19.02.2013

Juristischer Kampf
um CASTOR-Prostest 2010
Erfolg für Atomkraft-GegnerInnen vor Gericht

Eichhörnchen Cécile
Vor dem Amtsgericht Potsdam wurde am heutigen Dienstag gegen drei Atomkraft-GegnerInnen verhandelt. Es ging um Bußgelder wegen einer spektakulären Kletteraktion gegen den CASTOR-Transport nach Gorleben 2010 an einer über 70 Meter hohen Eisenbahn-Brücke. Der CASTOR-Zug kam damals für mehre Stunden in Altmorschen bei Kassel zum Stehen.

Bereits am Montag, 18. Februar, sorgten die Atomkraft-GegnerInnen in der Potsdamer Innenstadt für großes Aufsehen, als sie das Brandenburger Tor erklommen und mit einem Transparent und Flugblättern auf die Gefahren der Atomkraft und die anstehenden Prozesse aufmerksam machten. In der Nacht zu Dienstag löste eine weitere Kletteraktion einen großen Feuerwehreinsatz mit Drehleiter aus, weil eine Meinungsäußerung mittels Transparenten in den Bäumen vor dem Gerichtsgebäude von der Justiz-Bürokratie nicht erwünscht war.

Heute folgte ein argumentativer politisch-juristischer Schlagabtausch vor Gericht. Die drei Betroffenen und ihre drei LaienverteidigerInnen erreichten nach zwei Stunden Verhandlung eine Einstellung des Verfahrens auf Staatskosten. Sie müssen keine Bußgelder zahlen. Gegen zwei weitere AktivistInnen der Gruppe steht eine Hauptverhandlung noch an. Für ihre Verfahren ist eine andere Richterin zuständig.

Wer am heutigen Dienstag den Saal 21 des Potsdamer Amtsgerichts betreten wollte, mußte sich einer Kontrolle unterziehen. Auf Anordnung des Landgerichtspräsidenten war jegliche politische Äußerung mittels Aufkleber oder Buttons auf Gegenständen und Kleidung untersagt. Dies wurde von den Anwesenden nicht ohne Protest hingenommen und anschließend in der Hauptverhandlung gerügt.

Das eigentliche Geschehen, das dem Bußgeldverfahren zu Grunde lag, wurde heute nur umgerissen. Die Betroffenen verweigerten die Aussage und forderten eine Auseinandersetzung mit Rechtsfragen zur Zulässigkeit und Begründetheit der Bußgeldverfahren.

Sie stellten zunächst die Zuständigkeit des Amtsgerichts Potsdam in Frage. Verfahren, die einen Verstoß gegen die Eisenbahnbau- und betriebsordnung zum Gegenstand haben, finden unabhängig vom Tatort seit einer internen Restrukturierung der Bußgeldbehörde (Bundespolizei) in Potsdam statt. Die Betroffenen kritisierten, daß eine interne neue Aufgabenverteilung der Exekutiv auf die Judikative Einfluß habe. Dies sei verfassungswidrig und lasse das Kostenrisiko für die Betroffenen aus dem ganzen Bundesgebiet steigen. Die vorsitzende Richterin von Büllow zeigte Verständnis für die Kritik, verwarf aber die Zuständigskeitsrüge und erklärte sich für zuständig.

Im weiteren Verlauf wies die Verteidigung auf Freisprüche für Kletteraktionen über Bahnanlagen ab einer Höhe von 4,80 Meter hin. Die Richterin erklärte aber, sie vertrete eine andere Rechtauffassung – und drängte auf eine Fortsetzung der Beweisaufnahme. Als die Betroffenen auf ihrer Entscheidung, die Aussage zu verweigern beharrten und die Beweiskraft diverser Vermerke auf Grund zahlreicher geschwärzter Passagen in der Akte in Frage stellten, wurde klar, daß eine Beweisaufnahme nicht ohne die Ladung von Zeugen erfolgen könnte. Die Richterin stellte das Verfahren gegen die drei Betroffenen daraufhin ein. Sie begründete dies bemerkenswerter Weise damit, daß den PolizistInnen nicht zuzumuten sei, aus Hessen für eine Hauptverhandlung anzureisen. Zwei Jahre nach der Tat würden sie sich außerdem nicht mehr erinnern können.

"Die Bundespolizei kann das gar nicht verstehen, daß sich jemand von ihren heiligen Brücken abseilt," meinte Richterin von Büllow und sorgte damit für allgemeines Schmunzeln. Sie erklärte schließlich, sie wolle keine zehn Tage über die Sache verhandeln. Dies sei nicht verhältnismäßig.

Die Aktionsgruppe 'Brückentechnologie' wertet das Ergebnis der heutigen Verhandlung als Erfolg. "Unsere ungewöhnliche kreative Art uns selbstbestimmt mit Unterstützung von Laienverteidigern und Laienverteidigerinnen zu verteidigen hat sicherlich zum Erfolg beigetragen. Wir bleiben am Seil - denn es gibt trotz angeblichem Atomausstieg täglich Atomtransporte. Stellt euch quer!" so Cécile, eine Kletterkünstlerin der Gruppe.

Info
LaienverteidigerInnen sind keine RechtsanwältInnen, sondern rechtskundige Personen, die als WahlverteidigerInnen genehmigt werden können (§ 138 II StPO) und aus politischer Überzeugung für mehr Selbstbestimmung in den Gerichtssälen sorgen können.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

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