1.07.2007

Lafontaine in Freiburg

Wahre Worte, wenig Glaubwürdigkeit, schwache Resonanz

Weniger Menschen als zu den besten Zeiten der Freiburger Montags-Demo kamen auf den nur schwach gefüllten Freiburger Rathausplatz zu einer Rede des neuen "Linke"-Vorsitzenden und früheren "S"PD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine.

Lafontaine weiß, wie er das Freiburger Publikum zu packen hat: Er beginnt mit einem Lob für den erfolgreichen Bürgerentscheid gegen den Verkauf von 8.900 städtischen Wohnungen, die der "grüne" Oberbürgermeister Dieter Salomon zu Geld machen wollte.1 Freiburg habe damit ein "Signal gegen die Privatisierung gesetzt, das in ganz Deutschland vernommen" worden sei. Darüber, daß dieser Kampf noch lange nicht ausgestanden ist und über mögliche Perspektiven weiß er jedoch nichts zu sagen.

An Deutlichkeit läßt Lafontaine nichts zu wünschen übrig, wenn er mit dem Kartell der vier neoliberalen Parteien im Bundestag abrechnet und das ausspricht, was sich nur wenige zu sagen trauen, die heute überhaupt noch - allerdings mit mehr oder weniger deutlicher Häme - linke Positionen in der von den Mainstream-Medien beherrschten öffentlichen Arena vertreten dürfen. Allein dafür wäre Lafontaine in Freiburg ein größeres Publikum zu wünschen gewesen. Wer in der Freiburger Linken die Positionen Lafontaines wenig glaubwürdig und widersprüchlich findet und eine Parteigründung, deren Namensgebung einen Alleinvertretungsanspruch signalisiert, als Anmaßung erkennt, sollte allerdings allein deshalb eine solche Veranstaltung nicht meiden. Solidarität scheint unter der Linken zu einem Fremdwort geworden zu sein. (Etwas ganz anderes ist es bei Personen wie beispielsweise Rebecca Harms, die sich mit öffentlichen Äußerungen ganz offensichtlich in Widerspruch zu ökologischer und linker Politik gestellt haben.) Wahr und unbestreitbar ist es nun einmal, daß Schwarz-Rot-Grün-Gelb "den Sozialstaat zertrümmert, die Rentenformel bis zur Unkenntlichkeit entstellt, die Arbeitslosenversicherung zerdeppert und die Sozialsysteme privatisiert und ruiniert hat".

Wenn Lafontaine in gewohnt idealistischer Interpretation hierfür einen "Zeitgeist" verantwortlich macht, läßt er damit erkennen, daß er zwar die Realität zur Kenntnis nimmt (was in diesem Lande schon recht ungewöhnlich ist), daß er jedoch noch wenig Gedanken an die Ursachen dieser gigantischen Verwerfungen verschwendet hat. Völlig obskur wird es dann, wenn er sich vor wenigen hundert ZuhörerInnen der Hoffnung hingibt, ausgerechnet die Gründung der "Linkspartei" brächte nun eine Wende. An anderer Stelle seiner Rede nannte er allerdings einen wichtigen Hebel: den Generalstreik. Den lautstarken Beifall auf dem Freiburger Rathausplatz - und die nicht ausbleibende Häme in der Lokal-Zeitung - hat er sich damit redlich verdient.

Auch ein weiteres wahres Wort Lafontaines ist zu loben: Obwohl von den Mainstream-Medien hierfür durch die Bank abgestraft, wiederholt er mutig, daß er Bush und Blair für Terroristen hält. Die wenigen, die sich dies heute noch öffentlich zu sagen trauen, sind fast schon an einer Hand abzuzählen. Wer traut sich schon noch, klar auszusprechen, daß es in Afghanistan nicht um einen "Anti-Terror-Kampf" geht. Lafontaine klagt an: "Dort werden täglich Menschen unter der Flagge der NATO umgebracht - sogar bei Taufen und Hochzeiten." Worum es in Afghanistan tatsächlich geht, kommt bei Lafontaine allerdings zu kurz. Und auch seine populistische Personifizierung in den Personen Bush und Blair ist zu kritisieren. Dahinter verschwinden die maßgeblichen Interessen, die die Politik der USA und Großbritanniens bestimmen.

Als Lafontaine seinen Vorgänger als "S"PD-Vorsitzender, Willy Brandt zitiert - "Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen!" - will ihm ein Zwischenrufer untersagen, sich auf Brandt zu berufen. Er beschimpft Lafontaine als "Bauernfänger". Offensichtlich handelte es sich um einen Fan Gerhard Schröders, der immer noch versucht, dessen Kriegsbeteiligungen im Kosovo und in Afghanistan mit Brandts Friedensnobelpreis unter einen Hut zu bringen. Müßig wäre es, hier Lafontaine von der anderen Seite her zu kritisieren und auf Brandts Inkonsequenz hinzuweisen. Wer sich für Politik interessiert, weiß auch über Brandt Bescheid. Wahr ist dennoch, daß Brandt immerhin noch mehr Gemeinsamkeiten mit Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht hatte als mit einem Gerhard Schröder.

Zum vermeintlichen "Aufschwung" bleiben Lafontaines Ausführungen merkwürdig vage: Er stellt nicht in Frage, ob sich konjunkturell tatsächlich in diesem Jahr mehr geändert hat als steigende Steuereinnahmen. Aber immerhin stellt er wahrheitsgemäß fest, daß von den - seit Jahrzehnten - reichlich sprudelnden Gewinnen der deutschen Wirtschaft "nichts bei den Arbeitnehmern und Rentnern ankommt." Lafontaine spricht Klartext, spricht von Armut im Alter, Absturz nach Hartz IV, Abzocke bei Gas und Strom. Und er fordert das Wichtigste: Solidarität. "Wartet nicht, bis es euch selbst trifft." Immerhin war Lafontaine selbst einmal auf einer Montags-Demo.

Bezeichnend für Lafontaines Denken ist allerdings, daß er in seiner Rede immer wieder Hoffnung macht, mit Hilfe der neuen "Linkspartei" könne die "S"PD unter Druck gesetzt werden. Wer also damit argumentiert, Lafontaine biete keine Lösung an, liegt falsch. Lafontaines Perspektive ist eine Regierungskoalition zusammen mit einer gewendeten "S"PD. Daß die "S"PD nach einigen Jahren in der Opposition wieder linke Töne von sich geben wird, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Ob sich jedoch allzu viele Menschen ein weiteres mal zum Narren halten lassen, darf bezweifelt werden.

 

REGENBOGEN NACHRICHTEN

 

Anmerkungen

1 Siehe auch unsere Artikel:

      Verkauf der Freiburger Sozialwohnungen verhindert
      BI erringt Mehrheit bei Bürgerentscheid (13.11.06)

      Salomons Rache
      Gegenangriff der neoliberale Freiburger "schwarz-grünen" Front
      (30.11.06)

Siehe auch unsere Artikel:

      Lafontaine will die Systemfrage stellen
      Ist die neue "Linkspartei" antikapitalistisch? (17.06.07)

      Wie lange noch bis "Rot-Rot-Grün"? (24.09.05)

      Lafontaines Sprung aus dem Tanker
      Vereinigung von WASG und PDS unter seiner Führung? (24.05.05)

 

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