Im Vorfeld der am morgigen Dienstag stattfindenden öffentlichen Anhörung zu den Schutzgebiets-Verordnungs-Vorschlägen für sechs Nord- und Ostsee-Naturschutzgebiete äußern die deutschen Umwelt-Verbände scharfe Kritik. Eigentlich müßten Nord- und Ostsee dringend geschützt werden. Seit mehr als zehn Jahren geht nichts voran. Die Todeszonen in der Ostsee werden immer größer.
Es dauerte elf Jahre, bis die Bundesregierung nach Ausweisung der Schutzgebiete im Jahr 2004 die Verordnungsentwürfe in das öffentliche Beteiligungsverfahren gab. Seit Jahren blockieren Streitigkeiten der beteiligten deutschen Ministerien aus den Bereichen Verkehr, Landwirtschaft, Forschung und Wirtschaft mit dem pro forma federführenden Bundes-"Umwelt"- und Atom-Ministerium unter Barbara Hendricks jegliches Vorankommen.
Durch die Verordnungen sollen - so die seit Jahren gebetsmühlenartig wiederholten Bekundungen - die Natura-2000-Gebiete in der deutschen 'Ausschließlichen Wirtschaftszone' (AWZ) endlich den rechtlichen Status von Naturschutzgebieten erhalten. Doch die vorliegenden Entwürfe sind "ungenügend", so das Urteil der Umweltverbände NABU, BUND, Deepwave, DNR, DUH, Greenpeace, Schutzstation Wattenmeer, WWF und Whale & Dolphin Conservation in einer gemeinsamen Stellungnahme. Diese kritisieren, daß so "die massive Übernutzung der Meere weiterhin zugelassen wird". Hieraus spreche eine "Ignoranz der naturschutzfachlichen Notwendigkeiten." Und zudem würden sie den EU-Verpflichtungen nicht gerecht.
Offenbar verbleibe der "effektive Schutz von bedrohten Arten und Lebensräumen im toten Winkel der Ressort-Streitigkeiten." In der Konsequenz existieren die deutschen Meeresschutzgebiete nur auf dem Papier. Bis heute wird in den Schutzgebieten, den wertvollsten Ökosystemen vor Deutschlands Küsten, flächendeckend gefischt, findet Rohstoffabbau statt, fahren tausende Schiffe und finden militärische Manöver statt. "Und die Ministerien, die die Nutzergruppen vertreten, sorgen dafür, daß es auch so bleibt“, kritisieren die Umweltverbände.
Leidtragende sind Meeressäuger, Seevögel oder auch seltene Weichkorallen. Dabei steht es schlecht um die Lebensgemeinschaften in Nord- und Ostsee. Laut nationaler Roter Liste sind fast ein Drittel der untersuchten Arten gefährdet. Grund dafür sind nach eigener Aussage der Bundesregierung die Fischerei, der Kies- und Sandabbau und der Eintrag von Nähr- und Schadstoffen (Sie hierzu unseren Artikel v. 17.06.14 und die der vorangegangenen Jahre).
Und auch die Erstbewertung nach EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie stellte der deutschen Nord- und Ostsee ein beunruhigendes Zeugnis aus. Kaum ein untersuchtes Merkmal erreichte 2011 den gewünschten guten Umweltzustand. Daß jetzt alles ganz schnell gehen soll, liegt vermutlich auch an einem Vertragsverletzungs-Verfahren der Europäischen Kommission begründet. Die Kommission wirft der deutschen Bundesregierung die mangelhafte Umsetzung von FFH- und Vogelschutzrichtlinie vor.
Für den Meeresschutz in der AWZ, dem Seegebiet zwischen zwölf und 200 Seemeilen vor der Küste, ist das Bundes-"Umwelt"-Ministerium zuständig. Dessen Kompetenz soll durch die neuen Verordnungen stark beschnitten werden, indem sich die Nutzerressorts faktisch ein Vetorecht gegen effektive Schutzmaßnahmen sichern. Die Verantwortung Deutschlands für den Schutz seiner einzigartigen Natura-2000-Gebiete, wie sie die Bundesregierung auch im Koalitionsvertrag verankert hat, scheint vergessen.
"Nahezu jedes Ressort fordert Ausnahmen und kaum eine Meeresnutzung soll verboten werden. Die jetzigen Verordnungsentwürfe kommen einer Aushöhlung des Bundesnaturschutz-Gesetzes gleich," so das Fazit der Umwelt-Verbände. Offenbar seien wirtschaftliche Interessen dem Naturschutz übergeordnet.
Hauptkritikpunkte an den vorliegenden Verordnungs-Entwürfen sind:
- Völkerrechtliche Verpflichtungen regionaler Meeresschutzübereinkommen und nationale Rote Listen werden ignoriert
- Keine Einrichtung von ungenutzten Bereichen in den Schutzgebieten
- Keine kohärente Umsetzung von Natura 2000 und EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie
- Keine oder nur unzureichende Verbote schädlicher Nutzungsformen wie Fischerei, lärmintensiver Vorhaben (z. B. Seismik, Sprengungen), CCS oder Öl- und Gasförderung
- Unklare Behördenzuständigkeiten bei möglichen Ausnahmegenehmigungen für wirtschaftliche Vorhaben
- Aushöhlung der Kompetenz des Bundesnaturschutz-Gesetzes und des Bundesamtes für Naturschutz durch Verankerung einer Einvernehmens-Regelung bei der Entwicklung von Management-Plänen
Anmerkungen
Siehe auch unsere Artikel:
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