1.03.2009

Rüstungs-Konzern Diehl
klagt gegen Journalist

Streumunition soll nicht mehr Streumunition genannt werden

Am morgigen Montag, 2. März, findet in München ein bemerkenswerter Prozeß statt. Dem Regensburger Journalisten Stefan Aigner soll verboten werden, die vom milliardenschweren Nürnberger Rüstungs-Konzern Diehl produzierte Munition SMArt 155 als Streumunition zu bezeichnen. Die Rüstungsfirma will damit Orwellsches Neusprech gerichtlich und bei einem vermeintlich schwachen Gegner durchsetzen. Aigner beruft sich auf das Recht auf freie Meinungsäußerung und hält stand. Ein Ordnungsgeld in Höhe von 250.000 Euro steht im Raum.

Die Anwältin des Journalisten, Britta Schön, bezeichnet das Vorgehen der Firma Diehl als "eklatanten Angriff auf die Meinungs- und Pressefreiheit." Sie verweist darauf, daß selbst im Bundestag zur Sprache kam, was alles unter dem Begriff Streumunition zu verstehen sei und daß dabei auch der Nürnberger Rüstungs-Konzern namentlich genannt wurde. Mit der österreichische Regierung kann sie sich auf eine kaum zu ignorierende Zeugin berufen: Diese hat die fraglichen Diehl-Produkte als Streumunition gewertet und verboten.

Was vor dem Landgericht München I verhandelt wird, ist für die gesamte Friedensbewegung bedeutsam, so sie denn auch in Zukunft Kampagnen gegen Streumunition führen will. Im Dezember 2008 unterzeichneten zwar fast 100 Staaten den Vertrag von Oslo. Dieser Vertrag sollte Streumunition umfassend verbieten, da diese Waffenart besonders für die Zivilbevölkerung große Gefahren birgt. Der Vertrag, der bisher noch nicht in Kraft getreten ist, nimmt allerdings bestimmte Munition vom Verbot aus.

'Handicap International', eine Organisation der Friedensbewegung, die sich besonders für die Ächtung von Streumunition und Minen einsetzt, kritisierte diese Ausnahme-Regelung bereits während der Vertragsverhandlungen in Oslo - ohne Erfolg. "Interessant ist, daß die Ausnahmeregelung recht genau die deutsche SMArt-Munition und die französische BONUS beschreibt. Es gibt bisher jedoch keine öffentlich zugänglichen Testergebnisse, die beweisen könnten, daß die ausgenommenen Waffen für die Zivilbevölkerung keine Gefahr darstellen," erklärt Eva Maria Fischer, Kampagnensprecherin von Handicap International.

Bis vor einigen Jahren war Diehl noch an der Produktion klassischer Streumunition beteiligt, die nun durch den Vertrag von Oslo geächtet werden sollte. Nun will die Rüstungsfirma nichts mehr mit dem in die öffentliche Diskussion geraten Begriff "Streumunition" zu tun haben. "Eigentlich können wir ja zufrieden sein, wenn Diehl sich durch die Behauptung, der Betrieb produziere Streumunition, angegriffen fühlt," meint François De Keersmaeker, Geschäftsführer von 'Handicap International'. Es stelle sich aber zugleich die Frage, warum Diehl gerade gegen einen eher unbekannten Journalisten aus Regensburg prozessiert und nicht gegen größere Medien, die bei ihrer Berichterstattung zum Oslo-Verbotsprozeß die von Diehl produzierte SMArt-Munition ebenfalls als Streumunition bezeichneten.

Streumunition und Streubomben verteilen nach ihrem Abschuß oder ihrem Abwurf eine Vielzahl kleinerer Geschosse auf einer größeren Fläche. Statt einem einzelnen Ziel kann mit ihnen die gesamte erreichte Fläche in eine Todeszone verwandelt werden. Ein beträchtlicher Teil der mit Streumunition eingesetzten verteilten Geschosse bleibt im Kriegseinsatz erfahrungsgemäß liegen, ohne zu explodieren. So blieb rund eine Million der 4,25 Millionen Geschosse vom Typ M85, die die israelische Luftwaffe im Sommer 2006 auf Ziele im Libanon abfeuerte, im Gelände und gefährdet ZivilistInnen und insbesondere Kinder. Ähnlich wie Minen bedrohen sie auch noch lange nach dem Ende eines Krieges Leben und Gesundheit der Zivilbevölkerung.

Diehl schuf für die Produktion technisch weiterentwickelter Streumunition zusammen mit dem Rüstungs-Konzern Rheinmetall das Kooperationsunternehmen 'Gesellschaft für intelligente Wirksysteme' (GIWS). Diese "alternative Streumunition" sei für die GIWS ein Milliardengeschäft, sagt Thomas Küchenmeister, Leiter des 'Aktionsbündnisses Landmine'. Die "Intelligenz" dieser vom deutschen "Verteidigungs"-Ministerium gerne als "Punkt-Ziel-Munition" bezeichneten weiterentwickelten Streumunition sei äußerst fragwürdig. Ihre angebliche "Ungefährlichkeit" für Zivilisten sei unter Militärfachleuten sehr stark umstritten und bis heute nicht nachgewiesen, kritisiert Küchenmeister.

Stefan Aigner hatte in einer Kolumne des online-Magazins 'regensburg-digital.de' über den Rüstungs-Konzern Diehl geschrieben: "Unter anderem produziert man Streumunition." Diese Aussage soll er nicht wiederholen dürfen. Zu ergänzen ist die Feststellung Aigners durch die Tatsache, daß der Rüstungs-Konzern Diehl bereits zu Zeiten der Hitler-Diktatur als "Kriegsmusterbetrieb" mit der Produktion von Waffen und durch die Ausbeutung von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen hohe Profite erzielte. Über Jahrzehnte hin wurde mit der Produktion von Streumunition gut verdient.

Unter dem Druck der deutschen Bundesregierung wurden während der Verhandlungen über den Vertrag von Oslo Weiterentwicklungen, die von ExpertInnen als "intelligente Streumunition" bezeichnet werden, in letzter Minute von der Verbotsliste gestrichen. Die deutsche Regierung hatte damit gedroht, die Unterschrift unter die Konvention andernfalls zu verweigern. So könnte die Wirkung des Vertrags von Oslo in Zukunft statt in der Ächtung von Streumunition darin bestehen, daß technisch rückständige Konkurrenz auf dem Rüstungsmarkt ausgeschaltet und der Marktanteil von Rüstungs-Konzernen wie Diehl ausgeweitet wird.

Diehl hätte mit dem Versuch, den öffentlichen Sprachgebrauch gerichtlich regeln zu lassen, keine Chance, wenn es genügend Medien gäbe, die auf ihren Internet-Seiten über diese Sache berichten. Denn das, was einmal im Internet auf einer gewissen Mindestzahl an Seiten stand, läßt sich - aller Erfahrung nach - nicht mehr beseitigen. Und damit wäre das vom Rüstungs-Konzern Diehl verfolgte Vorhaben gescheitert.

 

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Anmerkungen

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