22.01.2008

Flüchtlingselend und Artenschwund
in Nordafrika

Führt Tierschutz zu mehr Menschenschutz?

Das Mittelmeer und die Kanarischen Inseln werden von der EU immer mehr zu einem Bollwerk gegen Hungerflüchtlinge aus Afrika ausgebaut.1 Mit Hilfe der eigens hierfür geschaffenen EU-Behörde Frontex werden gefangen genommenen Flüchtlinge in nordafrikanische Sammellager verbracht, wo unmenschliche Bedingungen herrschen. Weil es an Lebensmitteln mangelt, floriert der Handel mit getöteten Wildtieren. Inzwischen sind im weiten Umkreis solcher Auffanglager ganze Populationen bedroht, darunter auch gefährdete Arten wie Schimpansen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie von TRAFFIC, dem gemeinsamen Artenschutzprogramm des WWF und der Weltnaturschutzunion IUCN.

Für die Studie wurden die Orte Kagera und Kigoma im Nordwesten Tansanias untersucht, die 548.000 Flüchtlinge beherbergen. "Das gewilderte Fleisch wird undercover gehandelt und nach Einbruch der Dunkelheit gekocht", sagt WWF-Expertin Vera Reifenstein. "In den Lagern firmiert es unter dem Namen 'Nachtspinat'. Die Flüchtlinge wissen, daß das Fleisch illegal ist, aber sie haben keine andere Wahl."

Solange jedoch weite Teile Afrikas in Armut gehalten werden, besteht wenig Hoffnung, daß die Lage in den Sammellagern verbessert wird. Würde nämlich für eine ausreichende Nahrungsversorgung in den Lagern gesorgt, würde so der Flüchtlingsstrom weiter anwachsen. Denn Dank Mobiltelefonen spricht sich heutzutage auch in Afrika schnell herum, wo noch ein Überleben ohne Hunger möglich ist.

Laut den Zahlen der Vereinten Nationen verhungern täglich 80.000 Menschen in Afrika. Und ebenfalls läßt sich längst nicht mehr verheimlichen, daß der gesamten Landwirtschaftshilfe der Industrieländer an afrikanische Staaten in Höhe von rund einer Milliarde US-Dollar allein Produktions- und Exportsubventionen für landwirtschaftliche Güter der Industrieländer in Höhe von 348 Milliarden US-Dollar gegenüberstehen. (Diese offiziellen OECD-Zahlen finden sich beispielsweise im 'spiegel' Nr. 19, v. 7.05.07) Das Problem ist also mit Appellen an Hilfsorganisationen oder Regierungen, mehr finanzielle Mittel für die Auffanglager zur Verfügung zu stellen, nicht zu lösen.

Einer der Autoren der aktuellen Studie, George Jambiya, erklärt: "Die Selbstversorgung der Flüchtlinge mit gewildertem Fleisch hat bislang übertüncht, daß die Weltgemeinschaft nicht in der Lage ist, die Menschen ausreichend mit Nahrung zu versorgen. Wenn es darum geht, die wahren Hintergründe der Wilderei zu erkennen, sind die Hilfsorganisationen auf beiden Augen blind. Man muß es klar sagen: Ohne die Wilderei wäre die Lage in den Notunterkünften weitaus dramatischer."

In der Umgebung von Flüchtlingslagern ebenso wie in Kriegsgebieten ist häufig eine rasante Zerstörung der Natur zu beobachten. So werden Wälder abgeholzt, um Feuerholz zu gewinnen, Schimpansen, Büffel und Säbelantilopen landen in den Kochtöpfen der Hungrigen. Dieses Phänomen ist nicht neu und bereits 1999 stellte Kabongo N'Simba die Frage: "Welche Bedeutung haben noch die Menschenrechte für die Afrikaner in einer Welt, wo das Leben der Berggorillas im Gebiet der Großen Seen mehr Wert als das Leben eines Menschen im Not hat?" Die Weltöffentlichkeit reagierte empört auf den Tod von acht NaturschützerInnen aus dem Norden und ignorierte zugleich des Schicksals der Einheimischen in Uganda und schwieg zur tagtäglichen Ermordung unschuldiger Menschen in der Region des Großen Seen.

Und im Kongo werden zur Fleischversorgung der in illegalen Minen Beschäftigten - beispielsweise der Coltan-Minen inmitten des Kahuzi-Biega-Nationalparks - die Bestände an Elefanten und seltenen Tiefland-Gorillas dezimiert. Von den ehemals rund 3.600 Elefanten des Kahuzi-Biega-Nationalparks ist nach Berichten von ArtenschützerInnen kein einziger mehr am Leben.

Nach aller Erfahrung ist es nicht abwegig zu folgern, daß humanitäre Organisationen wie 'Brot für die Welt' wenig Interesse daran haben, sich in dieser Problematik zu engagieren und damit Gefahr zu laufen, es sich mit den Regierungen der Industrienationen zu verscherzen. Ein wenig zynisch - nicht aber ohne eine gewisse Logik - ist auch die Folgerung, die bereits des öfteren laut wurde: Humanitäre Organisationen, deren Funktion allein darin besteht, einige Tropfen auf einen heißen Stein zu träufeln, haben kein Interesse an einer Abkühlung des Steins. Denn eine Lösung des Problems würde ihre "Mission" überflüssig machen.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

1 Siehe unseren Artikel:

      Frontex und die toten Flüchtlinge
      Immer mehr Leichen im Mittelmeer (25.12.07)

Siehe auch unseren Artikel zum Thema Coltan:

      Was macht den Kongo plötzlich so interessant? (22.06.03)

Siehe auch unsere Artikel zum Thema Artenschwund:

      2007: Negativ-Rekord bei bedrohten Arten (28.12.07)

      In der DR Kongo wird munter abgeholzt
      Deutschland mitschuld an Regenwald-Vernichtung (10.04.07)

Siehe auch unsere Artikel zum Thema Flüchtlinge:

      Frontex und die toten Flüchtlinge
      Immer mehr Leichen im Mittelmeer (25.12.07)

      Europa, schäme dich!
      Flüchtlingselend im Mittelmeer (28.05.07)

      Eine mörderische Weltordnung
      Ceuta und Melilla (21.10.05)

      ai: "deutsche Asylpolitik verantwortungslos" (25.05.05)

      Festung Europa fordert Tote
      Mehr Leichen als Krabben in den Netzen (26.03.05)

      'Tag des Flüchtlings 2004:
      Europa macht dicht! (30.09.04)

      'Menschenverachtender Umgang
      mit Flüchtlingen beim FdAaF-Bundesamt' (3.06.04)

      'Nach wie vor werden in Deutschland
      Kinderrechte mit Füßen getreten' (16.01.04)

      '60 Tote infolge europäischer Unchristlichkeit' (22.12.03)

      'Sind Sie darauf stolz, Herr Schily?' (13.01.03)

      'Europa hat eine Verantwortung' (11.10.00)

 

neuronales Netzwerk