13.04.2007

Leukämiefälle in Geesthacht

ExpertInnen-Anhörung / Neue Analysen angekündigt

Dieser Tage fand eine ExpertInnen-Anhörung im Niedersächsischen Landtag statt. Geklärt werden sollten die Ursachen der seit 17 Jahren zunehmenden Zahl von Kinderleukämie in der Umgebung des AKW Krümmel und des GKSS-Forschungszentrums. Im Raum stehen Vorwürfe, wonach die weltweit einzigartige Häufung von Kinder-Leukämie im Raum Geesthacht, 30 Kilometer südlich von Hamburg, auf einen Unfall im September 1986 bei illegalen Atomwaffen-Experimemte zurückzuführen sind. Zur Klärung sollen nun erneut Untersuchungen von Bodenproben veranlaßt werden.

Seit dem Eklat von 2004, als eine vom Land Schleswig-Holstein eingesetzte ExpertInnen-Kommission ("Leukämie-Kommission") zurückgetreten war, weil sie sich in ihren Ermittlungen von den Landesregierungen in Niedersachsen und Schleswig-Holstein ausgebremst sah, blieben die Akten geschlossen. "Die Eltern haben ein Recht darauf, daß die Landesregierung, wenn sie eine Lösung herausfinden kann, sie auch herausfindet", sagte nun die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im niedersächsischen Landtag, Gesine Meißner (FDP). Die damalige "rot-grüne" Landesregierung in Kiel hatte Vertuschungsvorwürfe scharf zurückgewiesen und nannte die Vorwürfe haltlos. Es blieb bislang beim offiziellen Statement, daß keine Ursache für die ungewöhnliche Häufung von Blutkrebs-Fällen zu finden sei.

Die WissenschaftlerInnen der Leukämie-Kommission hatten sich jedoch damit nicht abgefunden, und Bodenproben von einem von der europäischen Atom-Industrie unabhängigen Universitäts-Institut in Minsk untersuchen lassen. Deren Analyse bestätigte nunmehr, daß die aus den Bodenproben extrahierten Brennstoffkügelchen radioaktive Isotope enthielten. Die Analyse der Isotope ergab zudem, daß die Kügelchen weder aus einem zivilen Atomkraftwerk noch vom Fallout früherer oberirdischer Atomtest herrühren können. Dies bestätigte den Verdacht von WissenschaftlerInnen wie dem Berliner Physiker Sebastian Pflugbeil, im GKSS-Forschungszentrums sei es 1986 zu einem Unfall gekommen.

Zu Beginn der zweitägigen nichtöffentlichen Anhörung hatten sich die Mitglieder des Gesundheitsausschusses am Mittwoch unter anderem mit dem aktuellen Stand der Leukämieforschung beschäftigt. Die PolitikerInnen wollten nähere Erkenntnisse über den Zusammenhang von Radioaktivität und Leukämie gewinnen. Helfen sollte dabei auch ein Vortrag und die über zweistündige Befragung des Physik-Professors Wladislaw Mironow von der Sacharow-Universität in Minsk, dessen Team die Aufsehen erregenden Ergebnisse geliefert hatte.

An Leukämie erkrankten seit 1989 im Raum Geesthacht 16 Kinder unter 15 Jahren. Bisher starben drei Kinder und ein junger Erwachsener. Damit weist das Gebiet bei einer Einwohnerzahl von nur 30.000 eine viermal so hohe Quote wie der Bundesdurchschnitt auf. Bereits 1990 wurde die ExpertInnen-Kommission gegründet. Im Blickfeld waren dabei stets das schleswig-holsteinische AKW Krümmel und die unmittelbar benachbarte Kernforschungsanlage GKSS. Im September 1986 war in der Umgebung eine erhöhte Radioaktivität gemessen worden, deren Ursache jedoch offiziell als ungeklärt gilt. Zudem wurden millimetergroße radioaktive Kügelchen in Bodenproben entdeckt.

Der atompolitische Sprecher der Grünen, Andreas Meihsies, forderte eine Meßmethode und ein Labor, das von allen Seiten anerkannt werde. Nur so komme man aus dem Streit der Gutachten und Gegengutachten heraus.

Nur wenige Stunden nach Ende der ExpertInnen-Anhörung zur Kinderleukämiehäufung in der Elbmarsch war Ausschuß-Vorsitzende Gesine Meißner vom NDR im Gasthaus Marschachter Hof im Rahmen einer Live-Hörfunksendung interviewt worden. "Zufall oder Atomunfall? Warum erkranken so viele Kinder in der Elbmarsch an Leukämie?" - mit diesen Fragestellung gingen Redakteur Michael Orth und NDR-Mitarbeiter Klaus Richard immerhin 45 Minuten über NDR 1 auf Sendung. Rund 50 BürgerInnen aus der Elbmarsch waren zu der kurzfristig anberaumten NDR-Sendung in den Gasthof gekommen.

Gesine Meißner meinte: "Wir müssen jetzt genau prüfen, ob es genug Beweise für einen Atomunfall gibt." Deshalb plädiere sie für die Zusammenarbeit der unterschiedlichen WissenschaftlerInnen. Die Ausschussvorsitzende räumte ein, daß es Indizien gebe. "Vieles klingt merkwürdig und hat uns ins Grübeln gebracht." Sie machte aber auch klar, die Frage, ob es einen Atomunfall gegeben habe, sei keine Frage der Überzeugung. "Es ist alles schwer einzuordnen für uns", gab sie zu. Die ebenfalls anwesende Physikerin und früheres Mitglied der "Leukämie-Kommission" Inge Schmitz-Feuerhake, die von einem atomaren Unfall ausgeht, sagte: "Es ist Gefahr im Verzug." Sie fordert nun, nach Folgeprodukten eines Unfalls in Grundwasser und Pflanzen zu suchen.

Sabine Brosowski von der Bürgerinitiative gegen Leukämie in der Elbmarsch sieht in der Anhörung des Gesundheitsausschusses einen Erfolg. Ihr Eindruck: "Der Wille aller politischen Parteien ist offenbar groß, den Ursachen nachzugehen. Endlich sind alle Politiker aufgewacht."

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel:

      Neue Spuren im Leukämie-Skandal Geesthacht (5.09.06)

      50 Jahre GKSS
      und Deutschlands Streben nach der Atombombe (17.05.06)

      Atombomben-Experimente in Deutschland?
      Am 12. September 1986... (3.04.06)

      Rücktritte wegen skrupelloser
      Pro-Atom-Politik von Simonis (1.11.04)

      IPPNW erhebt schweren Vorwurf gegen Joseph Fischer
      Atom-Unfall 1987 in Hanau verheimlicht? (26.06.02)

      Leukämie in der Elbmarsch
      Heiße Teilchen aus der PAC-Brennstofftechnologie (9.04.01)

 

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