25.09.2008

Demo in Berlin:
130.000 KlinikmitarbeiterInnen
gegen Gesundheitsreform

Rund 130.000 KlinikmitarbeiterInnen demonstrierten heute (Donnerstag) nach übereinstimmenden Angaben von Veranstaltern und Polizei in Berlin gegen die mit der Gesundheitsreform vorgesehene Deckelung der Klinikausgaben. Zu der Demonstration hatte ein Aktionsbündnis aus Gewerkschaften wie ver.di, Krankenhausgesellschaft, deutscher Städtetag, kommunale Arbeitgeberverbände und ÄrztInnenorganisationen aufgerufen.

Nicht zur Sprache kam, daß die steigenden Ausgaben weit überproportional den Pharma-Konzerne zugute kommen. Im vergangenen Jahr waren dies knapp 30 Milliarden Euro. Bei den Ausgaben für Arzneimittel handelt sich um das einzige von insgesamt acht Ausgaben-Segmenten, das überhaupt noch - und dazu kräftige - Zuwäche oberhalb der Inflationsrate aufweist. So stiegen die Kosten für Arzneimittel im Jahr 2005 und rund 17 Prozent.

Eine Kontrolle der Ausgaben für Arzneimittel blieb auf der Demo in Berlin wie gehabt jenseits des Denkhorizonts. Dabei ist bekannt, daß kein funktionsfähiger Markt für Medikamente existiert. Bei einer demokratischen Kontrolle der Medikamentenpreise würde es sich also nicht einmal um einen Eingriff in ein marktwirtschaftliches System handeln.

Bis Ende 2009 fehlen den rund 2.100 Kliniken in Deutschland etwa 6,7 Milliarden Euro in der Finanzierung. Der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Rudolf Kösters, nannte das von der Bundesregierung am Vortag ad hoc beschlossene Hilfspaket von rund drei Milliarden Euro eine "Mogelpackung". Kösters sagte, die Kliniken hätten "keine Rationalisierungsreserven" mehr. Von den versprochenen drei Milliarden Euro werde weniger als die Hälfte bei den Kliniken ankommen. Er forderte eine bessere Finanzausstattung der Kliniken und eine Aufhebung der gesetzlichen Deckelung der Krankenhausbudgets.

Der Präsident des Deutschen Städtetags, Münchens "roter" Oberbürgermeister Christian Ude, sagte, trotz steigender Kosten seien den Kliniken mit der Budget-Limitierung die Einnahmen gekürzt worden. Bund und Länder sollten "endlich Schluß machen mit dem schäbigen Spiel", sich bei der Finanzierung wechselseitig die Verantwortlichkeit zuzuschieben. Die Kliniken seien "ausgequetscht wie eine Zitrone" und der Protest "im Interesse der gesamten Bevölkerung". Bereits heute gebe es eine Überlastung des Personals, die eine Vernachlässigung der Patienten nach sich ziehen könne. Auch er "vergaß" zu erwähnen, wer bei einer Aufhebung der Deckelung an erster Stelle der Gewinner stünde.

Der "grüne" Vorsitzende der Gewerkschaft ver.di, Frank Bsirske, ergänzte die für die Gewerkschaften nicht gerade schmeichelhafte Zahl von 100.000 Arbeitsplätzen, die in den vergangenen zehn Jahren im Gesundheitswesen wegrationalisiert wurden. Wohin die eingesparten Gelder flossen, war von ihm ebenso wenig zu erfahren. Andere Fakten wurden von ihm durchaus korrekt benannt. So etwa, daß nach 16 Jahren Budget-Deckelung die Leistungsfähigkeit vieler Kliniken in erheblichem Maße beeinträchtigt wurde. Daß bei steigenden Arzneimittel-Kosten eine Deckelung der Gesamtausgaben auf eine reale Kürzung in den anderen Ausgaben-Bereichen hinausläuft, ließ Bsirske im Dunkeln. Daß - wie Bsirske dagegen anprangerte - eine dramatische Überforderung des Krankenhauspersonals und zunehmend auch eine Gefährdung der PatientInnen von den in den vergangenen zehn Jahren regierenden "rot-grünen" ebenso wie "schwarz-roten" Bundesregierung bewußt in Kauf genommen wurde, ist dagegen längst allgemein bekannt.

Billig war es, wenn Bsirske und Ude in Anspielung auf die Banken-Krise Sprüche vom Stapel ließen wie etwa: "Hören Sie auf, den Banken das Geld hinterherzuwerfen und geben Sie es statt dessen den Krankenhäusern, wo es für die Menschen Sinn macht." Der Applaus war sicher und die Pharma-Konzerne kamen so nicht ins Blickfeld.

AOK-Vizevorstand Herbert Reichelt erklärte, die Klagen der DemonstrantInnen seien in Anbetracht des beschlossenen "Hilfspakets" der Bundesregierung unberechtigt. Er warnte, die Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung könnten angesichts der Mehrausgaben 2009 um 15,8 Prozent steigen. Die Ersatzkassenverbände VdAK und AEV wandten ein, den Beitragszahlern dürften keine zusätzlichen Belastungen aufgebürdet werden. Mit insgesamt rund 57 Milliarden Euro werde 2009 eine "Rekordsumme" in die Krankenhäuser fließen.

 

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Anmerkungen

Siehe auch unsere Artikel

      Soziale Ungerechtigkeit führt zu minderer Lebensqualität
      und vorzeitigem Tod
      WHO präsentiert Studie über soziale Gesundheitsfaktoren (6.09.08)

      Sozialabbau und "Gesundheitsreform"
      Milliarden Euro für die Pharma-Industrie (14.04.08)

      Sozialabbau bei ÄrztInnen (11.06.07)

      Sozialabbau und die Schließung des Herbolzheimer Krankenhauses       (16.10.06)

 

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