27.10.2006

"Rot-Grün" wußte bereits 2001
von CIA-Gefängnissen in Europa

Für Steinmeier wird es immer enger

Wie der 'stern' in seiner neuen Ausgabe (44 / 26.10.06) so hübsch formuliert: Die Wahrheit ist eine Salami. Dem 'stern' wurden geheime Unterlagen zugespielt, aus denen zu schließen ist, daß Bundesnachrichtendienst (BND), Bundeskriminalamt (BKA) und Bundeswehr bereits im Herbst 2001 über US-Folter auf deutschem Boden und ein geheimes CIA-Gefängnis in Tuzla Bescheid wußten. Zu jener Zeit war der heutige deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier Chef des Bundeskanzleramts und in dieser Funktion oberster deutscher Geheimdienst-Koordinator.

Noch am 16. Dezember 2005 hatte Staatsminister Gernot Erler vom Auswärtigen Amt auf entsprechende Fragen hin erklärt, man kenne lediglich "Medienberichte über angebliche Geheimgefängnisse der CIA in Osteuropa". Doch bereits am 27. September 2001 - 16 Tage nach den Anschlägen auf das New Yorker World Trade Center und das Pentagon - ging beim BND eine vertrauliche Nachricht ein: Von Seiten der USA wurde Unterstützung bei einem Verhör im bosnischen Tuzla angefordert. Auf der 'Eagle Base' in Tuzla sollte ein deutsches Team bei der Bearbeitung zweier Terrorverdächtiger Hilfsdienste leisten und "bei der Verhaftung beschlagnahmtes Material" begutachten. Dies ist einem als "geheim" eingestuften Text eines damals in Sarajewo stationierten BND-Offiziers vom 19. Dezember 2005 zu entnehmen.

Das deutsche Team konstatierte, daß ein 70-jährigen Verdächtigen so hart herangenommen worden war, daß die "mit Gewehrkolben zugefügte Kopfwunde 20 Stiche benötigte". Ein "Großteil" der "von US-Seite beschlagnahmten Dokumente" war - so die BND-Beschreibung - "extrem blutbeschmiert". Einer der beiden BKA-Männer, die dem deutschen Team angehörten, meinte dazu auf der Rückfahrt von Tuzla nach Sarajewo, die US-Amerikaner machten hier das gleiche, "wofür in Den Haag Serben vor dem ICTY landen". Bei ICTY handelt es sich um den Sondergerichtshof für das ehemalige Jugoslawien.

Noch von Tuzla aus hatten der BKA-Hauptkommissar und sein Kollege die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe informiert, wonach sie angeblich Order bekamen, sich nicht an Verhören zu beteiligen. Zugleich liegen Informationen vor, daß möglicherweise AMIB-Angehörige an den Verhören beteiligt waren. AMIB war die Abkürzung für "Allied Military Intelligence Bataillon", in dem wiederum mehrere deutsche Offiziere des militärischen Abschirmdienstes (MAD), des dritten deutschen Geheimdienstes, eingesetzt gewesen sein sollen.

Die Gefangenenhilfsorganisation Amnesty International (ai) hatte bereits im Mai 2002 Kritik an dem Gefängnis auf der "Eagle Base" in Tuzla geübt. Mehrfach habe dort die "Internationale Bosnien-Schutztruppe" SFOR Gefangene tagelang ohne Haftbefehl und ohne "Zugang zu einem Anwalt" festgehalten. Häftlinge seien "unmenschlich und erniedrigend" behandelt worden. Die "Algerian Six" - sechs von den USA entführte Männer algerischer Abstammung - wurden über Tuzla nach Guantánamo ausgeflogen.

Deutsche Behörden wußten über die Geschehnisse auf der "Eagle Base" in Tuzla bereits im Herbst 2001 Bescheid - neben dem Generalbundesanwalt offenbar auch das von einem BND-Mann geleitete Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr (ZNBw) in Gelsdorf bei Ahrweier. Der BND in Pullach bekam offenkundig einen Bericht sowie "umfangreiches Material", das die US-Amerikaner "im Zusammenhang mit den Verhaftungen" gewonnen hatten. Die Informationen aus Tuzla müssen auch bei August Hanning, dem damaligen BND-Präsidenten und heutigen Staatssekretär im Innenministerium, gelandet sein. Anscheinend - so ein vertraulicher Vermerk - wurde der Tuzla-Einsatz "unter (zumindest informativer) Beteiligung" des Referats 90A "gesteuert". 90A ist das Leitungsreferat im BND.

Laut 'stern' ist es kaum denkbar, daß der damalige Kanzleramts-Chef und heutige Außenminister Frank-Walter Steinmeier nicht informiert war - ebenso wie sein Geheimdienst-Koordinator Ernst Uhrlau, der heute als BND-Präsident fungiert. Eine Anfrage des 'stern' um Stellungnahme ließ der BND unbeantwortet.

Und noch eine Größe der "rot-grünen" Bundesregierung muß über die Vorgänge in Tuzla informiert gewesen sein: Otto Schily war als Innenminister 2001 für das BKA zuständig. Dennoch stellte er sich noch im Dezember 2005 unwissend. Als Minister habe er keinerlei Erkenntnisse über angebliche Gefängnisse und Verhörzentren des CIA in Europa gehabt, versicherte er in einem Interview. Auf eine Anfrage des 'stern' um Stellungnahme äußerte sich Schily jedoch nicht und verwies an das Innenministerium.

Über "rot-grün-schwarze" Lügen berichtete die 'Berliner Zeitung' erst vergangene Woche: Im Fall des 19-jährigen Bremers Murat Kurnaz wurde zuerst abgestritten, daß deutsche Soldaten zum Zeitpunkt von dessen Mißhandlung in Kandahar überhaupt anwesend waren. Inzwischen mußte die deutsche Bundesregierung doch die Anwesenheit KSK-Soldaten in jenem Folter-Camp in Kandahar einräumen.

Der SPD-Wehrexperte Rainer Arnold verteidigte den Einsatz mit der Behauptung, man habe 2002 noch nicht gewußt, daß die USA in Afghanistan Recht und Gesetz brächen. Doch zumindest BKA, BND und Bundeswehr müssen im Bilde gewesen sein. Zudem berichteten KSK-Offiziere in Deutschland nicht selten ganz offen von US-amerikanischen Menschenrechtsverletzungen und Morden an Zivilisten in Afhghanistan.

 

Adriana Ascoli

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Dokumentation:

      "Sie sagten, du bist von al Qaida,
      und wenn ich nein sagte, schlugen sie zu"
      Interview mit Murat Kurnaz im 'stern' 41/06 (5.10.06)

Siehe auch unsere Artikel:

      'Fall Kurnaz: Bundesregierung war bereits 2001 informiert
      Wie lange kann sich Steinmeier noch halten?' (26.10.06)

      'Muß "Rot-Grün" für die Getöteten zahlen ?' (15.10.03)

      'Deutsches Justiz läßt Frage offen:
      Sind Schröder und Fischer Mörder?' (11.12.03)

      'Afghanistan - Bilanz einer "Befreiung"' (23.05.03)

      'Rechtfertigung für Afghanistan-Krieg
      läßt auf sich warten' (27.05.04)

      'Medica Mondiale bestätigt: Der Afghanistan-Krieg
      brachte keine Verbesserung für die Lage der Frauen' (24.08.04)

      'Sudan: Bundestag beschließt Platz an der Sonne' (26.11.04)
      und in diesem Artikel die Aussagen eines KSK-Offiziers
      über Erfahrungen in Afghanistan.

 

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