Aufruf

Atom-Ausstieg selber machen!

Seit Monaten jagt eine Meldung die nächste, wonach die vier großen Energie-Konzerne E.on, Vattenfall, RWE und EnBW, die in Deutschland Atomkraftwerke betreiben, eine weitere Verlängerung der Laufzeiten durchsetzen wollen. Der unstillbare Hunger der Konzerne zeigt deutlich, daß der 2000 von "Rot-Grün" mit ihnen vereinbarte Atomkonsens, der uns als "Atom-Ausstieg" hatte verkauft werden sollen, von Seiten der Konzerne nicht ernst genommen wird.

Der Atomkonsens brachte den vier Konzernen nicht nur eine Verlängerung der ursprünglich für 25 Jahre Laufzeit konzipierten Atomkraftwerke auf durchschnittlich über 35 Jahre, sondern ermöglichte zudem den Bau von zwölf neuen Zwischenlagern an AKW-Standorten. So konnten die Betreiber - vorläufig - das Problem der ungelösten Atommüllentsorgung ignorieren.

Im April 1998 hatte die "schwarz-gelbe" Regierung unter Kohl ein Energiewirtschaftsgesetz zur Liberalisierung des Strommarktes verabschiedet. Dieses Gesetz sollte - so ein Versprechen von "Rot-Grün" - um eine Regulierungsbehörde ergänzt werden. Erst 2005 wurde die Regulierungsbehörde in Form der Bundesnetzagentur eingeführt, auf ultimativen Druck der EU-Kommission. Zwischen 1999 und 2004 lagen die Umsätze aus dem Betrieb des Übertragungsnetzes bei rund 33 Milliarden Euro, wovon aber lediglich 15 Milliarden für Netzinvestitionen verwendet wurden. Die übrigen 18 Milliarden fielen in die Kriegskasse der Stromkonzerne.

Das nächste Geschenk der "rot-grünen" Bundesregierung bestand darin, die Praxis der steuerfreien Rückstellungen für die künftige "Endlagerung" unangetastet zu lassen, statt diese in einen staatlich kontrollierten Fond zu überführen. Diese Rückstellungen liegen heute bei etwa 30 Milliarden Euro und können von RWE, Vattenfall, E.on und EnBW nach Belieben verwendet werden. Sie wirken deshalb über Jahrzehnte wie steuerfreie Gewinne und sind ein klarer Wettbewerbsvorteil zu Lasten der kleinen Energieversorger.

Laut Hermann Scheer brachte der Atomkonsens den vier Strom-Konzerne RWE, Vattenfall, E.on und EnBW zusätzliche Subventionen in Höhe von jährlich 5 bis 7 Milliarden Euro ('Badische Zeitung', 29.10.2005). Am 30.09.2006 schrieb Hermann Scheer in einem Beitrag für die 'Frankfurter Rundschau': "Die Stromkonzerne (haben) einen hohen politischen und wirtschaftlichen Preis verlangt, erhalten und längst eingesteckt. Dadurch wurden sie Profiteure des Atomausstiegs. Aber dennoch wollen sie nunmehr ihre vertragliche Gegenleistung nicht einlösen."

Noch während der Konsens-Verhandlungen zwischen "Rot-Grün" und den Strom-Konzernen sagte Franz Alt mit bemerkenswerter Klarheit: "Die Konsens-Ideologie erweist sich, je länger an ihr festgehalten wird, als Nonsens-Philosophie. Es ist eben grundsätzlich unmöglich, mit der Metzgerinnung einen Konsens über die Einführung des Vegetarismus zu erreichen."

Seit Ende der 70er Jahre gibt es in Deutschland eine konstante Mehrheit für den Atomausstieg, doch anders als in Österreich oder Italien blieb dies hierzulande ohne Konsequenzen. Das Vertrauen in die Parteienpolitik war offenbar bisher zu groß. Nur wenige Prozent der deutschen Haushalte nutzten bislang die Liberalisierung des Strommarkts, um selbst Konsequenz zu beweisen und zu einem Ökostrom-Anbieter zu wechseln.

Eine Reihe von Umweltverbänden, Anti-Atom-Initiativen, VerbraucherInnen- und ÄrztInnen-Organisationen haben sich zu einem gemeinsamen Aufruf zusammengetan: "Atom-Ausstieg - selber machen!" Mit konzertierter Öffentlichkeitsarbeit soll der Wechsel zum Ökostrom-Anbieter populär gemacht werden.

Private Haushalte, Gewerbe und Unternehmen sollen so ihren Protest gegen die Konzern E.on, Vattenfall, RWE und EnBW spürbar werden lassen.

Über eine eigens eingerichtete Homepage (www.atomausstieg-selber-machen.de), eine Infoline der Ökostrom-Anbieter (0800-7626852), aber auch durch direkte Ansprache, sollen jene rund zwei Drittel der Bevölkerung kreativ und in vielfältiger Weise angesprochen und informiert werden, die laut Umfragen der Atomenergie ablehnend gegenüberstehen, bisher daraus aber noch nicht die Konsequenz eines Wechsels zu Ökostrom gezogen haben.

Unterstützt wird der Aufruf bisher von:

Bund der Energieverbraucher
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)
Deutscher Naturschutzring (DNR)
Deutsche Umwelthilfe (DUH)
Greenpeace
IPPNW - Deutsche Sektion der Internationalen ÄrztInnenvereinigung gegen den Atomkrieg
Naturschutzbund NABU
NETZWERK REGENBOGEN
ROBIN WOOD
X-tausendmal quer

"Wenn die Atomkonzerne nicht abschalten wollen, müssen wir sie eben abschalten", sagte Jochen Stay, der Sprecher der Gorlebener Anti-Castor-Initiative X-tausendmal quer. Die Erfahrung zeige, dass sich im Atomkonflikt immer dann etwas positiv bewegen lasse, "wenn viele Menschen Druck machen, ob jetzt als mündige Stromkunden oder bei Castor-Transporten im Wendland."

Der Bundesgeschäftsführer des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Gerhard Timm, nannte die von RWE geforderte Übertragung von Stromkontingenten ausgerechnet auf den derzeit ältesten Meiler in Deutschland Biblis A eine Zumutung: "RWE beweist mit dieser Strategie, dass der Konzern sein wirtschaftliches Interesse über die Sicherheitsinteressen der Bevölkerung stellt. Käme RWE mit seinem Plan durch, würde dieses Land in den kommenden Jahren unsicherer und nicht sicherer."

Denn je länger die Meiler betrieben würden, desto höher sei auch die Wahrscheinlichkeit eines Super-GAUs, erläuterte IPPNW-Vorstandsmitglied Winfrid Eisenberg: "In einem derart dicht besiedelten Gebiet wie Rhein-Main wäre das eine unvorstellbare Katastrophe. Die sofortige Evakuierung vieler Millionen Menschen wäre nicht möglich, selbst ein optimal organisierter Katastrophendienst könnte das Chaos der Fliehenden nicht steuern. Auch wir Ärzte könnten nicht viel helfen, die Krankenhäuser wären schnell von Schwerstverstrahlten überfüllt. Hunderttausende würden sterben. Leider ist es jahrelang aus der Mode gekommen, über diese Dimension der Nutzung der Atomkraft zu reden.

"Der schwere Störfall im schwedischen Forsmark habe erneut bewiesen, dass es sich bei der Atomenergie um eine "Trial and Error"-Technologie handele, die sich nie vollständig kontrollieren lasse. Eisenberg forderte die Stromkunden in Deutschland auf, "ihre Verbrauchermacht einzusetzen, um der Atomindustrie die Rote Karte zu zeigen."

Dass der über Jahre mühsam ausgehandelte und von den Konzernen selbst unterzeichnete Atomkonsens nun von RWE und anderen Atomstromproduzenten aus Profitsucht wieder aufgeschnürt werde, bedeute "auch ein moralisches Versagen der Spitzenmanager", sagte Leif Miller, der Bundesgeschäftsführer des Naturschutzbundes NABU.

Ohne den Atomausstieg gebe es keinen Umbau der Energieversorgung in Deutschland. "Wer am Ausstieg rüttelt, reißt gesellschaftliche Gräben auf, die gerade erst zugeschüttet waren. Vom eingeschlagenen Pfad - weg von risikoträchtigen und umweltgefährdenden hin zu Erneuerbaren Energien - darf es keinen Weg zurück geben".

Der Biblis-A-Antrag des Stromriesen RWE, sei geeignet, "jede Form von politischem Kompromiss mit den Betreibern von Atomkraftwerken zu diskreditieren", sagte Greenpeace-Abteilungsleiter Stefan Schurig. Der demonstrative Wortbruch der Spitzenmanager wirke sich direkt aus auf den anstehenden Energiegipfel in zwei Wochen, zu dem Kanzlerin Angela Merkel erneut eben diese Manager eingeladen habe. "Wie glaubwürdig sind eigentlich noch Ergebnisse solcher Treffen, wenn die Energiekonzerne heute dies und morgen das sagen und Verträge bei nächster Gelegenheit gebrochen werden", fragte Schurig. Selten habe in diesem Land ein individueller Schritt eine größere politische Bedeutung erlangt wie nach dem Wortbruch der Spitzenmanager. "Der private Atomausstieg, zu dem wir aufrufen, ist unkompliziert und häufig sehr viel kostengünstiger, als man denkt. Ich wünsche mir ein regelrechtes Wechselfieber".

"In großer Zahl vollzogen wirkt die private Entscheidung als starkes politisches Signal, das RWE, E.on, EnBW und Vattenfall da trifft wo es weh tut: beim Geld", sagte Jürgen Sattari, der Vorstandssprecher von ROBIN WOOD. Seine Organisation habe den Atomkonsens von Beginn an als Etikettenschwindel kritisiert und sich für die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen und eine risikoarme und Klima freundliche Stromversorgung eingesetzt. "ROBIN WOOD unterstützt die Initiative 'Atomausstieg selber machen!', weil uns jeder, der zu einem Ökostromanbieter wechselt, dem Atomausstieg einen Schritt näher bringt."

Hier die Info-Seiten von drei empfehlenswerten Ökostrom-Anbietern:

Energiewerke Schönau
Greenpeace Energy
Naturstrom

 

NETZWERK REGENBOGEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Info-Serie Atomenergie:

      Folge 1
      Grundlagenwissen

      Folge 2
      Der deutsche "Atom-Ausstieg"

      Folge 3
      Die Subventionierung der Atomenergie

      Folge 4
      Der siamesische Zwilling: Atombombe

      Folge 5
      Umweltverbrechen Uran-Abbau

      Folge 6
      Uran-Ressourcen und die Zukunft der Atomenergie

      Folge 7
      Die Geschichte der Atom-Unfälle

      Folge 8
      Die stille Katastrophe

      Folge 9
      Der italienische Atom-Ausstieg

      Folge 10
      Schwedens "Atom-Ausstieg"

      Folge 11
      Atomenergie in Frankreich

      Folge 12
      Das ungelöste Problem der Endlagerung

 

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