3.10.2009

Geld siegt: Irland fällt um

Niederlage für das demokratische Europa

Eine deutliche Mehrheit der Wahlberechtigten in Irland stimmte beim zweiten Anlauf gegen die eigenen Interessen und gegen eine demokratische Entwicklung der europäischen Vereinigung. Mit dem vorläufigen Sieg der winzigen bürokratischen europäischen Elite, die mit dem Projekt des "Lissabon-Vertrages" die Inhalte der gescheiterten EU-Verfassung weiter durchzusetzen versucht, bleibt Europa auf dem Weg der Entdemokratisierung, des Neoliberalismus, des weiteren Sozialabbaus und der verstärkten Militarisierung. In einem ersten Referendum im Juni 2008 hatten noch 53,4 Prozent der irischen Wähler gegen den Vertrag gestimmt.

Die "Berichterstattung" der europäischen Mainstream-Medien ist weiterhin von einer ungeheuren Arroganz geprägt: Der Sieg bei dem neuerlichen Referendum in Irland wird propagandistisch als Erfolg "für Europa" dargestellt und die GegnerInnen des "Lissabon-Vertrages" zugleich pauschal als "Anti-Europäer" diffamiert. Eher selten sind subtil manipulative Formulierungen zu finden wie etwa folgende aus dem 'spiegel': "Die EU schaut nun nach Prag, wo der letzte verbleibende Lissabon-Gegner sitzt." Gemeint ist damit der tschechische Präsident Vaclav Klaus. Tatsächlich jedoch würde bei Volksabstimmungen in nahezu allen 27 EU-Mitgliedsstaaten eine Mehrheit der Menschen den "Lissabon-Vertrag" zurückweisen. Aus eben diesem Grund wurden Referenden außer in Irland vermieden, wo sich dieses aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht umgehen ließ. Nichts zeigt eindringlicher die demokratie-verachtende Einstellung der EU-BürokratInnen und ihrer Speichellecker in den Medien.

Besonders Irlands Mittelklasse war in die Wahllokale geströmt, um eine "erneute Blamage" (auch eine der üblichen manipulativen Formulierungen in den Mainstream-Medien) zu verhindern. Tatsächlich spielten nach fundierten Analysen die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise und die in der Folge besonders bei den Mittelschichten ausgelöste Verunsicherung sowie ein gigantischer, mit hunderten von Millionen Euro gesponsorter Wahlkampf für den "Lissabon-Vertrag" in Irland die entscheidende Rolle. So schreibt selbst der 'spiegel', nachdem er im vorderen Teil seiner "Berichterstattung" der Propaganda den Vortritt läßt: "Als ausschlaggebender Faktor für den Meinungsumschwung innerhalb von 15 Monaten gilt die Wirtschaftskrise, die Irland besonders stark getroffen hat."

Als repräsentativ kann die in 'focus' zitierte Äußerung eines Metzgers aus Dublin gelten, der nach eigener Aussage im Juni 2008 mit "Nein" und nun mit "Ja" abgestimmt hat: "Unsere Regierung hat so viel Mist gebaut. Ich glaube nicht, daß Europa noch schlechter sein kann. Im Gegenteil, wir brauchen jeden Freund, den wir bekommen können." Und auf die Frage nach dem Inhalt des "Lissabon-Vertrages" gab er unumwunden zu, daß er "noch immer nicht den geringsten Schimmer habe, was eigentlich drinsteht."

Von Seiten der EU-Bürokratie hatte Irland Milliarden-Subventionen erhalten, um einen wirtschaftlichen Kollaps wie in Island vorläufig zu verhindern. Der einstige Boom-Staat Irland, der mit im europäischen Vergleich nur als Dumping zu bezeichnenden Unternehmenssteuern aufgestiegen war, hängt mittlerweile am Brüsseler Finanz-Tropf. Großunternehmen wie Ryanair, Intel und Dell haben immense Summen in die "Ja"-Kampagne investiert. Ryanair-Chef Michael O'Leary gab sich als überzeugter Europa-Fan und lud in der vergangenen Woche den irischen Verkehrsminister Antonio Tajani zu einem Werbeflug ein. Ein Ryanair-Jet wurde dazu eigens mit dem Slogan "Vote Yes to Europe" lakiert. Von William Clinton entlieh er sich die Parole: "It's the economy, stupid" ("Es geht um die Wirtschaft, du Dummkopf!") Intel-Manager Jim O´Hara beteuert, viele US-Unternehmen hätten sich in den 90ern und Anfang des Jahrtausends nicht nur wegen der geringen Steuern und der hohen Bildungsstandards auf der grünen Insel niedergelassen. "Sie wollen über Irland den Zugang zur EU." Mit einer mehr als 200.000 Euro teuren Kampagne hat der Konzern diesmal für das "Ja" zum "Lissabon-Vertrag" geworben. SchauspielerInnen, RegisseurInnen und RomanschriftstellerInnen wurden eingespannt, um der irischen Bevölkerung das "Ja" zu einem inhaltlich nach wie vor im Dunklen gehaltenen Vertragswerk zu entlocken. Und vor dem dunklen Hintergrund der Weltwirtschaftskrise zeichnete diese Kampagne das umso strahlendere Bild des Retters in Gestalt der EU-Bürokratie.

So bezeichnete Sabine Wils, die Delegationsleiterin der Linkspartei-Abgeordneten im Europaparlament, das Ergebnis des irischen Referendums völlig zu recht als "beispiellosen Angstkampagne", mit der eine von der Weltwirtschaftkrise in den vergangenen zwölf Monaten bereits schwer getroffene irische Bevölkerung zum "Ja" für den "Lissabon-Vertrag" gedrängt wurde. Und der Dubliner Stadtrat Richard Boyd Barett, der für die Ablehnung des "Lissabon-Vertrages" eingetreten war, erklärte: "Dieser Vertrag wird die Wirtschaftskrise nicht lösen. Er wird sie verschlimmern. Die Politik, die in diesem Vertrag festgeschrieben wird, ist dieselbe Politik, die uns in die Rezession geführt hat." Stadträtin Joan Collins vom linken Bündnis 'People Before Profit' sagte: "Wir werden weiterhin für eine neue Richtung in Europa kämpfen - ein Europa, das die Armut abschafft und das Geld für Gesundheit und Bildung statt für die Rüstung ausgibt."

Die siegreichen EU-Bürokraten hoffen, daß sowohl der polnische Präsident Lech Kaczynski als auch der tschechische Präsident Vaclav Klaus nun ihre Unterschrift unter den "Lissabon-Vertrag" setzen, was diese mit Blick auf das Referendum in Irland bislang hinauszögerten. Nun ist es in Anbetracht der USA-orientierten Haltung des tschechischen Präsidenten allerdings nicht unwahrscheinlich, daß dieser seine Unterschrift bis ins Frühjahr 2010 verzögert, um so die Wahl in Großbritannien abzuwarten. Die europafeindliche Tory-Partei unter David Cameron hat nach allen Umfragen den Sieg so gut wie in der Tasche und verspricht, die Unterschrift der neoliberalen britischen "Labour"-Regierung unter den "Lissabon-Vertrag" zu annulieren und in Großbritannien doch noch eine Volksabstimmung durchzuführen. Sollte dies tatsächlich so kommen, würden damit äußerst reaktionäre Kräfte entgegen ihrer eigentlichen Absicht der Demokratie in Europa einen unschätzbaren Dienst erweisen.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel

      Bundesverfassungsgericht: Ja, aber
      zum Lissabon-Vertrag
      Vetorecht für Deutschland durch die Hintertür (30.06.09)

      "Europawahl": Sieg der NichtwählerInnen
      Erfolg für das demokratische Europa (8.06.09)

      EURATOM
      Milliarden-Subventionen und die Bombe (22.04.08)

      Festung Europa:
      Mehr als 300 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken (31.03.09)

      Europa und die Linkspartei
      Warum die Journaille vor Wut schäumt (28.02.09)

      Festung Europa
      Menschenverachtende Politik gegen Flüchtlinge (20.06.08)

      Irland rettet Europas Zukunft
      Mainstream-Medien melden "Scherbenhaufen" (13.06.08)

      EU-Reformvertrag
      Wohin die Reise gehen soll (19.05.08)

      Bundestag nickt EU-Reformvertrag ab
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      Weltmacht Europa auf dem Weg
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      Zweiter Sieg für Demokratie in Europa (2.06.05)

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      Erklärung des 3. Friedenspolitischen Kongresses in Hannover
      (5.09.04)

      Atomenergie, Atomwaffen und Militarisierung besiegelt (19.06.04)

      EURATOM und EU-Verfassung (11.06.04)

      Neue Atommacht EU? (24.04.04)

      EU-Verfassung vorerst gescheitert (19.12.03)

      Zur Ausrufung einer europäischen Verfassung (14.06.03)

 

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