25.10.2003

Immer wieder wird das Ende
des Gen-Moratoriums verkündet

Warum dieser Aufwand ?

Bereits in diesem Sommer, kurz nach einer 'Monitor'-Sendung1, die auf die Problematik der sogenannten Koexistenz hingewiesen und eine große öffentliche Diskussion ausgelöst hatte, wurde erstmals das Ende des europaweiten Gen-Moratoriums verkündet2. Noch am selben Tag stellte sich die Meldung, die von den Massenmedien merkwürdiger Weise nur mit nachrangiger Priorität veröffentlicht worden war, als Ente heraus.

Immer wieder kursieren Gerüchte, das Gen-Moratorium sei bereits gefallen oder es gebe längst genmanipulierte Lebensmittel auf dem Markt. Die Salat-Sorte Lollo Rosso beispielsweise wird gerüchteweise als Schöpfung der Gen-Technik bezeichnet. Solche Gerüchte werden - ein altbekanntes Konzept der psychologischen Kriegsführung - mit der Absicht gestreut, Resignation in den gegnerischen Reihen zu verbreiten. Auch heißt es immer wieder, die Lebensmittel im Supermarkt seien längst nicht mehr gentechnikfrei. Quellen für solche Gerüchte können allerdings nicht dingfest werden.

Dann wurden über die Massenmedien Artikel3 verbreitet, die sich den Anschein von Neutralität gaben, zugleich aber als unumstößliche Wahrheit verkündeten, durch den Weltmarkt seien längst Fakten geschaffen worden: Genmanipulierte Pflanzen würden bereits auf 59 Millionen Hektar angebaut mit "stark steigender Tendenz" und die "Grüne Gentechnik" gewinne "weltweit gesehen zunehmend an Bedeutung". Die Zahl der Länder, in denen der Anbau genmanipulierter Pflanzen erlaubt sei, nehme "stetig" zu. Europa sei keine "Insel der gentechnikfreien Seeligen" mehr und "der Schock für die mehrheitlich gentechnik-skeptischen Verbraucher" sei absehbar.

Tatsache ist jedoch, daß sich der Anbau von genmanipulierten Pflanzen auf nur vier Länder konzentriert: Allein über 65 Prozent der weltweiten Anbaufläche von Gen-Pfanzen befindet sich in den USA, rund 25 Prozent in Argentinien, sieben Prozent in Kanada und zwei Prozent in China. Über den Rest von weniger als ein Prozent verfügt überwiegend Indien und bei weiteren Detail-Angaben ist oft nicht zu ermitteln, ob es sich um Versuchsfelder oder kommerziellen Anbau handelt. In vielen Ländern stehen aktuell Entscheidungen an4 oder - wie im Falle von China5 - verliert Gentechnik bereits wieder an Boden.

Doch offensichtlich erst wird der geringe Anteil, den Gentechnik in den letzten 15 Jahren in der Landwirtschaft erringen konnte, bei einem Blick auf die Umsatz-Zahlen. Auf dem Markt für transgenes Saatgut wurden 2002 - inclusive für die daran gekoppelten speziellen Pestizide - lediglich drei Milliarden Dollar umgesetzt. Dabei handelt es sich um sieben Prozent der Weltmarktumsatzes für Saatgut und Pestizide. Ohne Ausnahme schreiben alle sechs führenden Gentech-Konzerne seit Jahren nur rote Zahlen und selbst Monsanto, der US-amerikanische Branchenführer mit rund 80 Prozent Marktanteil, steht kurz vor der Pleite.

Obwohl also für GegnerInnen der "Grünen Gentechnik" kein Grund zur Resignation besteht, war zumindest bis vor kurzem auch aus den Führungszirkeln der großen Umweltverbände wie Greenpeace, BUND oder NABU zu vernehmen: das Gen-Moratorium sei nicht mehr zu halten. Es müsse sich darauf konzentriert werden, in Zusammenarbeit mit der Bundesregierung eine möglichst strenge gesetzliche Regelung der sogenannten Koexistenz zu erwirken.

Doch zumindest seit der Veröffentlichung einer Reihe wissenschaftlicher Studien Ende 2002 und Anfang 2003 hat es sich unter den Gentech-GegnerInnen herumgesprochen, daß es sich unabhängig von der Strenge etwaiger gesetzlicher Auflagen über Abstandszonen oder Haftungs-Richtlinien im Falle von Gen-Kontamination bei der "Koexistenz" um eine Chimäre handelt. Pollen von genmanipulierten Pflanzen werden vom Wind und von Insekten unkontrollierbar verbreitet und können auch durch Zonen und Hecken nicht aufgehalten, sondern allenfalls reduziert werden. Ebensowenig ist eine Vermischung bei Ernte und Verarbeitung zu verhindern, sondern nur mit enormem finanziellen Aufwand unter vorgegebenen Schwellenwerten zu halten. Dabei ist jedoch absehbar, daß mit der dann unvermeidlichen Ausbreitung der genmanipulierten Pflanzen jeglicher Schwellenwert alsbald überschritten wird. Fällt das Gen-Moratorium, wird eine gentechnik-freie Landwirtschaft, gleichgültig ob mit konventionellem Anbau oder biologischer Bewirtschaftung in wenigen Jahren nicht mehr möglich sein. Und so kommt Uli Brendel, die Gentechnik-Expertin bei Greenpeace zu dem Schluß: "In Europa haben wir jetzt noch die Chance, den Geist in der Flasche zu halten."

Auch Anfang Okober tauchten wieder Meldungen6 auf, das Gen-Moratorium sei am Ende. Bei genauerer Betrachtung allerdings reduzierte sich das Ganze auf eine Vermutung, die sich jedoch nicht auf den ersten Blick erschließt. Hintergrund der Meldung ist der Umstand, daß es sich beim Gen-Moratorium nicht um eine formal-juristisch faßbare Entscheidung handelt. Seit 1998 besteht ein EU-weite Absprache auch mit Einverständnis der Gentech-Konzerne, die Zulassung genmaipulierter Pflanzen "vorläufig" zu stoppen. Am 24. Juni 1999 hatten Frankreich, Griechenland, Italien, Dänemark und Luxemburg mit ihrer Sperrminorität im EU-Umweltministerrat faktisch die Verlängerung dieses Moratoriums erzwungen. In einzelnen Fällen, wo es nur noch um die Sortenzulassung ging, hätten Gen-Konzerne mit guter Aussicht auf Erfolg die Zulassung ihrer Gen-Pflanze durch eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof erstreiten können. Doch sie hielten es offenbar für klüger abzuwarten. Aktuell nun - und das ist der Aufhänger dieser Meldungen - liegt ein Antrag von Monsanto auf Zulassung eines neuen gen-manipulierten Gen-Mais namens NK 603 vor, der laut Insider-Informationen zügig durchgewunken werden soll. Allerdings kann auch dies frühestens Anfang 2004 abgeschlossen sein - und mit dem kommerziellen Anbau des NK 603 wäre dann erst "de facto" das Gen-Moratorium beendet.

Einen weiteren Termin brachte nun 'Transgen', ein Informationsdienst der 'Verbraucherinitiative' ist Spiel. Von 'Transgen' wurde dieser Tage verkündet, das Gen-Moratorium ende am 7. November. Denn an diesem Tag werden die neue EU-Vorschriften für genmanipulierte Lebensmittel in Kraft treten. Durch die damit verbundene Kennzeichnungs-Regelung - die allerdings erst mit Frist bis zum 18.04.2004 in nationales Recht umgesetzt werden muß - und die beiden EU-Verordnungen über genmanipulierte Lebens- und Futtermittel (1829/2003) sowie Rückverfolgbarkeit (1830/2003) seien die ursprünglich an das "vorläufige" Gen-Moratorium geknüpften Bedingungen "weitgehend" erfüllt, so 'Transgen'. "Da das neue, strengere Rechtssystem für die Grüne Gentechnik damit weitgehend umgesetzt ist, fällt auch der seit 1998 in der EU bestehende Zulassungsstopp für GVO-Pflanzen", heißt es in deren Pressemitteilung vom 23. Oktober. 'Transgen' habe sich bereits "auf die neue Situation" eingestellt und biete nunmehr ein erweitertes Informationsangebot.

In der neuen Novemberausgabe ist das Brachen-Magazin der Naturkostläden "Schrot & Korn" dem allen - wie um die Verwirrung zu komplettieren - noch einen Schritt voraus: Leo Frühschütz, der sich sicher Meriten durch Veröffentlichungen zum Skandal ums Himalaya-Salz verdient hat, erklärt darin in einem ansonsten recht informativen Artikel ("Gentech & Ökolandbau - Friedliches Nebeneinander ist Illusion") kurz und bündig: "Fünf Jahre galt in der EU ein Anbau-Stop für Genpflanzen. Jetzt ist das Moratorium beendet." Auch die am Ende dieses Artikel aufgezeigte Alternative, es läge nunmehr "am Verbraucher, ein Nachfrage-Moratorium zu errichten", ist nicht gerade dazu angetan, die resignative Tendenz des gesamten Textes abzumilden. Über die Alternative, durch verstärkten öffentlichen Druck den Erhalt des Gen-Moratoriums zu erzwingen, war Leo Frühschütz dem Vernehmen nach nicht informiert.

 

Klaus Schramm

 

Anmerkungen:

1 Siehe unseren Artikel:
    'Monitor': Krieg um Gen-Food
    - Aus für Bio-Bauern? v. 11.07.2003

2 Siehe unseren Artikel:
    Fällt das EU-Moratorium? v. 23.07.2003

3 Ein Musterbeispiel eines solchen pseudo-neutralen Textes stellt der Artikel von Lucian Haas dar, der am 3.07.03 in der Badischen Zeitung erschien. Zuvor war er allerdings bereits im November 2002 über 'Ver.Di Publik' unter der Überschrift "Der Weltmarkt schafft Fakten" verbreitet worden.

4 Siehe unsere Artikel:
Gen-Food ruiniert kanadische Bauern v. 17.10.02
Gen-Moratorium in der Schweiz verlängert v. 6.06.03
Gen-Food-Industrie stürzt britischen Umweltminister v. 27.06.03
Zunehmender Widerstand gegen Gen-Food in Rußland v. 12.07.03
Gen-Food in Brasilien: legal? illegal? scheißegal! v. 15.07.03
Kampf gegen Gen-Food in Australien v. 23.07.03
Gen-Pflanzen - Streit vor Kanadas höchstem Gericht v. 1.08.03
Chaos mit Gen-Pflanzen in Spanien v. 29.08.03
Auch in Neuseeland: Mehrheit für Velängerung des Gen-Moratoriums v. 1.09.03
Mexiko: illegalle Einfuhr von Gen-Mais aus den USA v. 14.09.03
Gen-Mais auf den Philippinen v. 14.09.03

5 Siehe auch unseren Artikel:
Teil-Moratorium von Gen-Food in China v. 23.07.03

6 In der 'taz' v. 2.10.03 erschien der Artikel von Christian Rath unter dem Titel "Mit NK 603 endet das Moratorium" und nur leicht verändert am 4.10.03 in der Badischen Zeitung unter dem Titel "Gentech-Moratorium vor dem Ende"

 

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