär.

Und daß in den letzten 10 Jahren immer seltener von "gemeinsamer Atomstreitmacht", "europäischen Kernwaffen", "EU-Atombombe" oder "Atomtestgelände für gemeinsame europäische Verteidigung" die Rede ist, hat allein psychologische Gründe. Die Polit-, Militär- und PR-Strategen wissen, daß mit diesen Begriffen bei Millionen von EuropäerInnen ganz andere Assoziationen geweckt würden als mit "europäisches Sicherheitsbündnis", "gemeinsame europäische Rüstungsanstrengungen", "europäische Solidarität bei der Verteidigung" und ähnlichem.

Atomare Zwillinge

Die sogenannte zivile Nutzung der Atomenergie und die Entwicklung der A-Bombe waren von Beginn an unlöslich miteinander verknüpft. Dies wurde gerade erst dieser Tage durch den Fall Vanunu wieder publik2 und ist an der historischen Entwicklung sämtlicher Atommächte abzulesen. Schon Atomminister Franz Joseph Strauß hatte verstanden, daß der Weg zur "Atomaren Teilhabe" über den staatlich hoch subventionierten Aufbau einer "zivilen" Atomkraftnutzung führt. Doch die noch allzu frische Erinnerung an den Holocaust blockierte lange Zeit das Erreichen des Ziels über diesen Weg.

Schon damals war den Fachleuten klar, daß es unnötig wäre, Plutonium in militärischen Reaktoren zu erzeugen, wenn es aus "zivilen" Atomkraftwerken abgezweigt werden kann. Vor der Öffentlichkeit und vor internationaler Konkurrenz verborgen, können so die militärischen Zwecke so lange wie möglich unter dem Deckmantel der friedlichen Kernenergie unerkannt bleiben. Und umgekehrt bleibt ein verkündeter Atom-Ausstieg obsolet, solange der Weg zur europäischen Atom-Streitmacht weiter verfolgt wird.

USA bleiben wachsam

1999 beschloß der Europäische Rat in Helsinki den Aufbau einer Schnellen Eingreiftruppe als Kern unabhängiger europäischer Streitkräfte. Dank US-partnerschaftlich gestimmter Kräfte innerhalb der EU kamen diese Pläne nicht recht voran - bis auf dem NATO-Gipfel Ende 2002 in Prag die Schnelle Eingreiftruppe als NRF (Nato Response Force) installiert und deren Kommando-Ebene via NATO für die USA reserviert wurde. Und auch die Ost-Erweiterung der EU um 10 weitere Staaten wird die Entwicklung zu einer EU-Atommacht nicht voranbringen, sondern eher bremsen. Cubas Diktator Castro hat in einer Rede am 26. Juli 2003 ganz zurecht gehöhnt: "Die dort regierenden Opportunisten, die den US-Interessen treuer sind als denen Europas, werden trojanische Pferde der Supermacht in der Europäischen Union sein."4 Dennoch wird auch dies nicht dazu führen, daß das dynamische Gleichgewicht zwischen den "Atlantikern" und den Protagonisten einer europäischen Supermacht allzu sehr aus den Fugen gerät. Auch die äußerlich als Spaltung Europas gedeutete Uneinigkeit über die Beteiligung am Irak-Krieg ist längst wieder gekittet. Und so wird nur eine wiedererstarkte europäische Anti-Atom-Bewegung eine wirkliche atomare Abrüstung und damit zugleich einen europäischen Atom-Ausstieg erzwingen können.

 

Klaus Schramm

 

Anmerkungen:

1 Siehe auch unseren Artikel
    EURATOM-Täuschung und weitere Atom-Subventionierung
    (27.07.03)

2 Siehe auch die Rede eines Ex-Generals
    Sind Kernwaffen notwendig? (14.01.02)

3 Siehe auch unseren Artikel
    Vanunu endlich frei (21.04.04)
und
    Israels Spiel mit der Atombombe (23.03.04)

4 Siehe auch unseren Artikel
    Speicherlecker, die Blut geleckt haben (19.09.03)

 

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