19.10.2004

Wald-AIDS

Zustand schlimmer als 1983

In der Ortenau ist kein einziger gesunder Baum mehr in den Wäldern zu finden, in Baden-Württemberg insgesamt sind nur noch 23 Prozent der 1,4 Millionen Hektar Waldfläche ohne Schäden - weniger als seit Anfang der 80er Jahre als das Schlagwort vom Waldsterben im Blätterwald noch für Wirbel sorgte.

In Baden-Württemberg gibt es 62 "Dauerbeobachtungsflächen". Jedes Jahr im Frühling werden die Flächen von Fachleuten u.a. der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalten inspiziert. Der Zustand der Bäume wird in Statistikbögen festgehalten und die Daten werden in der Regel bis August ausgewertet und danach veröffentlicht. Maßgeblich für die Beurteilung sind genau festgelegte Parameter wie Vergilbung, Nadel- oder Blattverlust, Ausdünnung der Baumkrone oder biotischer Befall.

Seit 1983 werden die Ergebnisse in vier "Schadensklassen" aufgeteilt. Für den Wald im Ortenaukreis sieht die Bilanz diesmal besonders düster aus: Für Stufe Null, "ungeschädigt", ließ sich kein einziger Baum mehr finden. Bei Oberkirch, Fläche "401 A", wo noch Eichen in erheblicher Zahl stehen, liegt Schadensklasse Zwei, "mittelstark geschädigt", mit 80 Prozent an erster Stelle. Selbst die immer schnell entfernten Bäume der Schadensklasse Drei, "stark geschädigt", sind hier zu finden. Bei Ottenhofen, Fläche "54 A", sind immerhin noch 25 Prozent der dortigen Fichten in die Schadensklasse Eins, "schwach geschädigt", eingeordnet worden.

Für das verschlechterte Krankheitsbild wird der "extrem trockene" Sommer 2003 verantwortlich gemacht. Doch ein gesunder Wald kann auch lange Trockenperioden weitgehend schadlos überstehen. Daß sich nun derart "alarmierende Ergebnisse" zeigen, hat seine Ursache vielmehr in jahrelangem Dauerstreß durch einen stets neu gemixten Cocktail von Luftschadstoffen, saurem Regen und Ammoniak-Eintrag aus der Landwirtschaft. Im Wissenschafts-Chinesisch heißt das dann: "Letztlich ist davon auszugehen, daß eine Destabilisierung des Waldökosystems durch lang anhaltende Stoffeinträge die Anfälligkeit gegenüber auftretenden Störfaktoren weiter erhöht."

Laut baden-württembergischem "Waldzustandsbericht 2004" sind 40,4 Prozent der Waldflächen deutlich geschädigt. Dieser Anteil liegt höher als je zuvor seit Beginn der jährlichen Erhebungen im Jahr 1983. Und der Waldboden wird von Jahr zu Jahr saurer. Laut offiziellen Daten sank der pH-Wert von 5,5 auf inzwischen durchschnittlich 3,5. Dies bedeutet zugleich eine Bedrohung für das Grundwasser. Eine weitere Gefahr liegt in der abnehmenden Fähigkeit des Waldbodens, Regenwasser aufzunehmen. Die Folge ist eine Zunahme der Hochwasser sowohl in der Häufigkeit als auch in der Stärke.

Als Notbehelf wird immer häufiger Kalk - auch mit extrem teurem Hubschrauber-Einsatz - ausgebracht. Auf die Dauer kann die Versauerung der Waldböden jedoch nur gestoppt werden, wenn bei den Hauptverursachern, dem Auto- und LkW-Verkehr als auch bei der Landwirtschaft angesetzt wird. Und selbst der Geschäftsführer der baden-württembergischen Forstkammer, Martin Bentele, spricht es offen aus, daß der Wald in erster Linie unter den Emissionen leidet. Die niedrigen Flugpreise beispielsweise seien offenbar ein Tabu-Thema. Doch solange Politik hierzulande von denen bestimmt wird, die über Geld und Macht verfügen, wird sich für den Wald nichts zum besseren wenden - gleichgültig, ob uns diese Politik schwarz-gelb oder rot-grün lackiert angeboten wird.

 

Petra Willaredt

 

Anmerkungen:

Siehe auch unsere Artikel

      'Der Wald hat AIDS' (28.06.04)

      'Auch "Rot-Grün" kann nicht länger leugnen:
    Dem Wald geht's immer schlechter' (12.12.03)

      'Waldsterben trotzt Künast' (23.10.03)

      'Waldsterben virulent' (29.08.03)

      'Künast zum Haartest ?' (15.07.03)

 

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