17.09.2007

Banken-Krise:
Northern Rock,
deutsche Immobilienbanken
und europäische Konjunktur

Infolge des letzte Woche zutage getretenen Desasters der britischen Bank Northern Rock1 wurden heute (Montag) Refinanzierungsschwierig- keiten deutscher Immobilienbanken erkennbar. An den Börsen wurden Aktien aller Banken, die mit Immo- bilienfinanzierungen in Zusammen- hang gebracht werden, wie Sauerbier angeboten. Da die Banken bislang nicht zu erkennen geben, inwieweit sie durch faule Kredite bedroht sind, differenzieren AnlegerInnen nicht mehr zwischen Immobilienunternehmen, privaten Hypothekenanbietern und gewerblichen Immobilienfinanzierern. Dies wird dazu führen, daß in den kommenden Wochen die schwächsten auf dem Markt zusammenbrechen werden, auch wenn sie sich wenig oder gar nicht an hochriskanten, aber renditeträchtigen Geschäften beteiligt haben.

Mit dem bekannten "Wirtschafts-Weisen" Peter Bofinger hat nun erstmals ein neoliberaler Ökonom die Prognose abgegeben, die europäische Konjunktur werde sich nicht von der kriselnden US-Wirtschaft abkoppeln können. In der 'Frankfurter Rundschau' wurde er mit der Analyse zitiert, die Weltwirtschaft kühle sich "deutlich" ab. Und die Royal Bank of Scotland hat nach der Northern Rock-Krise die Wachstums-Prognose für Großbritannien bereits von drei auf 2,2 Prozent für Großbritannien zurückgenommen.

Peter Bofinger begründete seine düstere Einschätzung vor allem mit der jüngsten Entwicklung in den USA. Angesichts der steigenden Immobilienpreise hätten viele EigenheimbesitzerInnen auf den steigenden Wert ihrer Immobilien zusätzliche Kredite aufgenommen, die sie für Konsumzwecke nutzten, sagte er der 'Frankfurter Rundschau'. Jetzt würden jedoch die Zinsen steigen. "Immer mehr Haushalte dürften nun Schwierigkeiten bekommen, ihre Kredite abzuzahlen." Viele US-VerbraucherInnen müßten deshalb Monat für Monat den Gürtel enger schnallen. Dies werde auch ein exportorientiertes Land wie Deutschland zu spüren bekommen, fügte der "Wirtschafts-Weise" hinzu.

Die US-Wirtschaft hat nach Bofingers Einschätzung die größte Belastung noch vor sich. Etwa im Herbst 2008 sei mit dem Höhepunkt dieser Entwicklung zu rechnen. Europa könne sich dabei von der Talfahrt der US-Wirtschaft kaum abkoppeln. Vor allem die USA seien bereit gewesen, weltweit "deutlich mehr auszugeben als den Betrag, den sie aus Exporten erlösten".

Bofinger weist darauf hin daß die Geldmarktzinsen unter Banken derzeit außergewöhnlich hoch seien. De facto haben sie den höchsten Stand seit 9 Jahren erreicht. Dies sei ein eindeutiger Hinweis, daß die Situation auf den internationalen Finanzmärkten nach wie vor sehr angespannt sind: "Die Banken fürchten, daß sie Liquiditätsprobleme bekommen. Das zeigt, daß sie selbst offensichtlich dem Ganzen nicht so richtig trauen."

Von einer Leitzins-Senkung in den USA erwartet Bofinger daher kaum eine Trendwende, da sich diese nicht auf die langfristigen Zinsen auswirken werde, wie der Experte gegenüber der 'Berliner Zeitung' erklärte. Er halte es für besser, wenn die US-Regierung die in Bedrängnis gekommenen Immobilienbesitzer mit Überbrückungsdarlehen unterstütze. Wegen der anhaltenden Banken-Krise werde das Wirtschaftswachstum 2008 auch in Deutschland "sicher schwächer ausfallen als 2007".

Auch die deutsche "Wirtschafts-Weise" Beatrice Weder di Mauro erwartet inzwischen größere Auswirkungen auf die Weltkonjunktur "als bisher angenommen". Die deutsche Wachstumsdynamik werde sich ohnehin abschwächen.

Das Debakel von Northern Rock brachte das britische Pfund auf Sinkflug. Die britische Währung fiel auf 0,6949 Pfund je Euro. Erstmals seit Ende August rutschte die Währung auch unter die Marke von 2 US-Dollar je Pfund. Der Euro-Dollar-Wechselkurs hielt sich im Vorfeld der Fed-Zinssitzung dagegen stabil.

Nach dem Northern-Rock-Debakel nehmen die Schwierigkeiten auch deutscher Banken weiter zu. So fielen deren Aktienkurse auf breiter Front - mit den größten Verlusten bei Hypo Real Estate. Da half es wenig, daß diese beteuerte, gar nicht auf dem privaten Baufinanzierungsmarkt tätig gewesen zu sein. Ein ähnlicher Liquiditäts-Engpaß wie bei Northern Rock wird nun für weitere Immobilienfinanzierer erwartet.

Die Analysten der Citigroup setzten die Aktien der Münchener Hypo Real Estate auf "Verkaufen". Sie wiesen darauf hin, daß das Volumen der vergebenen Kredite die Einlagen der Bank fast um das Sechsfache übertreffe. Das mache die Bank in ihrer Refinanzierung äußerst abhängig vom Interbankenmarkt, so die Analysten. Ähnliches gelte für die Eurohypo, deren Muttergesellschaft Commerzbank laut Citigroup mehr als das Doppelte des Einlagenvolumens an Krediten ausgegeben hat.

Bekannt wurde nun auch, daß die Deutsche Postbank über die Bausparkasse BHW stark in die privaten Hypothekenfinanzierung involviert ist. Deren Refinanzierung sei allerdings überwiegend durch Einlagen und die Postbank selbst gesichert - so ein Postbank-Sprecher. Nur 6 Milliarden Euro von 32 Milliarden Euro Verbindlichkeiten würden über andere Banken refinanziert. Eine Gewinnwarnung mußte bereits die ebenfalls auf Hypothekenfinanzierung spezialisierten Interhyp am vergangenen Freitag (14.09.) herausgeben. Daraufhin verfiel der Kurs der Interhyp-Aktie um rund 30 Prozent.

Mittlerweile ist Northern Rock trotz des Not-Kredits der britischen Zentralbank weiter in Richtung Abgrund gedriftet. Auch heute (Montag) - am dritten Tag in Folge - drängten KundInnen in Massen an die Schalter, um ihre Ersparnisse abzuheben und in Sicherheit zu bringen. Vor zwei Filialen kam es dabei zu Schlägereien im Gedrängel. In zwei Tagen sollen etwa sechs Prozent der Bankeinlagen abgeflossen sein - immerhin 1,5 Milliarden britische Pfund. Heute hoben KundInnen mehr als eine weitere Milliarde von ihren Konten ab. Die bei Bankern nicht gerne gesehenen Szenen erinnern an den Beginn der Weltwirtschaftskrise im Jahr 1929.

Der Aktien-Kurs von Northern Rock sackte am Freitag um rund 30 Prozent ab und fiel heute um weitere 35 Prozent. Seit dem letzten Hoch im Mai 2007 sank der Kurs sogar um insgesamt rund 80 Prozent. In einem Artikel des 'Daily Telegraph' wird ein Informant aus dem aus dem Umkreis von Northern Rock mit der Einschätzung zitiert: "Wenn der Aktienkurs am Montag drastisch fällt, scheint eine rasche Zerschlagung der Bank und der Verkauf ihrer Vermögenswerte unausweichlich."

Ebenso unausweichlich scheint bereits, daß die Immobilien-Blase in Großbritannien ähnlich der US-amerikanischen nun ebenfalls platzt. Die Hauspreise beispielsweise in der Region London sind weit überzogen. Seit 1975 stiegen diese um fast 1.600 Prozent. Im Vergleich hierzu waren sie im selben Zeitraum in den USA um 630 Prozent, in Deutschland und Japan um rund 200 Prozent gestiegen. Die Hypothekenschulden in Großbritannien betrugen im Juli 1,14 Billionen Pfund - eine Steigerung um elf Prozent binnen zwölf Monaten. Die Gesamtverschuldung der privaten Haushalte liegt bei 1,35 Billionen Pfund - ein Plus von 10,1 Prozent innerhalb eines Jahres. Die Verschuldung der privaten Haushalte ist im Verhältnis zu den Einkommen seit 1997 von 105 auf 164 Prozent gestiegen. Dies ist weltweit die höchste Quote.

Der konservative britische Oppositions-Chef David Cameron kritisierte, die Krise gehe darauf zurück, daß "unser Wirtschaftswachstum unter Labour auf einen Schuldenberg gegründet wurde". Das Beispiel USA zeigt allerdings, daß die im Kapitalismus vorgegebene Richtung der Politik von jeder Regierung - sei es Labour oder Tories, Democrats oder Republicans, SPD oder CDU - durchgesetzt wird. Gerhard Schröder formulierte dies in dankenswerter Klarheit einmal so: "Es gibt keine linke oder rechte Wirtschaftspolitik, sondern nur gute oder schlechte."

Im August fielen die Hauspreise um 2,6 Prozent, der erste Rückgang seit drei Jahren überhaupt. Der ehemalige US-Notenbankchef Alan Greenspan warnte in einem Interview mit dem 'Daily Telegraph' vor einer "schmerzhaften Korrektur" am britischen Immobilienmarkt. Zugleich warnte Greenspan die Fed davor, die Zinsen in der weltgrößten Volkswirtschaft wegen der Krise zu senken. Die Entscheidung der US-Notenbank steht am morgigen Dienstag an. Und die Londoner 'Times' schreibt vor dem Hintergrund der Banken-Krise, daß in den kommenden Wochen ein eisiger Wind durch London wehen werde, da die Veröffentlichung der Quartalszahlen mehrerer Investment-Banken bevorstehe.

Auch in Deutschland wird bereits vor weiter steigenden Zinsen und sinkenden Immobilienpreisen gewarnt. Die Investition in die "Kapitalanlage Haus" wird sich dann kaum mehr lohnen. Aber nicht nur wer zur Zeit ein Haus baut, könnte bald Probleme bekommen, die eigenen vier Wände zu finanzieren. Immobiliendeals im großen Stil stecken offenbar derzeit fest. Großbanken hielten derzeit ihr "Pulver trocken", schreibt am Montag etwa die 'Financial Times Deutschland' unter Berufung auf Branchenkreise. Kredite werden nur noch unter äußerst rigiden Bedingungen vergeben. Über einem Volumen von 500 Millionen Euro gehe zurzeit "nichts" mehr, heißt es. Heute ging laut ARD bereits das Gerücht um, der Kaufhauskonzern Arcandor stehe wegen der schwierigen Marktlage vor Problemen beim Verkauf einiger seiner Immobilien.

Der noch bis Juni herrschende Optimismus auf den internationalen Finanzmärkten ist längst verflogen. Angesichts der Banken-Krise und der Ebbe auf dem Kreditmarkt wird mit einem nachlassenden Geschäft mit Private-Equity-finanzierten Übernahmen und Ertragsausfällen gerechnet. Heute wurde bekannt, daß Credit Suisse, Citigroup und JP Morgan bei großen Deals Verluste hinnahmen, um überhaupt Kredite noch weiterreichen zu können. Eine besonders große Transaktion ist der 26-Milliarden-Dollar-Kauf des US-Kreditkartenanbieters First Data durch die Beteiligungsgesellschaft KKR, bei dem Credit Suisse und andere Banken in den vergangenen Tagen heftigen Abschlägen zugestimmt haben. Auch Fusionen unter Banken werden erschwert. So gestand das Barclays-Management ein, bei dem Kampf um die niederländische Bank ABN Amro schlechte Karten zu haben.

Aber auch Fonds-Gesellschaften könnten in die Krise hineingerissen werden, schreibt der 'spiegel'. Eine Spezialität der britischen Northern Rock war es nämlich, Immobilienfinanzierungen an Großinvestoren wie Fondsgesellschaften weiterzuverkaufen. Diese Finanzinstrumente unter Namen wie Granite und Dolerite haben inzwischen ihren "guten Namen" verloren. Mit den großzügig verzinsten, aber hochriskanten Papieren haben sich in Deutschland Fondsgrößen wie die Deutsche-Bank-Tochter DWS oder der Allianz-Fonds, aber auch die der Landesbank Baden Württemberg (LBBW), der BayernLB und - wie nun hinlänglich bekannt - der SachsenLB eingedeckt. All diese Papiere haben massive Wertverlusten zu verzeichnen und - weitaus gravierender: Sie sind zur Zeit praktisch unverkäuflich.

Die Aktien der Deutschen Bank und der Postbank verloren aktuell rund zwei Prozent ihres Werts, Commerzbank-Aktien etwa ein Prozent. Der Hypo-Real-Estate-Kurs büßte sogar fast vier Prozent ein. Seit Ende Juni haben Goldman Sachs, Lehman Brothers, aber auch die Commerzbank rund ein Fünftel ihres Werts verloren. Bei der Deutschen Bank betrug der Rückgang 16 Prozent, bei Morgan Stanley und JP Morgan Chase etwa zehn Prozent. Für eine Verstärkung des Trends werden auch die Quartalszahlen der US-Investmentbanken Goldman Sachs, Bear Stearns, Lehman Brothers und Morgan Stanley sorgen, die noch in dieser Woche veröffentlicht werden müssen.

Panik bei Fondsanlegern oder gar bei Bank-KundInnen in Deutschland werden zunächst ausbleiben - so lange, bis es zu einer weiteren dramatische Schieflage bei einer deutschen Bank kommt. Und dies wird sich noch im September zeigen.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

1 Siehe auch unsere Artikel:

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      Banken-Krise erfaßt Großbritannien mit voller Wucht (14.09.07)

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      (4.09.07)

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